Im Luftverkehr steckt der Teufel oft im Detail der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Ein spektakuläres Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat eine Klausel der Lufthansa zu Fall gebracht, die für zahlende Passagiere eine teure Falle bedeuten konnte. Es geht nicht um Gutscheine im herkömmlichen Sinne, sondern um die Verwendung sogenannter Flugcoupons – und deren Reihenfolge.

1. leg verpasst und trotzdem 2. fliegen
Der Streitfall: Verfall durch „falsche“ Reihenfolge?
Hintergrund ist ein vertracktes Detail aus der Welt der Flugtickets. Ein Ticket für eine Hin- und Rückreise oder eine komplexe Rundreise besteht aus mehreren Flugcoupons, jeweils einer pro Streckenabschnitt („Leg“). Die Lufthansa hatte in ihren AGB eine Klausel, die festlegte: Die Coupons müssen in der gebuchten Reihenfolge verwendet werden.
Das praktische Problem: Bucht ein Passagier ein Ticket mit den Strecken A->B und B->A (Hin- und Rückflug) und sagt den ersten Flug (A->B) ab, verfiel nach Lufthansa-Lesart automatisch auch der Coupon für den Rückflug (B->A). Der Grund: Der erste Coupon wurde nicht genutzt, die festgelegte Reihenfolge war durchbrochen. Der volle Ticketpreis war damit verfallen, eine Erstattung für den ungenutzten Rückflug gab es nicht.
Das BGH-Urteil: Eine unwirksame Überraschungsklausel
Der Bundesgerichtshof urteilte am 23. April 2024 (Az. X ZR 6/23), dass diese Klausel in den AGB der Lufthansa unwirksam ist. Die Begründung (§ 307 BGB): Sie stellt eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar, mit der er nicht zu rechnen braucht.
Das Gericht stellte klar: Für den Durchschnittskunden ist nicht erkennbar, dass die Nichtnutzung eines Teils der Reise (z.B. des Hinflugs) zum vollständigen Verlust des gesamten vertraglichen Anspruchs (inklusive Rückflug) führt. Diese Folge ist unverhältnismäßig hart und überraschend. Die Airline hätte im Falle einer Stornierung des Hinflugs lediglich den Wert dieses Coupons einbehalten und für den ungenutzten Rückflug eine Erstattung leisten müssen.
Die sofortige Wirkung: Lufthansa lenkt ein
Die Brisanz des Urteils zeigte sich umgehend. In einem parallel laufenden Verfahren vor dem Amtsgericht Düsseldorf (Az. 32 C 5693/23), in dem genau dieser Fall, der durch den Reiserechtler Dr. Böse verhandelt wurde, erkannte die Lufthansa nach dem BGH-Spruch ihre Niederlage an. Sie verzichtete auf weitere Verteidigung und erstattete dem klagenden Passagier den Wert des nicht genutzten Rückflug-Coupons in bar. Ein klares Signal, dass die Klausel praktisch tot ist.
Was bedeutet das für Sie als Reisenden?
- Historische Ansprüche prüfen: Wenn Sie in der Vergangenheit ein Lufthansa-Ticket storniert haben (z.B. nur den Hinflug) und dafür keinerlei Erstattung für die restlichen Coupons (z.B. Rückflug) erhielten, haben Sie nun möglicherweise einen Rückzahlungsanspruch.
- Klare Rechtslage für die Zukunft: Das Urteil schafft klare Verhältnisse. Die Reihenfolgeklausel ist unwirksam. Die Nichtnutzung eines Flugabschnitts führt nicht zum automatischen Verlust der gesamten Leistung.
- Branchenweite Signalwirkung: Zwar betrifft das Urteil konkret die Lufthansa-AGB, die Argumentation des BGH ist jedoch grundsätzlicher Natur. Ähnliche Klauseln anderer Airlines dürften auf wackeligen Beinen stehen.
Klare Rechtslage für die Zukunft
Das Urteil schafft klare Verhältnisse. Die Reihenfolgeklausel ist unwirksam. Die Nichtnutzung eines Flugabschnitts führt nicht zum automatischen Verlust der gesamten Leistung, wenn sich Reisepläne nach Reisebuchung ändern.
Ein kulinarisches Fazit
Die unwirksame Klausel der Lufthansa lässt sich mit einem mehrgängigen Menü vergleichen: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein festes Menü mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert vollständig bezahlt. Weil Sie zu spät zum Restaurant kommen, verpassen Sie die Vorspeise. Nach der Logik der alten Lufthansa-AGB würde Ihnen der Küchenchef daraufhin nicht nur die versäumte Vorspeise, sondern auch den bereits fertig zubereiteten Hauptgang und das Dessert vorenthalten – ohne jedwede Erstattung. Eine völlig unverhältnismäßige und überraschende Reaktion.
Der BGH hat nun klargestellt, dass im Flugverkehr eine fairere Abrechnung gilt: Wer einen Teil der gebuchten Leistung (einen „Gang“) nicht in Anspruch nimmt, verliert nicht automatisch den Anspruch auf den Rest. Für den anspruchsvollen Reisenden schafft dieses Urteil endlich rechtliche Klarheit und schützt vor versteckten Kostenfallen in den AGB – die beste Voraussetzung, um sich auf das eigentliche Genusserlebnis, die Reise selbst, konzentrieren zu können.
*(Quellen: BGH, Urteil vom 23.04.2024 – X ZR 6/23; Bericht auf Dr. Boese.de)*