Neue Leichtigkeit auf altem Fundament
Wer ist heute kulinarische Avantgarde? Die Magier der betörendsten Aromen? Die Jongleure der Gegensätze und Ergänzungen, der Konsistenzen und Temperaturen? Die Pioniere der wissenschaftlichen Erkenntnisse und fortschrittlichen Technologie?
Das GaultMillau Magazin unternimmt in seiner aktuellen Ausgabe den Versuch eines klärenden Gesprächs mit drei kreativen Individualisten modernster Küche in Deutschland – Juan Amador, Tim Raue (GaultMillau Koch des Jahres 2007) und Joachim Wissler
So etwas wie eine deutsche Hochküche gibt es ja angeblich nicht, die (Spitzen-) Gastronomie hierzulande orientiert sich zumeist Richtung Frankreich oder Italien, heißt es. Oder allenfalls noch Richtung Spanien. Ist derzeit doch viel von molekularer Küche die Rede, gern und ausgiebig als Trend der Zukunft gepriesen, derweil sie im Ursprungsland keineswegs als Nonplusultra gilt.
Aber nicht alle sind Nachmacher, es gibt auch in Deutschland Chefs, die eigene Wege gehen, sich Kreativität zutrauen und auch Provokation nicht scheuen – und zur Avantgarde zählen. Kochen auf hohem Niveau ist Kunst, also darf sich auch künstlerische Freiheit am Herd zeigen. Immer mehr Spitzenköchen – wie Joachim Wissler und Tim Raue – wird eine solche Entfaltung ermöglicht durch Hotels, in denen sich ihre Restaurants befinden. Nur wenige – wie Juan Amador – arbeiten selbstständig.
Repräsentieren Sie in Deutschland die Avantgarde-Küche?
Juan Amador: Ich würde mich selbst nicht unbedingt dazu zählen, allerdings werden wir in der Öffentlichkeit vielleicht so gesehen. Ich denke, wir kochen und arbeiten und denken einfach ein bisschen moderner als andere.
Tim Raue: Ich würde Juan Amador selbstverständlich schon dazurechnen. Wenn man Avantgarde so definiert, dass man neue Gedankengänge hat, neue Wege geht. Was wir auf den Teller bringen, hat eine neue Leichtigkeit, zeigt einen anderen Bezug zum Essen.
Joachim Wissler: Avantgarde ist für mich ein sehr schwieriger Begriff. Ich fühle mich auch nicht sehr wohl, wenn ich ihr zugeordnet werde. Ich zähle mich durchaus zu der Generation, die nach den großen Kollegen wie Dieter Müller, Harald Wohlfahrt und Heinz Winkler kommt und gern als Erneuerer bezeichnet wird. Aber das geschieht doch alles auf dem Fundament, das seit jeher und immer noch die Grundlage nahezu aller Küchen ist.
Wenn man die spanische Küche als die Avantgardeküche bezeichnen wollte, müsste sie da nicht ganz andere Geschmackserlebnisse bieten als der Rest der Welt? Sind die Spanier außer in den Techniken auch geschmacklich meilenweit voraus?
Tim Raue: Überhaupt nicht. Aber die Philosophie finde ich sehr interessant, weil die Spanier versuchen, die höchste Zelebrierung des Essens auf eine Art und Weise zu vermitteln, die wir vorher nicht kannten, nämlich mit Lockerheit, mit Entspanntheit. Was mich in Spanien inspiriert hat und was ich mitgenommen habe, ist die Individualität. Joachim Wissler hier zum Beispiel ist für mich der Inbegriff der Avantgarde in Deutschland. Für mich bedeutet Avantgarde aber auch, eine Vorbildfunktion zu haben. Für die jüngere Generation von Köchen, die ihr eigenes Profil und ihre eigene Gedanken hat. Nichts gegen die, die bei Dieter Müller oder Harald Wohlfahrt gelernt und da auch viel mitgenommen haben. Man sieht aber doch zum Beispiel bei Thomas Bühner, dass man daraus seinen ganz eigenen Stil entwickeln kann. Aber wir haben in Deutschland dieses Problem der Nachmacher, und das ist für mich mit das Schlimmste, was es gibt. Jetzt versuchen sich eben viele in der molekularen Küche, aber ich glaube, dass das bei uns in erster Linie nur die Medien interessiert und einen kleinen Teil der Leute, die zum Essen kommen. Das wird wieder vorbeigehen.
Joachim Wissler: Gewiss setzen die Spanier durch die technischen Neuerungen ungewöhnliche Akzente, aber auch sie verlieren nicht die Basis, bis auf ein paar völlig abgedrehte Köche, die man ganz spannend finden kann. Ich war im vergangenen Jahr wieder mal bei Ferran Adrià und war überrascht: Das, was heute bei uns nach-
gemacht wird, das macht der schon nicht mehr. Er ist schon einen ganzen Schritt weiter als seine Anhänger. Er war ja wirklich manchmal ganz schön abgedreht kreativ, aber nun kehrt er wieder zum Ursprung zurück. Auch ich habe bei vielen Gerichten gesagt: Die sind spannend, aber ich muss sie nicht ein zweites Mal essen. Letztes Mal habe ich das nur nach einem Gang gesagt und zum ersten Mal bei ihm Soße bekommen, genauer gesagt: einen Fleischsud, der einer Soße sehr nahe kam.
Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des GaultMillau Magazins, die ab 7. Februar am Kiosk erhältlich ist.