Zahlreiche Medien berichten derzeit über eine Studie, die zeigt, dass wir aus gesundheitlichen Gründen doch unseren Fleischkonsum nicht reduzieren brauchen. Spiegel Online titelt „Esst ruhig weiter Fleisch!„. Die Zeit meint „Forscher sehen keinen Grund, auf rotes Fleisch zu verzichten. Der Tagesspiegel schreibt „Ist rotes Fleisch jetzt doch nicht so ungesund?“ International gibt es ähnliche Schlagzeilen, von der News York Times bis zum Guardian. Leider sieht man daran, wie einfach die Medien sich manipulieren lassen.
„Esst ruhig weiter Fleisch„: Zahlreiche Medien berichten dieser Tage unter vergleichbaren Titeln über eine Studie, die scheinbar zeigt, dass wir aus gesundheitlichen Gründen unseren Fleischkonsum nicht reduzieren müssen. Doch diese Studie weist schwerwiegende methodische Fehler auf, die die gesamten Ergebnisse obsolet machen.
Für www.vegan.eu hat Dr. Guido F. Gebauer die Studie im Original analysiert und kommt zu folgendem Ergebnis:
- „Die Autoren haben Fleischverzicht gar nicht untersucht, sondern sich ausschließlich auf eine nur sehr moderate Reduktion von Fleisch um drei Mahlzeiten pro Woche konzentriert. Damit haben die Autoren ihre Studie von vornherein so angelegt, dass sie mögliche positive Auswirkungen von Fleischreduktion unterschätzen mussten. Zudem ist der Panel aus 14 Personen, die die Empfehlungen beschlossen haben, gespalten gewesen. In den Medien wird leider nur die Mehrheitsposition berichtet, obwohl eine Minderheit für Fleischreduktion als Empfehlung abgestimmt hat. Ergebnis sind breit publizierte, aber wissenschaftlich wie auch ethisch fragwürdige Empfehlungen. Die Autoren können in Wirklichkeit Fleisch nicht freisprechen, weil sie Fleischverzicht überhaupt nicht untersucht haben“.
Gebauer empfiehlt folgendes Gedankenexperiment zum Verständnis der Kritik an der Studie:
- „Nehmen wir an, es wird die Reduktion von Rauchen um 5 Zigaretten pro Tag untersucht und nur ein moderater Effekt auf die Gesundheit gefunden. Könnte dies eine Rechtfertigung sein, das Rauchen freizusprechen? Natürlich nicht. Denn der Vergleichsmaßstab des kompletten Rauchverzichts ist notwendig, um zu einer sinnvollen Schlussfolgerung zu gelangen. Wie beim Rauchen so beim Fleisch, der Ausschluss des kompletten Fleischverzichts aus den Kalkulationen macht die Empfehlungen der Autoren wissenschaftlich unhaltbar“.
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Zusammengefasst sind dies die Hauptkritikpunkte an der Studie, die im Artikel auf vegan.eu ausführlich begründet werden:
- die Wissenschaftler haben die Auswirkungen von Fleischverzicht (vegetarisch) oder von Verzicht auf alle tierischen Lebensmittel (vegan) nicht untersucht. Die Wissenschaftler haben sich vielmehr ausschließlich auf eine Reduktion des Fleischkonsums um drei Mahlzeiten pro Woche konzentriert. Stärkere Reduktionen habe sie komplett aus ihren Berechnungen für ihre Empfehlungen ausgeschlossen.
- eine substantielle Minderheit der Panel-Mitglieder von über 20 % (3 von 14) empfiehlt dennoch Fleischreduktion. Dies wird einfach in der Zusammenfassung des Artikels verschwiegen und die Gründe für diese Minderheitenposition werden nicht dargelegt.
- die Autoren berufen sich zur Begründung ihrer selektiven Auswertung auf laienpsychologische Annahmen, denen es an wissenschaftlichem Fundament fehlt. Sie glauben, dass eine stärkere Fleischreduktion unrealistisch sei, weshalb sie Fleischverzicht gar nicht erst untersucht haben. Gerade bei Gewohnheits- und Suchtverhalten kann der komplette Verzicht jedoch leichter als die reine Reduktion. Denn die Reduktion konfrontiert uns immer wieder mit den auslösenden Reizen, die unseren Appetit auf den Konsum wieder wachrufen
- die Autoren geben allgemeine Gesundheitsempfehlungen, obwohl sie nur drei Zielkriterien untersuchten haben (Todesfälle durch Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen sowie Auftreten von Diabetes). Es gibt Studien zu vielen weiteren gesundheitlichen Auswirkungen von Fleischkonsum, die die Autoren ignorierten. Dies ist aber unzulässig, wenn allgemeine Empfehlungen für die Gesundheit abgeleitet werden sollen. Selbst wenn ein Faktor jeweils nur einen kleinen Einfluss auf eine spezifische Erkrankung hat, dafür aber viele Erkrankungen positiv beeinflusst, kann sich ein großer Gesamteffekt ergeben. Indem die Autoren andere mögliche Auswirkungen aus ihren Empfehlungen ausblenden, handeln sie selektiv und unterschätzen die Auswirkungen von Fleischreduktion auf die Gesundheit
- die Autoren zeigen letztlich, dass Fleischreduktion um drei Mahlzeiten statistisch signifikant mit weniger Todesfällen aufgrund von Herzerkrankungen und Krebserkrankungen und weniger Diabetes-Erkrankungen einhergeht. Die Autoren diskutieren ihre Ergebnisse danach aber weg, indem sie auf die nur geringe Stärke der Zusammenhänge verweisen. Die Zusammenhänge sind aber deshalb gering, weil nur eine moderate Fleischreduktion untersucht wurde. Die Zusammenhänge wären viel stärker gewesen, wenn die Autoren Fleischverzicht einbezogen hätten
- die Autoren zweifeln die Ursächlichkeit der durch sie selbst gefundenen positiven Effekte von moderater Fleischreduktion an, weil Studien, die ganze Ernährungs-Muster untersuchten, stärkere Effekte fänden als Studien, die sich isoliert auf Fleischreduktion beziehen. Viele Diät-Schemata gehen mit einer deutlichen Fleischreduktion einher und zusätzlich werden als gesund geltende Lebensmittel präferiert (z. B. Olivenöl). Warum sollte es da erstaunlich sein, dass solche komplexen Muster stärkere Effekte erzielen als isolierte Fleischreduktionsstudien?
- unter den 14 Panel-Mitgliedern gab es keine einzige vegetarisch oder vegan lebende Person, obwohl unter Ernährungswissenschaftlern Vegetarismus häufig ist. Letztlich hat eine Gruppe von 14 fleischessenden Personen entschieden, dass echter Fleischverzicht unrealistisch sei und man ihn daher gar nicht erst untersuchen müsse. Trotzdem stellten diese Personen in den reinen Daten fest, dass selbst eine moderate Fleischreduktion statistisch mit signifikant positiven Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden ist. Im Anschluss hat der Panel per Mehrheitsbeschluss beschlossen, dass dieser positive Effekt irrelevant sei und jeder so weiter Fleisch essen solle, wie er wolle. Derweil berichten Medien, dass der Hauptautor der Studie vorher für die Lebensmittelindustrie tätig gewesen sei, dies aber als Interessenskonflikt nicht benannt habe.
Für Gebauer, der alle Studien zu Fleisch und veganer Lebensweise liest, ist dies eine der schlechtesten und tendenziösesten wissenschaftlich publizierten Studien, der er begegnet sei. Bedenklich sei aber auch, wie einfach durch derartige einseitige Studien Stimmungen für Fleischkonsum geschaffen werden könne. Ein bisschen erinnere ihn diese Studie an Wissenschaftler, die jahrzehntelang mit ähnlich selektiven Betrachtungsweisen das Rauchen für unschädlich erklärt hätten.
Hier ist die gesamte Analyse auf vegan.eu, einschließlich von Zahlen.
Dass die Veganer über die schlecht gemachte, tendenziöse Studie schäumen, ist verständlich.
Gourmet Report denkt wie Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Und wenn Fleisch, dann bitte nur Fleisch von glücklichen Tieren! Ist es ungesund? Das ist – anders als beim Alkohol – nicht bewiesen.
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Summary
„Nehmen wir an, es wird die Reduktion von Rauchen um 5 Zigaretten pro Tag untersucht und nur ein moderater Effekt auf die Gesundheit gefunden. Könnte dies eine Rechtfertigung sein, das Rauchen freizusprechen?