Restaurantkritik Belcanto, Lissabon, 2 Sterne Michelin

Belcanto ist das 1 Sternerestaurant von Jose Avillez. Avillez hat sich in Lissabon ein kleines Gastro-Imperium aufgebaut. Von der Pizzaria – ja mit „a“ in der Mitte – über eine Cantinha und einem Cafe Lisboa bis zum renommierten Sterne Restaurant „Belcanto“.
Es brauchte drei emails im Oktober, um einen Tisch für drei zu reservieren. Drei, nicht zwei.

Als wir dann pünktlich um 13 Uhr da waren, wurde ich gefragt, warum wir zu Dritt sind, aber für zwei reserviert haben. Danach wurden wir in der Mitte des Restaurants vor einem Bücherschrank in einem Wartebereich platziert. Mäntel wurden uns nicht abgenommen. Das Restaurant ist ein großer Saal, bei denen die Tische relativ enggestelt sind. Wir warteten, dass uns mal ein Glas Sekt o.ä. angeboten wird. Wurde nicht. Dann kam die Empfangsdame wieder und führte uns an den Toiletten und der Küche vorbei in das Raucherzimmer und freute sich, uns dort einen Tisch zuweisen zu können. Nun wollten wir aber nicht mit einem kleinen Kind im Raucherbereich sitzen. Auch ohne kleines Kind wollen wir nicht im Raucherbereich sitzen.
Man platzierte uns dann an einen sehr kleinen 2er-Tisch, an dem wir nun zu Dritt sitzen mussten. Mein Sohn kickte mich permanent unterm Tisch, da er lebhaft ist und es einfach eng war. Nach dem dritten Amuse Gueule faltete ich den Maitre zusammen, dass das nicht okay ist. Andere sitzen zu Dritt an adäquaten Tischen, wir an einem Tischchen. Danach ging es dann plötzlich, dass wir an einem sehr schönem 4er Tisch, der die ganze Zeit frei war, Platz nehmen durften.
Der Anfang war so unerfreulich. Ich spielte mehrere Male mit dem Gedanken, zu gehen.
Eigentlich plante ich, das große Überraschungs-Menu „Lisboa“(135.-) zu wählen, aufgrund des Ärgers bestellte ich das klassische Menü (85 Euro). Alle Menüs gehen nur tischweise. 4 Gänge sollten einem 8jährigen auch reichen. Und meine Kreditkarte wird geschont! 🙂

Das erste Amuse Gueule war eine nicht mehr ganz aktuelle Trilogie der Olive. Olive im Tempuramantel, mit Öl gefüllte, grüne Olive a la Ferran und was anderes Öliges, was ich nur kurz kostete und dann Junior gab, dem es gut schmeckte. Ich erinnerte mich, was das ölige Menü von Adria bei mir bewirkte und Junior hat eine sehr robuste Verdauung.
Danach kam ein Chip mit Minigarnelen, das war ein leckerer Bissen. Darauf folgte ein Ferrero Rocher mit noch Goldpapier dran! Es war natürlich kein Rocher, sondern eine exzellente Foie Gras Praline. Ganz prima! Langsam besserte sich auch unsere Stimmung.
Das gute Essen und der neue Tisch taten das ihre neben einem sehr schönen lokalem Schaumwein.

Jetzt kam als erster Gang ein goldenes Ei. Es schmeckte gut. Es war perfekt. Allerdings würde ich mich veralbert fühlen, wenn ich das Ei a‘ la carte für 32 Euro bestellt hätte.
Als nächster Gang kam der „Dip“ aus dem Meer. Ein perfekt gegarter Wolfsbarsch mit Meeresfrüchten und Algen „in warmen Meerwasser serviert“, so die Bedienung.
Wolfsbarsch ist nicht mein Lieblingsfisch. Das Gericht war aber wirklich ein Ausflug ins Meer. Durch das leicht salzige Wasser, in dem der Fisch schwamm, weckte das Gericht Erinnerungen an Austern ohne glibbrig zu sein. Sehr guter Gang.
Als nächstes kam einen sensationeller Schweinebauch in Orangensauce. Dazu gab es einen warmen grünen Salat mit roter Beete und Sauce. Absolut perfekt und geschmacklich einfach toll. Effekthaschend und kulinarisch unwichtig war eine transparente Tüte mit ein paar Kartoffelchips, die das Schwein begleiten sollten. Man kann die Tüte mit den Chips zusammen essen. Ein netter Gag, der meinen Sohn begeisterte, so dass er auch noch meine restliche 3/4 Tüte bekam.
Anschliessend gab es als Pre-Dessert eine leicht steife Himbeere mit Wasabi, die im Mund wunderbar zusammenfiel. Ich vermutete, es wäre angefroren, meine Frau meint, es war so etwas wie karamellisiert. Gut war es auf jeden Fall.
Danach kam Tangerina, ein gelungenes Dessert aus Mandarinen.

Avillez bietet im Klassiker Menü die Lieblingsgerichte seiner Gäste an. Den „Dip in the sea“ seit 2007, das goldene Ei seit 2008, Tangerina Dessert seit 2010 und den relativ neuen Schweinebauch seit 2012. Alle vier Gänge waren gut verständlich, machten Spaß und waren perfekt in der Zubereitung. Das lief komplett fehlerfrei auf 2 Sterne. Die Klassiker sind auch empfehlenswert, um jemand an die Sterneküche ranzuführen.

Wir hatten ja nun nicht das 20gängige Lisboa Menü probiert, können also wenig über den Rest der Küche sagen. Was wir auf den anderen Tellern sahen, sah durchgehend gut aus. Avillez verweigert sich der modischen Kleinteiligkeit und bringt „richtiges“ Essen auf den Teller. Würde er auf einige Effekthaschereien verzichten, könnte es kulinarisch vermutlich noch interessanter werden.
Der Chef war nicht anwesend, man merkte dies aber nicht, sein Küchenchef ist gut. Bemerkenswert ist, dass das Belcanto auch erst seit dem Michelin 2013 einen Stern hält!

Merkwürdig für uns war, dass 6,50 Euro pro Person „Couvert“ berechnet werden. Das sollte im Menü eingerechnet sein!
Wenn das Belcanto etwas gastfreundlicher wäre, an der Tür „Eingang“ stünde statt nur einer leeren Klingel, der Mantel beim Reinkommen abgenommen wird, der unverschuldet Wartende ein Glas Sekt angeboten bekäme, wäre es ein tolles Restaurant. Die Küche ist einwandfrei. Hingehen, aber nicht so viel vom Service erwarten.

www.joseavillez.pt/#/en/belcanto

Sehen Sie unsere Fotos auf Facebook: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.10151936386788124.1073741879.168996673123&type=3
Wegen Problemen mit dem Apple MacBook Pro konnte ich nicht alle Bilder uploaden 🙁

Am Folgetag wollten wir die Cantinha von Avillez testen. Wir kamen um 18 Uhr ohne Reservierung. Ein ziemlich arroganter Koch teilte uns mit, man öffne erst um 19.30 Uhr und sowieso wäre man bis Ende des Jahres ausgebucht. Wir hatten eher den Eindruck, man ist nicht scharf auf Kindergäste. So sind wir ins Cafe Lisboa gegangen. Nebenan im Opernhaus wurde Verdi Arien (200. Geburtstag) geschmettert, wir waren quasi Live dabei. Im Cafe Lisboa waren wir die einzigen Gäste. Wir probierten als Vorspeise „Bacalhao Nuggets“, uns besser bekannt als Fish & Chips. Dann hatten wir einen Prego – ein portugiesiches Steaksandwich mit Knoblauch, Steak Lisboa und Bacalhao a la Bras. Das ist nicht nach Michel Bras, sonder einem Portugiesen, den man „Brasch“ ausspricht. Alle Gerichte – bis auf die Pommes, die angeblich hausgemacht gewesen sein sollen, aber wie Industrieware schmeckten und aussahen – waren von guter Qualität. Das Steak Lisboa etwas langweilig, das Prego prima und der Kabeljau nach Bras beherzt gewürzt. Insgesamt bezalten wir 63 Euro zu Dritt. Für Lissabon etwas teuer, aber für die Qualität okay. Die Bedienung war freundlich professionell. Wir würden jederzeit ins Cafe Lisboa wieder gehen, weil es unkompliziert und schnell ist.

Update: Im November 2014 erhielt das Belcanto – ganz zu Recht – seinen 2. Stern. Glückwunsch!

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