Wie ehrlich ist die Welt?

Readers Digest Journalisten „verloren“ in vielen Weltstädten jeweils 12 Portemonnaies. In Helsinki kamen 11 zurück, Indien 9, Moskau 7, Berlin 6, Prag 3, Madrid 2 und in Lissabon nur eins (zurückgegeben von holländischen Touristen)
Mit einem Test in 16 Großstädten enthüllt Reader’s Digest, wo auf der Welt Ehrlichkeit am meisten regiert – Helsinki ist spitze, Lissabon bildet das Schlusslicht

Reader’s Digest, eine der meistgelesenen Zeitschriften der Welt, hat einen „Ehrlichkeits-Test“in 16 Großstädten auf vier Kontinenten durchgeführt. Mit jeweils zwölf „verlorenen“ Portemonnaies pro Metropole stellte Reader’s Digest Hunderte von Menschen auf die Probe, um herauszufinden, wie ehrlich sie waren und ob sie die Geldbeutel zurückgeben würden.

Von Reader’s Digest ausgesandte Reporter ließen in Metropolen in Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien 192 Portemonnaies liegen. Jeder Geldbeutel enthielt eine Telefonnummer, ein Familienfoto, Rabattmarken, Visitenkarten sowie einen der Landeswährung entsprechenden Betrag in Höhe von 40 Euro. Die Reader’s‑Digest‑Tester ließen die Portemonnaies in Parks, in der Nähe von Einkaufszentren oder auf dem Bürgersteig liegen und beobachteten, was passieren würde. Dabei kamen sie zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Von den 192 verlorenen Portemonnaies wurden 90 (47 Prozent) zurückgegeben. Dabei stellten die Feldforscher von Reader’s Digest verblüffende Gemeinsamkeiten fest:

Alter ist kein Indikator dafür, ob eine Person ehrlich oder unehrlich ist. In allen 16 Städten deckten ehrliche und unehrliche Finder das gesamte Altersspektrum ab.
Weiblich oder männlich – auch hieraus lässt sich kein Rückschluss auf die Ehrlichkeit ziehen, obwohl es zwei Städte gab, in denen sich Frauen auf jeweils ganz gegensätzliche Weise hervortaten: Im polnischen Warschau waren es ausschließlich Frauen, welche die Geldbeutel behielten, wohingegen im slowenischen Ljubljana fünf der sechs zurückgegebenen Portemonnaies von Frauen gefunden wurden.
Relativer Wohlstand scheint kein Garant für Ehrlichkeit zu sein. Im indischen Mumbai wurden neun, in Moskau sieben von zwölf Brieftaschen zurückgegeben, aber im vergleichsweise wohlhabenden Zürich kehrten nur vier Geldbeutel in die Hände der Reporter zurück.

Für Experten wie Peter Graeff, Professor für Soziologie an der Universität Kiel, bestätigt der Test frühere wissenschaftliche Untersuchungen. „Aus der Forschung wissen wir: Südeuropäische Länder haben ein relativ geringes soziales Vertrauen. 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung in Portugal würden einem Fremden auf der Straße eher nicht trauen“, sagt Graeff in der Oktober-Ausgabe von Reader’s Digest Deutschland mit Blick auf die schlechten Werte von Lissabon oder Madrid. Es gebe „ein klares Nord-Süd-Gefälle, was das Vertrauen in den Mitmenschen betrifft“. Länder in Mitteleuropa wie Großbritannien und Deutschland würden eher im Mittelfeld liegen. Die Testergebnisse bestätigen das. In Berlin wurden sechs von zwölf Geldbörsen samt Inhalt wieder abgegeben, in London waren es fünf von zwölf.

„Es hat uns wirklich begeistert, dass es so viele ehrliche Menschen auf der Welt gibt“, sagt Raimo Moysa, Chefredakteur von Reader’s Digest International Magazines. „Und am meisten beeindruckte uns, dass Ehrlichkeit ein Wert ist, der gleichermaßen von jungen und alten Menschen, Männern und Frauen, Armen und Reichen und zudem in höchst unterschiedlichen Kulturen hochgehalten wird.“

Die Städte, in denen Portemonnaies platziert wurden, waren New York City (USA), Amsterdam (Niederlande), Berlin (Deutschland), Bukarest (Rumänien), Budapest (Ungarn); Helsinki (Finnland), Lissabon (Portugal), Ljubljana (Slowenien), London, (Großbritannien), Madrid (Spanien), Moskau (Russland), Mumbai (Indien), Prag (Tschechien), Rio de Janeiro (Brasilien), Warschau (Polen) und Zürich (Schweiz).

Der international durchgeführte Feldversuch „verlorene Portemonnaies“, auch nachzulesen im Internet unter www.readersdigest.de bzw. in der Oktober-Ausgabe 2013, führt die 16 Städte entsprechend der Anzahl der zurückgegebenen Portemonnaies in einer „Ehrlichkeitsrangliste“ auf. Diese Liste ordnet jede Stadt einer Kategorie zu. Diese reichen von der lobenswertesten („Die Heiligen“, der nur Helsinki, Finnland, angehört) bis zur letzten, der „Schämt Euch!“ überschriebenen Gruppe. Hier einige Ergebnisse:

„Die Heiligen“ – Helsinki (11 von 12 Portemonnaies zurückgegeben): „Finnen sind von Natur aus ehrlich, das ist ein nationaler Charakterzug“, meint der 27‑jährige Wirtschaftsstudent Lasse Luomakoski. Er hatte das verlorene Portemonnaie in der Fußgängerzone Mikonkatu im Zentrum Helsinkis gefunden. „Wir leben in einer relativ kleinen, unaufgeregten und eng verwobenen Gemeinschaft. Bei uns gibt es kaum Korruption, nicht einmal über eine rote Ampel würde ein Finne fahren“, so der Student.

„Gutes Wertesystem“ – Mumbai (neun zurückgegebene Brieftaschen), Budapest und New York (acht Geldbeutel): Die Einwohner von Mumbai belegten in unserem Feldversuch den zweiten Platz, sie gaben neun der Portemonnaies zurück. Vaishali Mhaskar, zweifache Mutter und Briefmarkenverkäuferin, gab einen Geldbeutel zurück, der in Mumbais Hauptpostamt platziert worden war. „Ich bringe meinen Kindern bei, ehrlich zu sein, genau wie meine Eltern es mir beigebracht haben“, erklärt sie.

„Einigermaßen ehrlich“ – Amsterdam und Moskau (sieben zurückgegebene Portemonnaies), Berlin und Ljubljana (sechs P.) sowie London und Warschau (fünf P.): Ein Mann Anfang 50 findet in einem Parkhaus in der Nähe des Filmtheaters Siska in Ljubljana ein Portemonnaie. Einen Augenblick lang hatten die Reporter von Reader’s Digest Hoffnung – der Mann tätigte mit seinem Handy einige Anrufe, doch dann legte er auf, steckte den Geldbeutel ein, stieg in sein schickes, teures Auto und fuhr davon.

„Schämt Euch!“ – Prag (drei P.), Madrid (zwei P.) und Lissabon (ein P.): Ein Straßenbahnführer, Anfang 50, erkennbar am dunkelblauen Anzug mit dem Logo der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) am Ärmel, fand eines der Portemonnaies in der Nähe einer Tramhaltestelle im Zentrum der Stadt. Nach einer gründlichen Inspektion des Inhalts steckte er die Brieftasche ein. Bei den Reportern hat er sich nie gemeldet – obwohl die VBZ das Fundbüro für sämtliche verlorenen Dinge der Stadt Zürich verwalten und Fahrgästen anbieten, Fundsachen dem Fahrpersonal zu übergeben.

www.readersdigest.de/ehrlichkeitstest

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