25 Jahre im Romantik Hotel Schloss Rheinfels: Küchenchef Frank Aussem – 11 direkte Fragen und 11 ehrliche Antworten
Seit 25 Jahren ist Frank Aussem nicht wegzudenkender Bestandteil des Küchenteams im Romantik Hotel Schloss Rheinfels in St. Goar. In diesen Tagen feiert der Eurotoques-Chef sein Dienstjubiläum im Vier-Sterne-Superior-Hotel, wo er seit 2005 als Küchenchef und “Herr der Töpfe” zusammen mit seiner zwölfköpfigen Mannschaft für den guten Geschmack in den drei Restaurants des als „à la région“-Betrieb zertifizierten Hotels im Welterbetal Mittelrhein verantwortlich zeichnet.
max.PR traf den 47-jährigen Rheinländer, der sein Handwerk vom Kaufmann über den Hotelfachmann, vom Koch zum Maitre de cuisine von der Pike auf gelernt hat, zum legeren Gespräch auf der Couch direkt vor seinem neuen Feinschmecker-Restaurant “Silcher Stuben” und hatte Gelegenheit, ihm elf Fragen zu stellen.
Herr Aussem, einen Reisefachmann fragt man, wo er am liebsten seinen Urlaub verbringt, einen Banker, wo er sein Geld investiert. Was isst ein Koch zu Mittag?
Ein Putengeschnetzeltes mit Reis und Salat in unserer Personalkantine. Aber da ich weiß, worauf Sie hinaus wollen: Nein, auch Köche sind nur Menschen und mein Frühstück zu Hause war mit zwei Scheiben Toast, einem gekochten Ei, Darjeeling Tee und einem Apfel ebenfalls mehr als bodenständig.
Als Sohn eines Metzgermeisters sind Sie sicher mit einer “fleischorientierten” Küche groß geworden. Hat die Kochkunst Ihrer Eltern – Stichwort Kindheitserinnerungen – Einfluss auf Ihren heutigen Stil genommen?
Selbstverständlich hat sie das getan und jeder in seinem Stil einigermaßen freie Koch, der das Gegenteil behauptet, straft sich Lügen. In unserem Betrieb in Düren wurde noch selbst geschlachtet, ich bin also bestens mit diesen Tätigkeiten vertraut und war bereits als Siebenjähriger zwischen halben Schweinen oder Rindern unterwegs. Tatsächlich bin ich noch heute ein passionierter Liebhaber von Fleisch in jedweder Form, denn es ist – für mich zumindest – die vielfältigste Grundlage für die meisten Gerichte. Auch wenn es durchaus spannende vegetarische Kreationen gibt – in meiner Küche finden sie sich selten als Hauptgang. Aus Erfahrung kann ich berichten, dass sich beispielsweise die Gulaschsuppe nach dem Rezept meines Vaters am Buffet regelrechten Anstürmen erfreut oder unser Rheinischer Sauerbraten auch unter Gourmets viele Freunde hat. Simple Gerichte, die bei Qualitätszutaten und einer gekonnten Zubereitung einfach überzeugen…
Gegenfrage: Was von dem, das Sie Ihren Gästen servieren, kommt auch privat auf den Tisch?
Meistens lasse ich hier meiner Frau den Vortritt. Allerdings, und nur wenn es mein Terminkalender zulässt, stehe ich bei Familienfeiern oder zu Festtagen am Herd. Das ist übrigens immer eine gute Gelegenheit, Neues auszuprobieren. Natürlich bietet meine private Küche nicht die Möglichkeiten wie die im Hotel, doch soweit machbar, finden dann Gerichte in abgespeckter Version auch Einzug in das Privathaus Aussem. Zusätzlich kann mir meine Tochter als angehende Restaurantfachfrau ebenfalls helfen und Erfahrungen sammeln.
Mit den im März 2011 neu eröffneten Silcher Stuben hier auf Schloss Rheinfels ist für Sie ein lange gehegter Traum in Erfüllung gegangen: ein Fine Dining Restaurant mit dem Anspruch, vielleicht einen Stern oder zumindest einen ausgezeichneten Ruf über die Region hinaus zu erreichen. Grundsätzlich versucht man ja immer sein Bestes zu geben – kochen Sie hier nun tatsächlich anders als beispielsweise im Schloss-Restaurant Auf Scharffeneck?
Hm, ein Stern wäre toll, aber wir haben ja gerade erst angefangen und nach den Sternen sollte man im wahrsten Sinne des Wortes nicht voreilig greifen. Uns ist vor allem wichtig, authentisch zu bleiben, den Geschmack unserer Gäste zu treffen und nicht die Kriterien welch’ auch immer einer Jury zu erfüllen. Aber zurück zu Ihrer Frage. Kulinarische Philosophie in den Silcher Stuben ist es, Bewährtes noch besser zu machen. Das bringt es wohl am ehesten auf den Punkt. Grundsätzlich gebe ich immer mein Bestes – zwei Größen jedoch sind veränderbar. Zum einen der Faktor Zeit: Die einzelnen Gänge werden in den Silcher Stuben weitaus aufwendiger gestaltet, sowohl was die Zubereitung als auch was die Präsentation anbelangt. Nehmen Sie die Saucen – hier reduzieren wir so stark, dass ein weiteres Binden nicht notwendig und der Geschmack intensiv genug ist, dass bereits geringe Mengen ausreichen. Der zweite Faktor ist die Qualität: Wie bei allen Dingen gibt es hier bekannterweise Unterschiede und die Skala ist nach oben natürlich offen. Hinzu kommt, dass jedes unserer Menüs mindestens ein Highlight wie Gänsestopfleber, Taube oder einen besonderen Fisch beinhaltet. Beides schlägt sich final dann im Preis, aber auch beim Geschmack nieder.
Wie entsteht eine neue Kreation? Fällt Ihnen da zum Beispiel mal versehentlich ein Töpfchen Salbei aus dem Regal auf die Kalbsschulter und Sie stellen fest – das schmeckt ja? Oder gehen Sie ganz gezielt ans Werk und kombinieren in Ihrer Fantasie mögliche Varianten? Und wie bereitet man die dann zu? Als komplettes Menü, das dann unter Umständen den direkten Weg in die Abfalltonne findet?
Also in die Tonne kommt gar nichts. Zwar haben wir schon durchaus ‘gewagte’ Kombinationen realisiert, aber essbar war es dann doch immer (schmunzelt). Tatsächlich ist das Ganze ein Findungsprozess und Kollege Zufall spielt eher keine Rolle. Die Ideen entstehen natürlich zunächst im Kopf – bei mir zum Beispiel beim Kaminholzhacken im Wald, was für mich ein prima Ausgleich ist. Etwa einmal im Monat steht dann ein gemeinsamer Experimentier-Nachmittag auf dem Programm, bei dem es auch keine Denkverbote gibt. Mein Chef Gardemanger hat beispielsweise mal eine Schokoladenpraline mit Met und Röstzwiebeln gefüllt – übrigens ein überraschend positives Erlebnis für Zunge und Kopf. Mit Rücksicht auf das saisonale Angebot kommen dann mehrere Ideen in die engere Auswahl und es werden mögliche Beilagen dazu versucht. Nachdem die erste Hürde ‘Küchenpersonal’ genommen wurde, laden wir die Direktion sowie weitere Mitarbeiter zum Testen kleiner Portionen und es wird auf demokratischer Basis weiter entschieden. Die letzten Favoriten bekommen dann einen korrespondierenden Wein, eine optisch passende Garnitur und müssen zuletzt im Rahmen einer geschlossenen Gesellschaft als Zwischengang die letzte Hürde überstehen.
Das Romantik Hotel Schloss Rheinfels wurde als „à la région“-Betrieb zertifiziert. Das heißt, Frische und ein Bezug zur Region werden groß geschrieben. Hand aufs Herz: Nicht alles kann wirklich frisch zubereitet werden oder aus der Region stammen. Was kommt bei Ihnen aus der Tüte oder liegt tief gefroren in der Truhe?
Frische ist relativ: Wie frisch kann eine Bergziege in Hamburg und ein Nordseefisch in München sein? Und wie frisch kann Spargel im Winter sein? Keine Frage, unsere Garnelen stammen nicht aus der Region und auch Bananen gedeihen am Rhein eher selten. Wir können also daher nur größten Wert auf eine maximal mögliche Frische legen. Dazu werden wir täglich von ausgewählten Zulieferern besucht, die für ein Optimum an Frische garantieren. Ausnahmslos alles, was hier in der Region produziert werden kann, das beziehen wir grundsätzlich direkt vom regionalen Bauern, Schlachter oder Hersteller. Also die Mittelrheinziege oder das Hunsrücker Dammwild hat seinen Weg von der Wiese über den hiesigen Schlachter – und nach etwa zehn Tagen Reifezeit – direkt in unsere Küche genommen. Und saisonale Produkte wie beispielsweise Erdbeeren gibt es auf Rheinfels ohnehin nur in der entsprechenden Jahreszeit. Dafür wurden wir mit dem „à la région“-Zertifikat ausgezeichnet. Die Frage nach der Tüte und der Truhe: Bestimmte ei
gene Gewürzmischungen halten wir vorrätig und beispielsweise unsere Kartoffeltaler werden schockgefroren. Nach Eingang der Tischreservierungen bereiten wir auch einen Teil der Saucen-Grundfonds bereits nachmittags zu. Das wäre zeitlich auch gar nicht anders machbar.
Themenwechsel. Kochen ist eine Kunstform. Sie befriedigt einen unserer Sinne, so wie es der Duft eines Parfüms, der Klang von Musik oder die Ästhetik eines Gemäldes tut. Allerdings ist die Nahrungsaufnahme lebensnotwendig. Unterscheiden Sie zwischen dem Genussessen und dem essen zum Stillen des Hungers?
Ein klares Ja. Das ist wie musikalische Beschallung im Supermarkt oder die zweckmäßig wärmende Winterjacke. Beides hat seine Berechtigung: Die zur Kunstform geadelte Variante, wenn es der Geldbeutel und die Umstände – im Falle des Gourmet-Menüs die zur Verfügung stehende Zeit und Muse – zulassen. Beim Fine Dining geht es in erster Linie um ein Geschmackserlebnis und nur sekundär darum, satt zu werden. Man gönnt sich, seinem Gaumen und der Seele etwas Ungewohntes, wie bei einer Wellness-Anwendung, wobei ja auch Faktoren wie Ambiente, Stimmung und Präsentation eine Rolle spielen. Wenn ich keine Zeit, aber Hunger habe, dann genügen mir ein Landjäger mit Brot und Apfel völlig, wobei auch das ein Genuss sein kann.
Wohin könnte die Reise in ferner Zukunft gehen? Die Reizung des Gaumens könnte auch von einem chemischen Produkt aus einer kleinen Tüte kommen – zwischendurch und wie Lippenstift neu aufgetragen… Und die Versorgung mit Nährstoffen erfolgt über eine “All inclusive”-Masse?
Tja, die Zukunft ist ja bereits Realität. Nahrungsergänzungsmittel, Sättigungsbeilagen, Geschmacksverstärker, künstliche Aromastoffe und Molekularküche sind allgegenwärtig. Trotzdem glaube ich, dass das Echte und Unverfälschte immer Konjunktur haben wird, solange wir es uns leisten können und die Natur es noch hergibt.
Wir sprachen eben über Kochen als Kunstform. Musik, ein Duft oder eine Skulptur kann Emotionen verstärken oder wecken. Lässt sich diese Eigenschaft auch auf die Haute Cuisine ausdehnen? Was sollte – um ein plakatives Beispiel zu nehmen – ein Menü für eine Trauergesellschaft von dem für eine Hochzeit oder ein freudiges Ereignis unterscheiden? Kann man das – die optische Präsentation ausgenommen – überhaupt?
Ein interessanter Gedanke. Ein Wildbraten an schwerer Rotwein-Sauce, Wacholder und Lorbeer steht wohl eher weniger für überschwängliche Freude, wohingegen vielleicht scharfe Fisch-Kreationen oder ein Potpourri aus süßen Früchten durchaus euphorisch stimmen können. Schwierig, aber ich werde mir das mal intensiver durch den Kopf gehen lassen…
Dann dürfen wir uns vielleicht demnächst auf ein melancholisches Dinner, ein fröhliches Frühstück, ein euphorisches oder provokantes Dessert freuen? Bitte reservieren Sie mir schon heute einen Tisch…
Herr Aussem, seit 25 Jahren sind Sie hier auf Rheinfels, bleiben Sie dem Unternehmen auch weiterhin treu? Welches Angebot könnte Sie locken und begeistern?
Sie werden es nicht glauben, aber ich bin zufrieden mit dem Job, den ich habe. Abgesehen davon, dass ich hier lebe und auch Familie habe, bietet mit das Romantik Hotel Schloss Rheinfels – und nun durch das neue Gourmet-Restaurant Silcher Stuben – alles, wovon man als Koch träumen darf. Ich habe alle Freiheiten, Spaß an der Arbeit, kann mich kreativ austoben, habe ein ausgezeichnetes Team und einen für alle Ideen offenen Direktor. Was will man mehr? Und es ist ja nicht so, dass ich nur hinter dem Herd stehe: Bei uns ist es üblich, dass ich persönlich zu fast allen Bankett- oder Menü-Besprechungen mit dem Kunden hinzugezogen werde, da ich am besten über zeitliche Abfolgen und die mögliche Umsetzung von individuellen Wünschen Bescheid weiß. Es gibt Kollegen in der Branche, die sind mit einer Currywurst-Bude ausgestiegen, aber das wäre nichts für mich. Interessant finde ich, was so einige TV-Köche machen: Das ist gut für unseren Beruf, der ja nicht gerade der beliebteste beim Nachwuchs ist. Allerdings kochen die ja selbst kaum noch in ihren eigenen Restaurants…
Zum Schluss eine triviale Frage, die mich schon immer verwunderte: Was sucht eigentlich die berühmte Zitronenscheibe auf gebackenem Fleisch und Fisch…?
Das rührt aus der Zeit, als es noch keine Kühlschränke gab und man mit der Zitrone den mitunter nicht mehr ganz frischen Beigeschmack des Fleisches überdeckte. Gleichzeitig hat die Zitronensäure noch den Nebeneffekt, dass sie, wie die Enzyme der Galle, Fette in ihre Bestandteile aufspaltet und so bei der Verdauung hilft. Inzwischen ist sie so etwas wie Tradition geworden und wir haben uns an diesen Geschmack gewöhnt.