Das „Chicago der Wüste“ in Jemen

Die Faszination des jemenitischen Shibām im Wādī Hadramaut

Shibām – das ist: Eine Skyline, die an Manhattan oder Chicago erinnert. Nur erhebt sich diese inmitten der Steinwüste Südarabiens, umgeben von grünen Palmengärten, bestehend aus weit über 400 ungewöhnlichen Hochhäusern, traditionellen Wohnburgen aus Lehm. Die ehemals wohlhabende jemenitische Handelsstadt im Wādī Hadramaut war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Karawanenstationen an der sagenumwobenen Weihrauchstraße. In den Hochhäusern lebte man denn auch aus Sicherheitsgründen, denn der Reichtum lockte stets fremde Krieger. Heute lockt die ausgefallende Architektur an unvermuteter Stelle vor allem Touristen an – die eine wieder lebendige und bewohnte Altstadt vorfinden, die Restaurierungsbemühungen vor dem Verfall gerettet haben. Und den 1982 erhaltenen Titel UNESCO-Weltkulturerbe sicherten.

Der Vergleich mit Manhattan hinkt, ist Shibām doch um Jahrhunderte älter – aber nichts kann besser bildhaft beschreiben, was hier, inmitten des Wādī Hadramaut, aus der Wüste zu wachsen scheint. Kaum verwunderlich, dass der deutsche Reiseschriftsteller und Fotograf Hans Helfritz, der in den 1930er Jahren gleich drei Expeditionen in diesen Teil des damals noch geteilten Jemens unternahm, Shibām in seinem gleichnamigen Buch nicht weniger treffend als das „Chicago der Wüste“ bezeichnete.

Am späten Nachmittag, wenn die Stadt goldgelb leuchtet, wird zudem klar, warum die Jemeniten selbst ihr den Beinamen as-Safrā – „die Gelbe“ – gaben: Im Gegensatz zu den an den Talwänden gebauten Städten Sayūn und Tarīm liegt Shibām inmitten des Wādī. Als Hochwasserschutz für die nach heftigen Gewittern das Tal durchtosendem Fluten dienen der Ruinenhügel, auf dem die dichtgedrängten Häuser der Altstadt stehen, eine Flutmauer im Süden der Stadt und die noch vollständig erhaltene, gewaltige Stadtmauer in Lehmbauweise – die dann in der Abendsonne leuchtet. Man sagt, den schönsten Blick und die beste Fotos könne man um diese Zeit machen. Vor allem, wenn man auf die Hügel hinter der Neustadt klettere, um eine „Draufsicht“ zu erhalten.

Auf knappsten Raum einer Fläche von nur rund 80 Hektar bzw. etwa 380 mal 250 Metern stehen hier nämlich über 400 Hochhäuser. Einige sind neun Stockwerke hoch, die meisten sieben. In manche enge Gassen fällt kaum Licht, denn die im Mittel 400 bis 500 Jahre alten Wohntürme erreichen Höhen von 30 bis 40 Metern – und belegen einmal mehr die Stabilität und Haltbarkeit von Lehmarchitektur. Das älteste – es zählt wohl an die 700 oder mehr Jahre – wurde demnach gebaut, als Kolumbus sich auf den Seeweg westwärts nach Indien aufmachte. Die Händler Shibāms fuhren damals immer gen Osten, handelten mit Gewürzen und Stoffen mit dem heutigen Indonesien und Malaysia. Oder mit den Karawanen der Weihrauchstraße, die die Stadt reich machten.

Das riesige „Lehmschiff“ inmitten des gewöhnlich trockenen Wādī-Flussbetts hat denn auch nur ein einziges Stadttor, das entgegen der Hauptströmungsrichtung der saisonalen Fluten im Süden liegt. Die außergewöhnliche Stadtmauer konnte Shibām, das auf eine über 1.700-jährige Geschichte zurückblickt, stets vor einer Eroberung oder größeren Raubüberfällen bewahren. Ihre Doppeltoranlage war noch bis in die 1950er Jahr voll in Betrieb. Dann wurde gegen 19.30 Uhr zur Zeit des Abendgebets des große Tor, durch das damals noch die Kamele mit ihren Lasten kamen, geschlossen. Die kleine Pforte für Personen gleich daneben war dann noch bis 22.00 Uhr geöffnet.

Wer die schon erwähnten Anhöhen hinter der Neustadt erklommen hat, hat einen grandiosen Blick auf die Altstadt und kann die Einzigartigkeit ihrer Hochhausarchitektur studieren. So sind diese zum Beispiel höher als die sonst die Städte überragenden Minarette. Und auch die Große Moschee nimmt sich eher klein aus, fast ein wenig wie die St. Patrick’s Cathedral zwischen den Wolkenkratzern New Yorks. Die wetterfesten Kalk-Gips-Schichten der Obergeschosse lassen die Stadt zudem wie mit Puderzucker bestäubt aussehen, da bis auf derart dekorative Elemente um Fenster oder einzelne Stockwerke, auch beim Putz ein braunes Lehm-Häcksel-Gemisch vorherrscht. Während die Mauern im Erdgeschoss aus Stabilitätsgründen bis zu einem Meter dick sind, laufen die Häuser nach oben wiederum aus gleichem Grund leicht trapezförmig zu.

Seit die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Juni 2000 ihr bis April 2010 angelegtes Stadtentwicklungsprojekt zur Restaurierung der alten Gebäude und Wiederbelebung kommunaler Strukturen begonnen hat, wurden mehr als 70 Prozent der Häuser Shibāms saniert. Jeder dritte Wohnturm, der 2000 noch leer stand, ist nun wieder bewohnt. Und die städtische Bau-Zunft zählt wieder mehr Handwerker, die auch die traditionelle Bauweise beherrschen und damit stilgetreu die Instandsetzung voranbringen – mit so wichtigem Wissen wie etwa dem Erhalt der eigenwilligen Klimaanlage namens „shumsak“, eines Luftschachts, der eine um mehr als zehn Grad kühlere Raumtemperatur gegenüber der Wüstenhitze erzeugt. Finanzielle Zuschüsse des jemenitischen Staates, finanziert aus dem von Geberstaaten unterstützten „Social Development Fund“ ermöglichen die Renovierungen: 35 Prozent Beteiligung pro Bauprojekt bedeuten aktuell schon sechs Millionen Euro ausgezahlte Subventionen. Zudem wurden die um die Stadt liegenden, arg vernachlässigten Oasengärten rekultiviert und auch das Wasser- und Abwassernetz erneuert.

Das alles trug nicht nur dazu bei, die 1982 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannte Altstadt Shibāms wieder von der „Roten Liste der gefährdeten Kulturerben“ zu streichen, wo sie kurzzeitig geführt war. Im September 2007 gab es zudem Lob durch einen der renommiertesten Preise seiner Art weltweit: den Aga Khan-Preis für Architektur. Seit 1977 wird dieser nur alle drei Jahre an Projekte mit großer Bedeutung für das Allgemeinwohl verliehen. In der Laudatio hieß es, „das Stadtentwicklungsprojekt habe es geschafft, die Stadt als lebendige Gemeinde zu erhalten und nicht nur als historisches Artefakt, eingefroren in der Zeit“. Dazu beigetragen haben auch Partnerorganisationen wie der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder das Deutsche Archäologische Institut (DAI).

Shibām wird in der Regel auf Jemen-Rundreisen als Tagesausflug besucht. Größere Unterkünfte sucht man vergeblich, die Zwei-Sterne-Unterkunft Shibam Guest House (sieben Zimmer) ist eine Alternative. Reisende übernachten eher in den Hotels in und um Sayūn, zum Beispiel im 58 Zimmer inklusive vier Suiten umfassenden Al-Hawtah Palace Hotel (vier Sterne), idyllisch gelegen in einer kleinen Oase. Es gehört zur Universal Hotel Company Ltd., die sechs Hotels im Jemen besitzt und betreibt ( www.universalyemen.com ).

Allgemeine Jemen-Informationen im Internet unter www.yementourism.com .

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