Molekularküche eroberte deutsche Spitzengastronomie im Sturm

Molekularküche eroberte deutsche Spitzengastronomie im Sturm

Ich habe die deutschen Spitzenköche gründlich unterschätzt. Viel schneller als erwartet, haben sie sich der Molekularen Gastronomie zugewandt, nutzen die neuen Erkenntnisse, moderne Verfahrenstechnologie und Zusatzstoffe. Mit dem Ergebnis, dass es noch nie so viele Restaurants in Deutschland gab, die Weltniveau hatten. Und noch nie wurde zwischen Kiel und Konstanz so ideenreich gekocht wie heute.

Amüsant ist dagegen, dass viele Kritiker den umfassenden Wandel noch gar nicht bemerkt haben. Sie ziehen in geradezu bizarr erscheinender, kriegerischer Weise gegen die Nutzung von Texturgebern zu Felde (die nur einen kleinen Teil der Molekularen Gastronomie und der von ihr inspirierten Avantgardeküche ausmacht), schreiben aber Restaurantkritiken in angesehenen Magazinen wie dem Feinschmecker, wo sie die Textur einer Sauce oder eines Gelees loben, die mit eben diesen Texturgebern hergestellt ist.

Der von mir wegen seiner Lebensleistung und seiner spitzen Feder hoch geschätzte Chefredakteur des Gault Millau Guides, Manfred Kohnke, geht im Vorwort der neuen Ausgabe seines Restaurantführers wortgewaltig gegen die Molekularküche vor. Das führt dazu, dass zum Beispiel in der digitalen Süddeutschen von gestern zu lesen ist, die deutsche Spitzenküche hätte sich der Molekularküche bisher weitgehend enthalten. Dabei wimmelt es in Kohnkes Liste der besten Restaurants nur so von Köchen, die der Molekularküche zugewandt sind. Fast alle haben Punktgewinne eingefahren in diesem Jahr. Nur weil sie nicht so spektakulär kochen wie Juan Amador oder Heiko Antoniewicz, die das experimentelle Element besonders stark gewichten, bedeutet das nicht, dass sie der Molekularküche abgeschworen hätten. Warum auch, sie sind ja nicht dumm. Im Gegenteil, sie sind klug, verbinden Wissen und Intuition auf beeindruckende Weise. Und sie wollen besser und besser werden. Sie lassen nicht raushängen, dass sie mit Texturgebern arbeiten und dass sie neue Verfahrenstechniken und -technologie nutzen, aber sie tun es. Und das ist gut so. Aber das klügste, was sie tun konnten war, nicht so viel Aufhebens davon zu machen und sich dem völlig unsinnigen und energiefressenden Konflikt zu entziehen, den die Orthodoxen immer wieder entfachen. Spätestens beim Probieren der Pralinés, die von Nils Henkel beim Dinner zur Vorstellung des neuen Gault Millau serviert wurden, wenn nicht schon früher, sollte Kohnke gemerkt haben, dass auch hier, bei Deutschlands Koch des Jahres, Texturgeber am Start sind.

Molekularküche ist eine Wissenschaft, vergleichbar der Molekularbiologie. Sie beschreibt die Auseinandersetzung mit den unzähligen kleinen und großen Fragen des Kochens. Hervé This, Naturwissenschaftler und einer der Begründer des Genres, umreißt klar, was sie ausmacht: 1. Erforschung sozialer Phänomene in Zusammenhang mit kulinarischer Aktivität. 2. Untersuchung chemischer und physikalischer Aspekte der künstlerischen Komponente des Kochens. 3. Auseinandersetzung mit den technischen Komponenten des Kochens zur Entwicklung von Definitionen sowie die Sammlung und Prüfung kulinarischer Details von Rezepten und Gerichten, einschließlich ihres Erscheinungsbildes.

Darum geht es. Und nicht um die Herstellung von Industrienahrung. Im zweiten Teil werde ich mich unter anderem der Frage zuwenden, warum es nicht möglich ist, mit Xanthan dauerhaft eine Tapete an die Wand geklebt zu bekommen. Klaus Dahlbeck via http://blog.rewirpower.de/

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