75 Prozent der Varietäten sind verloren gegangen
Im vergangenen Jahrhundert sind
nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO 75 Prozent der
Nahrungsmittelpflanzen verloren gegangen. Insgesamt leben die Menschen
im Großen und Ganzen von nur drei Nahrungspflanzen: Weizen, Reis und
Mais. Die Katastrophe daran ist, dass ärmere Länder fast doppelt so
stark von diesen Pflanzen abhängig sind wie reichere Nationen, berichtet
BBC-Online. Nun suchen Experten nach einer Lösung aus der Misere.
Ein Beispiel hat der Experte für tropischen Landbau, Sayed Azam-Ali von
der University of Nottingham, in den Kolli Hills in Tamil Nadu in Indien
gefunden. Die Menschen in der bis 1960 völlig von der Außenwelt
abgeschnittenen Region lebten in erster Linie von Hirse, die hier seit
Jahrhunderten angebaut wurde. „Das war in der Tat die einzige
Nahrungspflanze, auf die sich die Menschen verlassen konnten“, so Bala
Ravi, Forscher der Swaminathan Research Foundation http://www.mssrf.org
. Mit der Erschließung der Region durch Verkehrswege haben viele der
Bauern auf andere wesentlich ertragreichere Pflanzen wie etwa Cassava –
auch Tapioka genannt – umgesattelt. Das habe im Lauf der Zeit dazu
geführt, dass die alte Kulturpflanze und ihre Anbaustrategien verloren
gegangen sind.
Die Forscher haben die Bauern nun wieder dazu ermuntert, auf Hirse
umzusteigen, da diese bessere Chancen bietet und zudem mehr Sicherheit.
„Genau das ist ein altbekanntes Problem“, meint Peter Zipser, Obmann der
Arche Noah http://www.arche-noah.at , der Gesellschaft zur Erhaltung der
Kulturpflanzenvielfalt. „Viele der früher
gezüchteten Kulturpflanzen waren optimal auf die geographischen
Bedingungen angepasst.“ Zipser schätzt die Zahl der weltweit
wesentlichen Kulturpflanzen mittlerweile auf knapp 30. „Die
Rahmenbedingungen für den Anbau von Kulturpflanzen haben sich weltweit
verschärft. Argumente, die für oder gegen eine Sorte sprechen, sind
allerdings nicht notwendigerweise der Geschmack, sondern schon eher die
Gestalt, die Transportfähigkeit, die Größe oder die Farbe. „Ein gutes
Beispiel dafür sind zum Beispiel die heute in Supermärkten angebotenen
Tomaten“, so Zipser. Was auf den Markt komme, bestimmen nicht mehr die
Bauern, sondern der Handel.
Der seinerzeit unter Bauern übliche Saatguttausch sei längst illegal und
verboten. „Die Folgen davon sind dramatisch. Die meisten Länder können
sich nicht mehr selbst ernähren. Die Ernährungsautonomie ist
weggefallen“, meint Zipser. Selbst arme Länder wie etwa in Zentralafrika
erledigen nur Auftragsarbeit für die industrielle Landwirtschaft in
Europa oder in den USA. „Den Menschen wird Gemüse, das in Europa
angebaut wurde, zu Schleuderpreisen verkauft. Damit werden lokale
Produzenten komplett vom Markt verdrängt“, kritisiert der Experte. Wie
dramatisch die Auswirkungen sind, zeige sich anhand der 40.000 Suizide
unter indischen Kleinbauern, berichtet Vananda Shiva, Trägerin des
alternativen Nobelpreises. Der Saatgutbereich werde von einigen wenigen
globalen Playern betreut. Diese bestimmen darüber, was verkauft werden
dürfe und was nicht.
Einige Experten geben der industriellen Landwirtschaft keine besonders
großen Zukunftschancen. Der Ausweg aus dieser Krise könne nur in einer
vielfältig, lokal angepassten kleinräumigen Form der Landwirtschaft
möglich werden, meint der Humanökologe Peter Weish von der Universität
für Bodenkultur http://www.boku.ac.at gegenüber pressetext. „Diese ist
in der Lage im Einklang mit biologischer und kultureller Vielfalt die
Ernährungsbasis der Menschen zu sichern.“ Ein Grund, warum Weish auch
Gentech-Gegner sei, liege darin, dass mit Hilfe der Gentechnik in Händen
von Agro- und Chemiekonzernen die Globalisierung der industriellen
Landwirtschaft weiter beschleunigt und zukunftsfähige agrikulturelle
Strukturen weltweit aus dem Feld geschlagen werden. Weltweit wächst die
Einsicht, dass die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft nur auf dem Weg
der Ökologisierung möglich ist. „Das bedeutet Wirtschaften mit der
Natur, Schließen der Stoffkreisläufe, lokal angepasste kleinräumige
Strukturen mit reicher Sortenvielfalt. Auf diesem Weg ist die
Bodenfruchtbarkeit nachhaltig möglich und es sind hohe Flächenerträge zu
erzielen.“ (Wolfgang Weitlaner)