Convenience-Wüste Deutschland

Oliver Wyman-Analyse „Erfolgsstrategien für den deutschen Convenience-Markt: Nah, klein, schnell“

Deutschland ist im internationalen Vergleich eine Convenience-Wüste. Während in weiten Teilen der Welt Lebensmitteleinzelhändler mit unterschiedlichen Convenience-Formaten die spontane Nachfrage ihrer Kunden konsequent befriedigen und so beträchtliche Wachstumsraten erzielen, sind Stand-Alone-Konzepte hierzulande noch Mangelware. Dadurch lassen hiesige Lebensmitteleinzelhändler eine attraktive Wachstumschance ungenutzt. Gerade die Supermarktbetreiber haben sehr gute Voraussetzungen, von den überdurchschnittlichen Margen im Convenience-Bereich zu profitieren. Dies zeigt die aktuelle Analyse „Erfolgsstrategien für den deutschen Convenience-Markt: Nah, klein, schnell“ von Oliver Wyman. Supermärkte, die echte Convenience-Formate entwickeln und die Sortimente klar auf Kundenbedürfnisse und Kaufanlässe ausrichten, können das Potenzial dieses lukrativen Marktsegments in Deutschland ausschöpfen.

Wachstumsfelder mit hohen Margen sind im deutschen Lebensmitteleinzelhandel rar. Neben Bioprodukten und Eigenmarken gehört nur Convenience zu den wichtigsten Trends. Zuletzt stagnierte zwar der Umsatz der etablierten Convenience-Formate wie Kioske, Tankstellen und Bäckereien laut ACNielsen bei rund 23 Milliarden Euro. Doch die klassischen Einzelhandelskanäle wie Vollsortimenter, Discounter und Drogeriefachmärkte verzeichneten mit ausgewählten Convenience-Sortimenten ein massives Wachstum. Ausschlaggebend dafür ist nicht zuletzt der demografische Wandel. Die Zahl der Singlehaushalte beispielsweise nimmt in den kommenden Jahren weiter zu. Das Statistische Bundesamt ermittelte, dass im Jahr 2025 bundesweit die Privathaushalte zu 41 Prozent aus einer Person bestehen werden – nach 38 Prozent im Jahr 2006. Zugleich wächst die Zahl der berufstätigen Frauen und Pendler.

Entsprechend ändert sich das Einkaufsverhalten. Im Vergleich zu geplanten Vorratskäufen im Supermarkt nehmen Spontankäufe immer mehr zu. Dies erhöht die Nachfrage nach Mitnahmesortimenten wie Kaffee, Snacks oder der praktischen Trinkflasche für unterwegs. Zugleich wächst der Bedarf an frisch zubereiteten und vorpaketierten Salaten für die Mittagspause und Fertiggerichten für das Abendessen. Gemessen an Vorratskäufen spielt der Preis dabei eine eher untergeordnete Rolle, stellt Oliver Wyman in seiner aktuellen Analyse „Erfolgsstrategien für den deutschen Convenience-Markt: Nah, klein, schnell“ fest. Denn für Convenience sind die Verbraucher bereit, mehr auszugeben. Somit kann die Preisgestaltung auch durchaus margenorientierter ausfallen. „Lebensmitteleinzelhändler könnten hierzulande aber noch viel stärker davon profitieren, würden sie nicht nur Convenience-Produkte anbieten, sondern auch echte Convenience-Formate nach dem Motto nah, klein, schnell entwickeln“, so James Bacos, Director und Handelsexperte bei Oliver Wyman. „In dieser Hinsicht steckt Deutschland noch in den Kinderschuhen.“

Kleinflächenformate boomen weltweit

Dem Convenience-Trend tragen Händler in weiten Teilen der Welt längst konsequent Rechnung. Mit verschiedenen Formaten erzielen sie in den USA, in Japan, Großbritannien, Skandinavien und in der Schweiz beträchtliche Wachstumsraten. So generierte die weltweit erfolgreichste Convenience-Kette 7-Eleven im Jahr 2006 einen Umsatz von umgerechnet rund 15,4 Milliarden Euro. Dies entspricht gegenüber den 13,8 Milliarden Euro in 2005 einer Steigerung von 11,6 Prozent. Allein in Asien und Ozeanien betreibt das Unternehmen mehr als 24.000 Convenience-Shops in Form von Superkiosken. In Nord- und Mittelamerika sind es über 7.000, in Europa allerdings erst etwa 300. In Großbritannien stehen Tesco Express und Sainsbury’s Local in der Gunst der Kunden weit oben. Dabei handelt es sich um Verkaufsstellen, die ausschließlich vorgefertigte Lebensmittel für Kochunwillige anbieten und gleichzeitig die Bedürfnisse der Kunden nach einem bequemen, schnellen und leichten Einkauf bedienen. Auch in der Schweiz boomen die Convenience-Läden. Insbesondere Coop Pronto befindet sich hier auf Erfolgskurs: Der Umsatz der Convenience-orientierten Minisupermärkte an Tankstellen, Bahnhöfen und in Städten stieg 2006 um mehr als 21 Prozent auf umgerechnet 244,8 Millionen Euro (2005: 201,5 Millionen Euro). Die Verkaufsstellen nahmen von 153 auf 172 zu, und das Sortiment umfasst gut 2.000 Artikel des täglichen Bedarfs. Dazu zählen ofenfrische Backwaren, Convenience-Frischeprodukte, Obst und Gemüse, Wurst- und Fleischwaren.

Gute Ausgangsposition für Supermärkte

In Deutschland gibt es bislang kaum echte Convenience-Formate. Die Tankstellenshops sind auf den Wachstumszug Convenience aufgesprungen und leben von ihrem Wettbewerbsvorteil der langen Öffnungszeiten. Doch sie stoßen mangels Kompetenz im Lebensmittelbereich zunehmend an ihre Grenzen. Etablierte Supermarktbetreiber wie tegut mit tegut City, Edeka mit SPAR express und Kaiser’s Tengelmann loten gerade erst die Chancen kleinflächiger Läden in City-Lagen einzelner Großstädte, an Bahnhöfen und Flughäfen aus. Ihre Vorsicht hat nachvollziehbare Gründe. Verglichen mit anderen Ländern hat Deutschland eine weniger günstige Ausgangsposition, vor allem wegen der extrem hohen Dichte an Nahversorgungsverkaufsstellen im Lebensmitteleinzelhandel. Darüber hinaus ist es noch immer nicht möglich, die Läden 24 Stunden geöffnet zu halten. Auch haben sich zahlreiche Bäckereien, Metzgereien und Drogerien in den vergangenen Jahren immer mehr in Richtung Convenience entwickelt.

Zugleich gilt es bei vielen Vollsortimentern zusätzliche Barrieren zu überwinden. Groß sind die Bedenken, mit dem Kleinflächenformat das etablierte Geschäftsmodell zu kannibalisieren. Doch die Erfolge von Sainsbury’s Local und Tesco Express zeigen, dass die Gefahr der Kannibalisierung begrenzt ist, denn bei Convenience werden andere Kaufanlässe bedient. Zudem scheuen viele Anbieter die zusätzlichen Kosten. „Davon sollten sich die Supermarktbetreiber nicht abschrecken lassen“, betont Sirko Siemssen, Partner bei Oliver Wyman. „Das Umsatz- und Ertragspotenzial von Convenience ist derart hoch, dass es sich lohnt, mit speziellen Kleinformaten der knappen Zeit des Kunden und seinem Bedarf nach vorgefertigten Lebensmitteln gerecht zu werden.“

Die Oliver Wyman-Analyse zeigt, dass vor allem Supermärkte eine große Chance haben, Convenience-Formate in Deutschland zu etablieren. Sie besitzen die nötige Kompetenz im Lebensmittelbereich, sind traditionell Nahversorger und haben eine Reihe von Verkaufsflächen in Stadtlagen, die sich zu erfolgreichen Convenience-Läden entwickeln lassen. „Wichtige Voraussetzung ist allerdings, das richtige Format zu finden“, erklärt Handelsexperte Bacos. „Denn Convenience als Format ist kein Monolith. Für jedes Land und jedes Unternehmen kann ein anderes Modell zum Erfolg führen.“ Oliver Wyman hat insgesamt vier Convenience-Formate identifiziert. Sie reichen von den erweiterten Kiosken und Superkiosken über die Tankstellenshops bis hin zu Minisupermärkten.

Bei Convenience sind wie im traditionellen Einzelhandel spezielle Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen. Die Lage der Verkaufsstellen, also Einzugsgebiet und vorbeifließender Verkehr, ist ebenso wichtig wie ihre Leistung. Lokal maßgeschneiderte Sortimente, Frische und Qualität sowie Warenverfügbarkeit haben für den Kunden einen hohen Stellenwert. Übersichtlichkeit und Schnelligkeit, freundliches und kompetentes Personal sowie Zusatzdienstleistungen, die den Alltag erleichtern, sind ebenfalls ausschlaggebend für die Kundenzufriedenheit. Dagegen spielt der Preis eine geringere Rolle, denn die Verbraucher akzeptieren, dass für Convenience ein Aufpreis verlangt wird.

Category Manager sind gefordert

Darüber hinaus erfordert Convenience laut der Oliver Wyman-Analyse ein Maximum an Differenzierung und stellt damit höchste Ansprüche an das Category Management und die Supply Chain. Ein Standardangebot reicht nicht aus: Das Sortiment der einzelnen Verkaufsstellen muss in hohem Maß den lokalen Kaufanlässen Rechnung tragen. Diese sind von Standort zu Standort, von Tag zu Tag und von Uhrzeit zu
Uhrzeit unterschiedlich. Je relevanter die Sortimente für den ungeplanten Einkauf sind, desto besser ist das Ergebnis. Berücksichtigt werden muss auch, dass Convenience ein Optimierungsgeschäft ist. Die Verkaufs- und Regalflächen sind sehr begrenzt und müssen optimal genutzt werden. Zudem lebt Convenience von der Warenverfügbarkeit. Gleichzeitig können hohe Abschriften schnell die Ertragskraft gefährden. Hier muss die richtige Balance gefunden werden. Dies gilt auch beim Einsatz der wenigen Mitarbeiter, die sowohl für volle Regale als auch für eine schnelle Kassenabwicklung zu sorgen haben.

In Deutschland ist die Zeit reif für Kleinformate, die ausschließlich Convenience-Belange bedienen. Denn die Nachfrage nach Convenience-Produkten steigt in gleichem Maß wie der Bedarf an leicht erreichbaren und übersichtlichen Verkaufsstellen für den schnellen und bequemen Einkauf. „Supermärkte, die mit bestehenden Verkaufsstellen das richtige Format etablieren und die Erfolgsfaktoren von Convenience bei der Umsetzung konsequent einbeziehen, werden das lukrative Umsatz- und Ertragspotenzial dieses Wachstumssegments voll ausschöpfen können“, ist Berater Siemssen überzeugt.

Fünf Trends im deutschen Convenience-Markt

1. Viele etablierte Handelskanäle treffen beim Thema Convenience aufeinander: Vollsortimenter, Discounter, Drogeriemärkte, Tankstellenshops, Bäckereien und Metzgereien.
2. Ausgewählte Convenience-Sortimente verzeichnen aufgrund des veränderten Einkaufsverhaltens der Kunden in den klassischen Formaten des Lebensmitteleinzelhandels wie Vollsortimenter und Discounter ein starkes Wachstum.
3. Die Zukunft gehört Stand-Alone-Formaten wie 7-Eleven, Tesco Express oder Sainsbury’s Local. Klassische Kanäle und Formate bieten nicht das ideale Umfeld.
4. Im deutschsprachigen Raum tauchen erste Stand-Alone-Formate auf. Möglich ist eine Marktentwicklung wie bei den Drogeriefachmärkten in den letzten 20 Jahren.
5. Als traditionelle Nahversorger mit guten Stadtlagen haben die Supermärkte die beste Chance, das lukrative Umsatz- und Ertragspotenzial von Convenience voll auszuschöpfen

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