Die Meldung, in Deutschland lebten die meisten Übergewichtigen, sorgt in diesen Tagen für reichlich Diskussion. Fast täglich gibt es
neue Vorschläge, wie dem buchstäblich schwerwiegenden Problem am
besten zu Leibe gerückt werden kann. So wollen Politiker Ernährung
als Unterrichtsfach in die Schulen bringen, Verbraucherschützer
fordern ein Werbeverbot und eine Kennzeichnungspflicht für ungesunde
Lebensmittel. Und alle sind sich einig, dass gesunde Lebensmittel wie
Bioprodukte für jeden bezahlbar sein müssen. Die Techniker
Krankenkasse (TK) kritisiert dagegen blinden Aktionismus. Eine Studie
der Krankenkasse zeigt, dass weder fehlendes Wissen noch finanzielle
Gründe einer gesunden Ernährung im Wege stehen.
Die Forsa-Befragung der TK ergab, dass vor allem Geringverdiener
sich bevorzugt von kalorienreichen Hamburgern und Tiefkühlpizzen
ernähren. Jeder Sechste von ihnen gab an, mindestens viermal in der
Woche ins Tiefkühlfach oder zur Konserve zu greifen. Jeder zweite der
Befragten mit geringem Einkommen begründete seine Vorliebe für
ungesundes Essen mit finanziellen Aspekten. Dr. Sabine Voermans,
Leiterin des Gesundheitsmanagements bei der TK: „Erstaunlich. Denn
gerade Fastfood und Fertiggerichte sind im Vergleich zu
selbstgekochten Mahlzeiten sehr teuer.“
Bei Gutverdienern steht das ungesunde Junk-Food dagegen weniger
hoch im Kurs. 60 Prozent der Befragten mit einem Haushaltseinkommen
über 3.000 Euro gaben an, höchstens einmal in der Woche Pommes Frites
oder Currywurst zu ordern.
Dr. Voermans warnt deshalb angesichts der aktuellen Diskussion um
die „dicken Deutschen“ davor, jetzt vorschnell in Aktionismus zu
verfallen. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass es den Leuten nicht an
Aufklärung mangelt. Sie wissen, dass sie zuviel Zucker und vor allem
zuviel Fett zu sich nehmen. Doch unsere Studie zeigte, dass zwar
praktisch jeder – unabhängig von Einkommen und Bildungsgrad – weiß,
worauf es bei gesunder Ernährung ankommt, dies aber dennoch im Alltag
ignoriert. Jeder Zweite gab an, zu essen, was ihm schmeckt, egal ob
es gesund ist oder nicht.“
Die Studie zeigt, dass vor allem drei Argumente gegen ein
gesünderes Ernährungsverhalten sprechen: Durchhaltevermögen, der
Wille zur Veränderung und Zeit. „Es ist sehr schwierig, ein Verhalten
abzutrainieren, dass über Jahrzehnte zur Routine geworden ist“,
erklärt Präventionsexpertin Dr. Voermans. „Seinen Lebensstil zu
ändern, ist ein aufwändiger und langwieriger Prozess.“ Deshalb
reichten oberflächliche Kampagnen allein nicht aus. Gerade an den
Menschen, deren Ernährungsverhalten besonders kritisch ist, gingen
Gesundheitskampagnen meist vorbei.
„Um nachhaltig etwas auszurichten, müssen wir die Menschen dort
abholen, wo sie sind, und dabei alle Lebensbereiche einbeziehen: die
Schulen, die Familie, den Betrieb“, sagt Dr. Voermans.
Besonders wichtig ist Dr. Voermans das Engagement in Schulen. Um
den aktuell wieder lauter werdenden Ruf nach Gesundheitserziehung in
der Schule auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen, hat die
TK in Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in
Hamburg (HAW) in einer vierjährigen Studie in Hamburger Grundschulen
erprobt, ob Gesundheitsunterricht und ein gesundes Lernumfeld sich
positiv auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Schüler
auswirken. „Noch besser als das mühselige Abgewöhnen einer ungesunden
Lebensweise ist es nämlich, die nachfolgenden Generationen direkt zu
einem gesünderen Lebensstil zu motivieren. Dann können wir den
Kindern den steinigen Weg später ersparen“, so Dr. Voermans.