Das Kochbuch als Nationengründer

Artusis Grundlegende Verbindung von Wissenschaft und Kunst, Kochen und alkoholischem Genuss

Wie kann man einen aus Regionen bestehenden Bund zu einer Nation fördern. Heerscharen von Philosophen waren der Ansicht, dass man den Naturzustand, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf war, zugunsten einer freiwilligen Unterwerfung unter einen staatlichen Souverän aufgehoben hat.

Das dieser Akt viel weniger einer der Unterwerfung, als einer des Mahls war, kann man anhand eines viel beachteten Kochbuches für Italien nachzeichnen.

1891, im Geburtsjahr von Max Ernst, Johann Heinrich Suhrkamp und Antonio Gramsci unternimmt ein bis dato erfolgloser Literat und hauptberuflicher Bankier ein gewagtes Unterfangen. Er sammelte aus allen Teilen Italiens Rezepte und tat sich mit zwei Köchen zusammen: Marietta Sabatini aus der Toskana, sowie Francesco Ruffilli aus der Romagna, beide Meister am Herd, wenn auch keine Küchenprofis, denn Artusi misstraute diesen Magiern der Küche, ihm war es daran gelegen, die traditionellen Rezepte zu versammeln und sie mit Erzählungen zu verknüpfen.

Der Hobby-Schriftsteller, der bis zu diesem Zeitpunkt zwei wenig beachtete Monographien verfasste, wurde durch seine geistreiche Rezeptsammlung berühmt. Er unternahm das Wagnis, sein Buch auf eigene Kosten drucken zu lassen und vertrieb es im seinerzeit äußerst innovativen Versandhandel. Dies mit einem solchen Erfolg, dass er 1909 schon die dreizehnte Auflage vornehmen konnte. Die ursprünglich versammelten 475 Rezepte wuchsen auf fast 800 an. In Italien wurde es zu einem festen Ritual, der Tochter zur Verlobung einen Artusi zu schenken, um ihr das Rüstzeug für eine gute Küche mit an die Hand zu geben.

Artusi versteht es dabei einen Küchenstandard festzulegen, gerade, da er sich nicht nur auf Essbares beschränkt. Sein Buch enthält neben Anweisungen für einen guten Espresso selbstredend auch ausgesuchte Rezepte für Orangen- und Vanillelikör, oder für den auch hier mittlerweile bekannten Zitronenlikör. Falls sie einmal den Anislikör probieren wollen, den Marlon Brando als Vito Corleone im ersten Teil des Paten ausschenkt, dann werden sie hier auf das passende Rezept stoßen.

Der Artusi ist verblüffender Weise auch heute noch zeitgemäß, da er bei der Auswahl der Gerichte sowohl darauf achtet, ihren eigenen Charakter herauszuarbeiten und ihre Entwicklungsgeschichte poetisch zu beleuchten. Die Ausgabe des Kosmos Verlages verzeichnet nicht nur die Erzählungen Artusis, sondern liefert auch die Rezepte in aktualisierter, fein abgestimmter Definition. So vereinigt sich hier Kochhistorie, praktische Anweisung, Poesie und die Liebe zu guten Produkten in ein aktuelles Werk, dem man mit Freude Beachtung schenken kann.

Pellegrino Artusi: Die klassische Kochkunst Italiens. Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens.
Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2005 ISBN-13: 978-3-440-10505-4 ISBN-10: 3-440-10505-9(mer/Gastrosophie)

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