Jakobsmuscheln

Bei Didier Robin, junger Chefkoch im Hotel La Chenevière in Port en Bessin, der Unteren Normandie, können die Gäste einen Kochkurs besuchen. Sie lernen von ihm dann zum Beispiel, wie man frische Jakobsmuscheln zubereitet (weitere Informationen unter www.franceguide.com ).
Die Saison ist mit dem Jakobsmuschelfest in Port en Bessin eingeläutet worden und dauert bis Mitte Mai. Die exakten Fangzeiten werden jährlich festgelegt und richten sich nach Einschätzung des verfügbaren Bestandes und des Marktes.

Vor M. Robin steht ein Korb mit ineinander gestapelten Jakobsmuscheln. Sie bestehen aus einer gewölbten unteren und einer flachen oberen Schale mit sich zu einer Seite hin verjüngenden Lamellen, die sich wie ein Fächer, Sonnenstrahlen gleich, aufspannen. Im Mittelalter benutzten Pilger die gewölbte Muschel als Trinkschale. Mit ihr wiesen sie auch ihre Pilgerschaft nach. Die Muschel wurde am Wallfahrtsort verkauft und war wichtige Einnahmequelle. Bis heute ist sie Erkennungszeichen der Pilger und weist die Jakobswege nach Santiago de Compostela aus.
Didier Robin nimmt eine Jakobsmuschel, trennt mit einem Messer den weißen Muskel, der beide Teile zusammen hält, vom flachen Muschelteil ab, hebt ihn hoch und gibt den Blick frei auf die lebende Muschel, die vollständig im gewölbten Teil liegt. Die Hobbyköche sehen den dicken, weißen Muskelstrang, “la noix”, die Nuss, “la barbe”, den Bart mit den sechzig blauen Augen, “le coreil”, den roten Rogen, und eine schwarze Tasche, “la poche noire”. Mit den vielen winzigen Augen erkennt die der Familie der Kammmuscheln angehörende Jakobsmuschel Feinde. Auf der Flucht schwimmt sie schnell meterweise durchs Wasser, indem sie durch rasches Schließen der ungleichen Klappen einen Rückstoß erzeugt. Mit einem Suppenlöffel hebt Robin das gesamte Weichteil heraus und befreit mit der Hand die Nuss von allen übrigen Organen. Der Rogen ist ebenfalls eine Delikatesse, aber zur Zeit noch nicht genügend ausgeprägt. Auch den Bart kann man für eine Bouillon verwenden, aber M. Robin hat es auf die Nuss abgesehen, denn heute gibt es ein Cappacio von frischer Jakobsmuschel. Sie wird ganz dünn aufgeschnitten, schön arragiert und mit dunklen Schokoladensplittern bestreut.

Die Muscheln sind lebende Nahrungsmittel. Sie dürfen in der Muschel nur zwei Tage, die Nuss an sich in Frischhaltefolie zwischen 3 und 4 Tagen im Kühlschrank aufbewahrt werden. Am besten ist es aber, sie ganz frisch zu genießen und sie dazu ganz kurz in ein bisschen Butter zu braten. So bleiben auch B12, Niacin, Zink und Eisen erhalten.

Vor der normannischen Küste hat die wilde Jakobsmuschel beste Lebensbedingungen: grobkörnigen Sand, Süßwasser aus der Seine, und Plankton, von dem sie sich ernährt. Sie gehört zu den bedrohten Arten und so ist ihr Fang streng reglementiert. Pro Schiff, das nicht länger als 16 Meter sein darf und auf dem nicht mehr als 6 Fischer arbeiten dürfen, darf pro Woche eine Tonne, pro Tag und Fischer dürfen nicht mehr als 250 kg gefischt werden. Die festgesetzte Mindestgröße der Jakobsmuschel beträgt 11 cm.
2/3 der gesamten 15 000 in Frankreich gefischten Tonnen kommen aus der Unteren Normandie. Sie ist dort die meistgefischte Muschelart.

Jedes Jahr am 2. November-Wochenende strömen die Menschen nach Port en Bessin-Huppain, um die Jakobsmuschel zu feiern. Schon einige Tage vor dem Fest stehen die Büdchen am Hafen bereit. Sie sind bunt gestrichen und beherbergen am Wochenende Menschen, die sogar Salz und Zucker in Jakobsmuschelform verkaufen. Kinder bieten Mobilés aus Jakobsmuscheln an und die Fischersfrauen sitzen schon früh morgens dort und schälen Kartoffeln, die sie zu ihren feinen Gerichten reichen. Auch viele Pariser sind da, um sich den Leckerbissen zu sichern. In der großen Fischverkaufshalle, der criée, wo sonst die Fischgroßhändler die Fänge von den Fischern aufkaufen, stehen ausnahmsweise die Fischerfamilien selbst hinter ihren Verkaufsständen und verkaufen die Jakobsmuscheln zwischen 4 und 5 €. Die Fischer verdienen am Kilo 2,66 €. Ganze Berge von Jakobsmuscheln glänzen noch vom Meerwasser, Netzflechter zeigen Kindern die Flechtkunst und lassen mit ihnen zusammen die Schiffchen in den grünen Netzen verschwinden. Am Boden liegt ein echtes Jakobsmuschelfanggerät, eine “drague” (eng. dredge). Die Engländer erfanden es und zogen es nach dem 2. Weltkrieg über die Meeresböden. Die Schleppnetze aus Metall werden ins Meer gelassen, ein Rechen mit 10 cm langen Eisenzähnen gräbt den Meeresboden auf und befördert die vergrabenen Muscheln an die Oberfläche. Sie bleiben in den Netztaschen, deren Maschen nicht kleiner als 11 cm sein dürfen und werden an Bord gezogen.

Der Jakobsmuschel-Appetit der Franzosen ist kaum zu stillen. Letztes Jahr gab es am Sonntag des Jakobsmuschel-Festes keine einzige Jakobsmuschel mehr. Nina Esser

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