Die Tarte Tatin, der gestürzte Apfelkuchen aus Frankreich, ist eine Versuchung wert. Das herrlich süsse, verkehrt herum gebackene Dessert ist wegen einer kleinen amourösen Verwirrung entstanden – so berichtet die Anekdote. Die verkehrte Backmethode wird mittlerweile für viele Kuchen angewandt, es gibt sogar salzige Varianten.
Ein galanter Gast sorgt für Verwirrung
Noch heute steht im französischen Städtchen Lamotte-Beuvron im Herzen Frankreichs (Loiretal der Schlösser) das hübsche kleine «Hôtel Tatin». Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten es die Schwestern Caroline und Stéphanie Tatin von ihrem Vater übernommen. Sie beherbergten vor allem reiche Gäste aus Paris, die am Wochenende angereist kamen, um hier zu jagen.
Eines Tages, so erzählt man sich, geriet Stéphanie wegen der Redseligkeit eines besonders galanten Gastes derart in Verwirrung, dass sie vergass, Teig für ihren Kuchen auf das Blech zu legen, und Äpfel, Butter und Zucker direkt in die Backform gab. Sie hatte das Ganze bereits in den Ofen geschoben, als sie ihren Fehler doch noch bemerkte. Kurzerhand legte sie den vergessenen Teig dann einfach über die Äpfel. Vor dem Servieren stürzte sie den Kuchen umgekehrt auf die Platte und servierte ihn noch warm. Die verwöhnten Gäste staunten zwar über das ungewöhnliche Dessert, es mundete ihnen aber vorzüglich.
www.hotel-tatin.fr (franz.)
Das Original
Im Originalrezept werden verwendet: süsser Mürbeteig, rote Äpfel, Puderzucker, zerlassene Butter, Vanillezucker oder Zimt. Die Äpfel werden geschält und geviertelt. Der Boden der schweren Kuchenform oder tiefen Springform wird mit den Apfelstücken belegt und mit der Butter sowie mit Zucker grosszügig bedeckt. Die Schichtung ist zu wiederholen, und die oberste Lage wird mit Butter begossen sowie mit Zucker und Vanillezucker oder Zimt bestreut. Dann stellt man die Form in den geheizten Ofen und wartet, bis der Zucker caramelisiert. Dann die Form wieder herausnehmen und den Teig über die Apfelmischung legen. Nach dem Backen legt man einen Teller auf die Form und stürzt den Kuchen darauf. Nun sind die Äpfel oben und der Teig unten.Als passendes Getränk wird ein leichter (französischer) Rotwein oder ein Cidre empfohlen. Kaffee oder Tee passen natürlich auch dazu.
Bäuerliches Rezept: Einfach, aber erfolgreich
So weit die anekdotische Geschichte der Schwestern Tatin. Andere Quellen berichten, dass die Küche des Hotels «Tatin» gar keinen Backofen hatte, sondern auf dem Herd gebacken wurde: Man stellte die Kuchenform auf die Herdplatte und bedeckte sie mit einer Metallhaube. Wurde der Teig nun wie üblich direkt auf das Blech gelegt, brannte er schnell an; legte man jedoch die Äpfel zuerst auf die Backform und den Teig darüber, gab es keinen verbrannten Kuchenboden.Welcher Entstehungsgeschichte man auch Glauben schenkt: Die Zutaten, die einfache Zubereitung und die Tatsache, dass das Rezept selten in den grossen Patisserie-Rezeptbüchern zu finden ist, weist darauf hin, dass es ein Rezept aus der Bauernküche ist. Äpfel sind in dieser Gegend Frankreichs sehr verbreitet.
Eine Methode – viele Möglichkeiten
Das einfache Originalrezept wurde in all den Jahren vielfach variiert. Nur schon die Wahl der Äpfel kann das Gericht geschmacklich verändern. Empfohlen werden leicht säuerliche, fest kochende Äpfel, so entsteht eine geschmacklich feine Kombination mit der Süsse des caramelisierten Zuckers. Die Äpfel lassen sich auf diverse Arten schneiden: Sie werden einfach nur halbiert, geviertelt oder in feine Scheiben geschnitten.
Auch der Ablauf der Zubereitung wird unterschiedlich beschrieben: Die einen empfehlen, die Äpfel mit Zucker und Butter in der Pfanne zu caramelisieren; andere backen die Zutaten im Ofen separat vor und geben den Teig erst nach der Caramelisierung dazu. Als Gewürze werden Vanille, Zimt oder Kardamom erwähnt.
Welchen Teig soll man nehmen? Die einen bevorzugen normalen Blätterteig, andere einen süssen Mürbeteig, mal wird ein geriebener Teig empfohlen, mit oder ohne Ei zubereitet. Die Backzeiten variieren je nach Teigsorte und anderen Zutaten. Sehr lecker schmeckt der Kuchen warm.
Es gibt mittlerweile unzählige Varianten des «verkehrten» Kuchens «à la façon Tatin»: Anstelle der Äpfel werden Birnen, Mirabellen oder Aprikosen genommen, ja, es gibt sogar salzige Abwandlungen, nämlich mit Kartoffeln und Trüffeln oder Schalotten. Die Schwestern Tatin hätten die heutigen Rezepte sicherlich geschätzt – aber ob sie darin ihren Apfelkuchen erkannt hätten?
(Text: Alexandra M. Rückert)