Koch-Shows im Fernsehen, Gammelfleisch im Kühlfach

Die Dialektik der kulinarischen Katastrophe

Wie geht das zusammen? Einerseits: Da jagt ein Lebensmittelskandal den anderen, die „Systemgastronomie“ zaubert aus den immer gleichen vorgefertigten Zutaten ihre Einheitsgerichte, von den Krankmachern im Fast Food und den Kühlregal-Fertiggerichten warnen die Ärzte seit geraumer Zeit und in einem Film wie Supersize me kann man einem mutigen Regisseur zusehen, wie er sich mit Hamburgern an den Rand des psychischen und physischen Zusammenbruchs „ernährt“. Es ist, sagt der schwäbische Koch-Philosoph Vincent Kling, eine Art „Selbsthass“, der sich in der kulinarischen Katastrophe offenbart. Ein Teil der Gesellschaft begeht kulturellen und körperlichen Selbstmord mit Tüten, Dosen und Plastikbechern, und ein unbarmherziger Markt tut alles, um diesen Vorgang zu beschleunigen.

Anders als man meinen mag, ist das nicht wirklich ein Problem des Geldbeutels: Es ist vor allem eine Frage des (Selbst-)Bewusstseins. Dass man eine schlechte Fertigmahlzeit mit Phantasienamen und Geschmacksverstärkern einer guten Kartoffel mit Kräutern vorzieht, hat kulturpsychologische Gründe. Mit Geschmack hat es jedenfalls nichts zu tun. Das Essen als „Sprache“ ist verwahrlost; Image und Werbung, Konvention und Alltagstrott sind offenbar weit wichtiger geworden als Geschmack, Lust und Interesse am kulinarischen Diskurs. Die Produzenten und die Konsumenten schieben sich dabei gegenseitig die Schuld zu. Die wollen das doch so! Wir kriegen ja nichts anderes!

Andererseits: Kochshows auf allen Kanälen, Prominente und Leute wie du und ich, Drei-Sterne-Köche und Freaks, Gruppen und Einzelkämpfer, Familien und Cliquen, Schauspieler und Philosophen – alles kocht um die Wette, solange eine Kamera in der Nähe ist. Es scheint die netteste Art, sich wichtig zu machen und dummes Zeug zu reden. Und ist es nicht ein Akt der Selbstzivilisierung in unseren Medien, wenn man kocht, statt sich zu beschimpfen oder in Dschungelcamps von Spinnen bekrabbeln zu lassen? Vielleicht geht es ja gar nicht mehr so sehr um Traditionen und Geschmäcker als vielmehr um einen verzweifelten Versuch der Selbstzivilisierung. Die Kochshows pflegen in den populärsten Beispielen wie Tim Mälzers Schmeckt nicht, gibt´s nicht einen bewussten „Proll-Appeal“; Bild und Begriff im kulinarischen Diskurs haben sich dem allgemeinen Trend zur Regression unterworfen. Kindisch ist nicht nur die Show und der imaginäre Adressat, kindisch ist das Verhältnis von Subjekt, Objekt und Bearbeitung.

Die meisten Stars und Gäste solcher Shows haben von gutem Essen und seiner Geschichte keine Ahnung. Was sie demonstrieren, das ist nichts anderes als eine biedermeierliche Rückführung dessen, was auch in Schmuddel-Talkshows, Containern und Quizspielen geschieht: Das Herabstufen, Entkomplizieren, Verkindlichen und Verbreiten. Aus den Fernsehshows werden Bücher und Zeitschriften, die Rezeptflut setzt sich im Internet fort, man redet scheint´s in den Mediennetzen über nichts anderes so gern und ausgiebig wie übers Essen. Vielleicht weil Sex schon weiter entwertet ist als Essen.

Es ist ein durchaus populärer Diskurs geworden. Am erfolgreichsten sind jene Inszenierungen, die dem normalen Menschen die Scheu vor Luxus und Sitten nehmen wollen: Gutes Essen soll nicht den Feinschmecker-Zirkeln mit den snobistischen Manieren und der Bereitschaft, ein Vermögen zu investieren, überlassen werden. Und eine Wissenschaft muss man aus dem kulinarischen Diskurs auch nicht machen. Man kann auf eine Demokratisierung von kulinarischem Wissen hoffen, bei aller Reduktion, immerhin. Schön für uns.

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http://www.freitag.de/2006/46/06462101.php

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