Ethnologen bringen Licht hinter die vermeintlichen Paradiese
R E Z E N S I O N – Inseln sind es, die
eine spezielle Anziehungskraft auf Reisende ausüben. Ein Grund dafür ist
die in sich geschlossene Welt einer Insel, „in der wir für eine Zeitlang
eintauchen können. Der Vorteil dieses abgeschlossenen Systems liegt in
seiner leicht zu erkundenden Endlichkeit, die einem das Gefühl gibt,
nichts verpasst zu haben“, wie der österreichische Freizeitforscher
Peter Zellmann vom Institut für Freizeit und Tourismusforschung es
einmal treffend beschrieben hat. Er meinte, dass der
Malediven-Insel-Urlauber sein Eiland nach 14 Tagen Aufenthalt zu 100
Prozent kennt. Das ergebe eine ideale Erfüllung von Urlaubswünschen.
Die beiden Ethnologinnen Heidi Weinhäupl und Margit Wolfsberger haben in
ihrem neuen Buch „Trauminseln? – Tourismus und Alltag in
Urlaubsparadiesen“, das im LIT-Verlag http://www.lit-verlag.de
erschienen ist, einen genaueren Blick hinter die Kulissen einiger dieser
Traumziele geworfen. Im ersten Kapitel geben sich die beiden
Herausgeberinnen auf die Suche nach der Frage, wie denn das Geschäft mit
den vermeintlichen Träumen aufgezogen wird. Dabei liefern die Autorinnen
zahlreiche Querverweise zu bereits veröffentlichten Artikeln oder Texten
aus der Wissenschaft. „In diesem Sammelband sollen einige dieser
touristischen Bilder und die dahinter liegenden Machthierarchien
aufgezeigt werden – das Spektrum reicht dabei vom Kannibalismus auf
Fidschi über die Begeisterung rund um die Filmtrilogie ‚Herr der Ringe‘
in Neuseeland bis zu Tahiti und Rapa Nui“, so die Autorinnen. In einem
zweiten Teil gehe es darum, Realitäten hinter der Fassade aufzuzeigen –
die Traumata durch Bürgerkrieg und Tsunami-Katastrophe in Sri Lanka, die
Geschichte der Minderheiten auf Mauritius und die Schwierigkeiten des
Alltags auf Kuba.
Zudem werden die Auswirkungen des Tourismus selbst, des Geschäfts mit
den Träumen der Menschen geschildert. „Dabei zeigen etliche Beispiele
besorgniserregende Folgen der Kommodifizierung – des zur Ware Machens
von Räumen, Objekten und Menschen – bis hin zu erschreckenden Trends wie
Kindersextourismus“, schreiben die Autorinnen, die aber auch einräumen,
positive Entwicklungen und die Voraussetzungen dafür ebenso zu
thematisieren. Tourismus ermögliche wirtschaftliches Überleben und
Wachstum – auch in Regionen, die aufgrund ihrer Lage ansonsten von der
nationalen Wirtschaft und ihren Kapital-, Güter- und Arbeitskraftflüssen
weitgehend abgeschnitten sind. Auf der anderen Seite stehen unerwünschte
gesellschaftliche Veränderungen und Umweltprobleme.
Der Beitrag über Fidschi stammt vom Südsee-Experten, dem Ethnologen
Hermann Mückler von der Universität Wien. Er spricht jene Stereotype an,
die in Europa das Bild von „Trauminseln“ über Jahrhunderte hinweg
formten. Der Beitrag von Julie Scott widmet sich dem nördlichen Teil der
Insel Zypern und den dortigen Auswirkungen des Fremdenverkehrs. Ein
Beitrag von Matthias Beyer bietet eine umfassende Analyse des
Nachhaltigkeits- und Partizipationsbegriffs im Tourismus. Weitere
Beiträge beschäftigen sich mit der Isla de la Plata in Ecuador sowie mit
dem Problem des Kindersextourismus.
Das Buch spricht vor allem all jene Menschen an, die ein umfassenderes
Bild ihrer Urlaubsdestination mögen und einen Blick hinter die Kulissen
der Klischees wagen. „Es gibt durchaus die Möglichkeit, sich in
Vorbereitung einer Reise oder im Kontakt mit den Menschen vor Ort mit
unterschiedlichen Aspekten auseinander zu setzen, die eigenen
Erwartungen zu reflektieren oder die Strukturen und Auswirkungen der
Tourismus-Industrie zu hinterfragen. Über eine solche Auseinandersetzung
können vorgefasste Bilder erweitert oder durchbrochen und letztlich auch
neue Reiseerlebnisse gemacht werden. Dieses Buch will dazu einen Beitrag
leisten“, schreiben die Herausgeberinnen im Vorwort. Das ist ihnen sehr
gut gelungen. Wolfgang Weitlaner