Nigella Lawson hat sich als Treffpunkt den altehrwürdigen „Rib Room“ in den Londoner Carlton Towers gewünscht. Weil es dort für jemanden wie sie, der so „schrecklich viel koche“, ehrliches Essen wie Roastbeef, Steak, Pommes und Sandwich gebe. Am Nebentisch lassen ein paar verzogene Ölmagnatenerben dreimal das 15 Pfund teure Sandwich zurückgehen. Die scheinen das irgendwie anders zu sehen.
Man hatte sich eigentlich vorgenommen, nicht noch einmal zu erwähnen, dass Englands bekannteste Fernsehköchin fantastisch aussieht; kommt dann aber doch nicht daran vorbei, weil es so angenehm ist, in der ganzen Size-0-Diskussion eine schöne Frau mit Größe 42 zu sehen. Obwohl auch sie zugibt, gerade an ihrer Portionenkontrolle zu arbeiten. Allerdings erfolglos.
Welt.de: In Ihrem gerade erschienenen Kochbuch „Festessen“ schreiben Sie, was wir essen, sage eine Menge darüber aus, wer wir sind und wie wir leben möchten.
Nigella Lawson: Absolut.
Was sagt es über mich aus, wenn ich bevorzugt Entrecote mit Sauce Bérnaise esse. Oder Ketchup-Spaghetti?
Lawson: So war das nicht gemeint. Ich will nicht analysieren und richten. Was ich meinte, war, dass es sehr einfach ist, sich selbst zu betrügen. Gerade heute, wo wir so sehr damit beschäftigt sind, wie wir wirken. Aber unser Geschmack bleibt unser Geschmack. Was eine Person gern isst und auch wie man isst, ist eine sehr ehrliche Aussage.
Und was wir kochen?
Lawson: Wir essen, worauf wir Lust haben, und kochen, wozu wir Zeit haben. Aber natürlich: Kochen hat viel mit Temperament zu tun. Genauso wie manche lieber eine halbe Stunde früher am Bahnhof sind und andere immer auf die letzte Minute kommen, unterscheiden wir uns auch beim Kochen.
Aufschlussreich ist auch, was man für Gäste kocht, oder?
Lawson: Oh ja. Männer zum Beispiel tendieren dazu, die Leute beeindrucken zu wollen. Sie haben mehr Konkurrenzdenken beim Kochen. Deswegen gibt es wohl auch mehr männliche Chefköche. Was aber wirklich viel über die Persönlichkeit aussagt, ist die Art, wie man isst. Ob man ganz in Ruhe und ordentlich isst oder schlingt. Ich fühle mich zu Menschen hingezogen, die chaotische Esser sind und eher viel essen. Das sind meistens sehr großzügige Charaktere. Unser Essen ist in jeder Beziehung spannend. Achten Sie mal drauf.
Obwohl es Menschen gibt, die sich gar nicht für Essen zu interessieren scheinen.
Lawson: Ich weiß. (Das englische „I know“ scheint in der Anzahl seiner Bedeutungen stark an „sorry“ heranzukommen. Hier hatte es eine eher angeekelte Note). Davon gibt es drei Kategorien: Die, denen Essen sehr wohl etwas bedeutet, die aber so tun, als ob es das nicht tue. Das sind vor allem Frauen. Dann gibt es die, die es irgendwie zu unintellektuell finden. Und dann noch die, denen wirklich plötzlich auffällt: „Oh, ich habe heute noch gar nichts gegessen.“ Das könnte mir nie passieren, ich bin eher maßlos. Meine Tochter sagte kürzlich, als sie nicht weiteressen wollte: „Mama, du weißt doch, wie das ist, wenn man etwas wirklich mag, aber einfach nicht mehr kann.“ Dann sah sie mich an und sagte: „Okay, vielleicht weißt du es doch nicht.“
Sie sind eigentlich Journalistin und fingen eher aus therapeutischen Motiven an zu kochen, als Ihre Mutter starb und Ihr erster Mann an Krebs erkrankte. Wie reagieren Chefköche auf eine Autodidaktin wie Sie?
Lawson: Ich bin sicher, sie hassen mich. Die wirklich Talentierten sind souverän genug, mich nicht als Konkurrenz zu sehen. Wer jedoch findet, selbst nicht genug Aufmerksamkeit zu bekommen, sagt sicherlich: Die hat doch keine Ahnung.
Hätten Sie rückblickend gern die klassische Kochschule gemacht?
Lawson: Oh nein. Ich habe sehr gern als Journalist gearbeitet. Und ehrlich gesagt, glaube ich, ist es ein großer Vorteil, kein wirklicher Experte zu sein. Wenn ich ein Rezept schreibe, stehe ich auf der gleichen Stufe wie meine Leser.
Sie dozieren weniger. Ihre Kochbücher lesen sich mehr wie Belletristik.
Lawson: In erster Linie schreibe ich eben immer noch sehr gern, so wie ich früher Food-Kolumnen geschrieben habe. Essen ist ja auch ein dankbares Thema. Eine Novelle würde ich sicherlich nicht schaffen.
Ihr neues Buch heißt „Festessen – jeden Tag ein Fest“, weil …
Lawson: … am liebsten hätte ich es „Festfressen“ genannt.
Sie schreiben, Essen markiere Momente, Anlässe, die uns wichtig sind. Verlieren wir diese Tradition?
Lawson: Ich rede von Essen, nicht unbedingt von Kochen. Auch wenn wir vielleicht weniger selbst kochen, kann ich doch an keinen Anlass denken, der nicht irgendwie mit Essen verbunden ist.
Aber man lädt dazu weniger zu sich nach Hause ein, weil Kochen für viele mit Stress zu tun hat.
Lawson: Ist bei mir auch oft so, kann ich gut verstehen. Viele machen den Fehler, dass sie eine Kochshow gucken, bei der alles ganz einfach aussieht, und zu Hause verzweifeln sie. Die Leute machen sich die Sache viel zu schwer, weil sie glauben, alles müsse perfekt sein.
Ich habe kürzlich Freunden ein Risotto serviert, das noch nicht ganz gar war. Also kam es zurück in den Topf, danach war es perfekt. Als ich das einer Freundin erzählte, meinte sie, das sei ja unglaublich peinlich.
Lawson: Überhaupt nicht. Wir laden Freunde ein, keine Restaurantkritiker. Ich verstehe auch nicht, warum Leute einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn ihr Kuchen auseinanderfällt. Wenn das das Schlimmste ist, was einem passiert, ist man reich gesegnet.
Lesen Sie das gesamte Interview in DIE WELT:
http://www.welt.de/data/2006/10/01/1053446.html