Deutschland hat Chancen als Genuss-Standort

Über 500 Repräsentanten aus Lebensmittelindustrie und –handwerk sowie Experten aus Wissenschaft, Handel und Food-Kommunikation sind zu den Lebensmitteltagen der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) nach Frankfurt und ins nahe Bad Soden gekommen. Damit hat diese neue zweitägige Veranstaltung eine „erfolgreiche Premiere“ verzeichnen können, wie DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer zum Abschluss feststellte. Im Mittelpunkt standen unter dem aktuellen Thema „Genuss-Standort Deutschland“ Zukunftsstrategien für Lebensmittel. „Made in Germany“ kann auch bei Lebensmitteln zu einem Markenzeichen und zu einem Exportartikel für deutsche Hersteller werden, so ein Fazit der Tagung. Es lohne sich für sie, Deutschland mit neuen Initiativen und kreativen Ideen als Genuss-Standort zu entdecken.

„Deutschland als Genuss-Standort zu entdecken, lohnt sich“, erklärte DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer zu Beginn der Tagung. „Denn Menschen, die dem täglichen Essen einen höheren Stellenwert beimessen, lernen Lebensmittel als das schätzen, was Sie wirklich sind, nämlich Mittel zum Leben – und zum Genießen.“ Für dieses Lernen von Genuss benötige man aber neue Initiativen und kreative Ideen. Der Verbraucher habe heute nur noch wenig Zeit, sich mit der Entstehung des Genusses auseinanderzusetzen. Die Kommunikation von Herstellungsprozessen, das Wissen um Inhaltsstoffe und das Know-how über die Ausgangsprodukte seien aber wesentliche Bestandteile dieses Genuss-Empfindens. „Genuss ist nicht nur eine Philosophie für die wohlbetuchte Lifestyle-Society, sondern wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfungskette Lebensmittel“, so Bartmer. Allerdings müsse man erkennen, so der DLG-Präsident weiter, dass der Konsument gleichzeitig in parallelen Genuss-Welten lebe. „Genuss darf nicht ideologisiert werden. Der Lebensmittelhersteller muss sich mit den realen Bedürfnissen der Verbraucher auseinandersetzen. Qualität und Vielfalt sind die Langfriststrategien gegen die kurzen Halbwertzeiten unserer schnelllebigen Konsumgesellschaft.“

Neueste Ergebnisse einer aktuellen und von der DLG in Auftrag gegebenen Studie stellte die Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Prof. Dr. Renate Köcher, vor. Trotz tatsächlicher oder vermeintlicher Missstände bei der Produktion von Lebensmitteln liegt danach das Vertrauen in die Qualität deutscher Lebensmittel insgesamt auf einem hohen Niveau. Und das, obwohl die Verbraucher nicht einmal ansatzweise die umfassenden Qualitätskontrollen und Tests von Lebensmitteln kennen würden, so die führende Demoskopin und Marktforscherin. Die Vertrauensbildung durch die Information über Qualitätskriterien und Qualitätskontrollen könne auf diesem Feld erheblich vorangetrieben werden. Denn das Interesse an einer Ausweitung der Information über die Qualität von Lebensmitteln sei beachtlich: Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung fühle sich ausreichend informiert und wünsche eine Ausweitung der Information. Qualitätssiegel wie auch Herkunftsnachweise können danach an Bedeutung gewinnen, erklärte Prof. Renate Köcher.

Das Potential von „Made in Germany“ könne auch bei Lebensmitteln von deutschen Herstellern weitaus stärker genutzt werden, als dies bisher der Fall ist“, so das Ergebnis der Allensbach-Studie. 45 Prozent der gesamten Bevölkerung und 50 Prozent der Frauen seien überzeugt, dass „Made in Germany“ nicht nur bei Autos, Maschinen oder medizinischen Geräten ein Qualitätssiegel ist, sondern auch bei Lebensmitteln. Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist überzeugt, dass zu den besonderen deutschen Stärken und Begabungen gerade auch die Fähigkeit gehört, Lebensmittel von hoher Qualität herzustellen. Diese Überzeugung ist quer durch alle Generationen zu finden. „Die Bevölkerung genießt die Vielfalt und Internationalität der Produktpalette, die ihr heute angeboten wird. Sie ist gleichzeitig in hohem Maße überzeugt, dass „Made in Germany“ auch bei Nahrungsmitteln ein Gütesiegel ist.“

Die bekannte internationale Konsumpsychologin Prof. Simonetta Carbonaro (Karlsruhe und Universität Boras/Schweden) postulierte im Rahmen der DLG-Tagung einen Paradigmenwechsel. Die „gute Mutter“, die durch ihr Wissen und Können die Familie versorgt, gäbe es nicht mehr. Lebensmittelhersteller müssten deshalb nachhaltig Verantwortung für ihre Produkte übernehmen und das Thema „Qualitäten“ ganzheitlich vermitteln. Dabei habe das Qualitätsverständnis bei den Kunden eine neue Dimension erreicht. „Heute lassen sich Konsumenten nicht mehr so einfach durch eine Kommunikation der Superlative beeindrucken. Die vielen bunten Bild- und Erlebniswelten machen ihnen ihre Hilflosigkeit vor der Angebotsvielfalt höchstens noch bewusster, sie vergrößern den emotionalen Abstand zu industriell gefertigten Lebensmittel immer weiter“, so Prof. Carbonaro. „Verbraucher haben viel weniger das Bedürfnis nach neuen Produkten als nach einfachen, intuitiv fassbaren Bezugspunkten, die ihnen ihre Kaufentscheidung erleichtert“. Für die renommierte Konsumforscherin heißt heute „gute“ Kommunikation, „etwas über die Geschichte und den Entstehungsprozess der Produkte erzählen zu können.“

Der Markt der Massenprodukte befindet sich nach den Analysen von Prof. Simonetta Carbonaro in einer grundlegenden Umbruchsphase. Die Konsumenten würden die klassischen Qualitätskategorien von „Niedrig“, „Mittel“, „Hoch“ und „Premium“ zunehmend als künstliche Abstufungen einer ähnlichen Standardqualität empfinden. Doch die viel diskutierte Polarisierung der Märkte dürften nicht als gegenläufige Konzepte betrachtet werden. „’Klasse’ und ‚Masse’ beginnen sich vielmehr zu ergänzen und sich gegenseitig zu unterstützen“, so ihre Feststellung. So sei der „Markt der Exzellenz“ ein sehr empfindlicher Seismograph für die latenten, von den Menschen nicht direkt formulierbaren Bedürfnisse. „Er ist der eigentliche Trendsetter der Ernährungswirtschaft und hat Vorbildfunktion für den Markt industrieller Standardprodukte, wie die steigende Bedeutung von Bio- und Frischeprodukten im Lebensmitteleinzelhandel exemplarisch zeigt“, prognostiziert sie. Im Gegenzug ermögliche der Discountsektor einer breiteren Bevölkerungsschicht, sich ab und zu auch etwas „Besonderes“ zu leisten. „Sie decken ihren Grundbedarf in Discountläden ab und unternehmen gleichzeitig reale oder virtuelle Reisen, um an Produkte heranzukommen, für die sie eine hohe Wertschätzung haben.“

Wie man Lebensmittel durch das „Erzählen ihrer Geschichte“ dem Verbraucher erfolgreich näher bringt und auch mit Tradition Wertigkeit und Differenzierung im hart umkämpften Markt erzielen kann, zeigten Wolfgang Mainz, Mitglied der Geschäftsleitung der Großbäckerei Kronenbrot aus Würselen, sowie Roman Niewodniczanski, der als Inhaber des Weingutes Van Volxem (Saar) zu den „steilsten Aufsteigern“ in der Weinszene gehört. Die Großbäckerei profiliert sich nicht über Technik und ein standardisiertes Sortiment, sondern über die „Story“ ihrer Produkte sowie die Menschen, die sie verarbeiten. „Klarer Auftrag“, so Wolfgang Mainz, „ist es, deutsche Werte und Traditionen zu bewahren und den nachwachsenden Generationen zu vermitteln.“ Zugleich betonte der Kronenbrot-Geschäftsführer, dass auch die Backwarenbranche von der Entwicklung, bestehende Lohnkostenvorteile in anderen Ländern zu nutzen, nicht verschont bleibe. Frische Backwaren nach deutscher Rezeptur aus fernen Ländern zu beziehen, werde durch eine Perfektionierung der Tiefkühl- und Verpackungstechnologie ermöglicht.
Auch im Weinbereich setzte Roman Niewodniczanski auf den Genuss-Standort Deutschland und die Faszination des Genießens. Überproduktion, große industriemäßige Weinbetriebe, moderne oenologische Verfahren und Massenweine prägen den Weinmarkt. „Überleben in der Nische“ mit einer Profilierung der Regionen sowie einer klaren Differenzierung und Steigerung der Wertigkeit, unter anderem über die Tradition, sieht er als Erfolgsmodell. Das Beispiel der Saarweine zeige, dass wir „eine Renaissance der Region und der Klassiker erleben“. Der deutsche Weinbau verfüge über einzigartige Vorzüge, nämlich über wunderbare Kulturlandschaften und Regionen mit Tradition. Als ein besonderer Standortvorteil werde sich immer mehr die Lage und das Klima erweisen. Bei den aufstrebenden deutschen Weinbaubetrieben ist nach den Feststellungen dieses Winzers „ein außerordentlicher Zukunftsoptimismus spürbar. Es wird wieder investiert und es ist eine enorme Dynamik vorhanden. Lust auf Zukunft packt eine ganze Generation von Winzern. Sie wollen ihre Betriebe nach vorne bringen“, so das Fazit des Weingutbesitzers von der Saar.

„Die DLG-Lebensmitteltage“, so DLG-Vize-Präsident Prof. Dr. Achim Stiebing, „haben sich bereits mit dem Start erfolgreich als neues Zukunfts- und Diskussionsforum für die Qualitätsexperten aus allen Lebensmittelbranchen etabliert“. Dazu habe neben dem aktuellen Programm sowie die hochkarätigen Referenten auch das neue DLG-Buch beigetragen, das zur Tagung erschien. Mit seinen Strategien, Erfahrungsberichten und Trends stellt es eine aktuelle Analyse für den Lebensmittelstandort Deutschland dar. Die DLG-Lebensmitteltage werden künftig zu Beginn des Herbstes jährlich in Frankfurt die Situation der Lebensmittelbranche in Deutschland unter aktuellen Perspektivfragen beleuchten sowie den Betrieben und Fachleuten Orientierung und Anregungen für die Weiterentwicklung ihrer Betriebe geben. Die nächsten DLG-Lebensmitteltage werden am 26. und 27. September 2007 in Frankfurt am Main stattfinden.

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