„Wie Wurst entsteht“ von Vincent Klink

Schlacht-Fest – Ein Lehrstück und seine Figuren: Sau, Metzger, Haushälterin, Oma und ein nutzloser Pimpf

Einmal im Jahr wurde bei den Großeltern die Sau geschlachtet. Ein Tag allergrößter Konfusion. Früh morgens um fünf ging’s los. Der Hausmetzger, „dr Tone“ (gesprochen „dr Done“, was so viel wie „der Anton“ bedeutet), war wie immer nicht bester Laune. Die buschigen Augenbrauen gerefft und schwarz wie der Auspuff des Diesels, entstieg er seinem ocker-dreckfarbenen Mercedes. Seinen Riesenschädel trug er schwer gebückt wie Atlas die Weltkugel, und wenn er sprach, richtete er sich keineswegs auf, sondern blinzelte skeptisch aus der Froschperspektive gegen den Rest der Welt.

Kaum die Stufen zur Waschküche hinuntergehangelt, war gleich der Teufel los. Als kleiner Pimpf lugte ich von oben durchs Geländer und hörte Tone auf die Weiber schimpfen: Das Feuer im Ofen glomm kaum, und das Wasser im Kessel war erst lauwarm. Ohne kochendes Wasser kann man keine Sau brühen!

Mein Opa Vinz war außer sich und sah bereits das Vesper gefährdet. Tone war aber ein Mann mit Erfahrung und nach erleichterndem „Abfluchen“ von ausgeglichenem Wesen und erfahren im Umgang mit schwieriger Kundschaft. Seiner Unentbehrlichkeit gewahr, fühlte er sich durchaus als Held des Tages, war er doch sozusagen der Medizinmann und Guru einer Hinrichtung. Er war vom alten Handwerkerschlag, der sich noch beim Tier fürs Töten entschuldigte und uns von allerlei Aberglauben berichtete, so dass sein Vater den Schweinen vor dem Abstechen ein Tuch um die Augen band und sich bekreuzigte. Auch berichtete er, dass das Tier kein Mitleid spüren dürfe, sonst gäbe es zu wenig Blut.

Hartleibige Vegetarier bezeichnen das als Mord. Davon wusste man damals noch nichts. Es waren noch die Zeiten ungehemmter und dankbarer Fleischeslust. Man sprach vor dem Essen noch ein Gebet. Essen, egal was, war Kulthandlung, man wusste noch ums Opferlamm und die Geschenke der Natur und den Dank dafür. Ursprünglich hatten sogar die Kinder an einem solchen Tag schulfrei, Lehrer und Pfarrer bekamen das so genannte Pfarrerstückchen.

Die Sau war am Vortag bei einem Bauern des Vertrauens gekauft worden, und er hatte sie auch antransportiert. Es war ein Prachtexemplar, eine „Habersau“, mit geschrotetem Hafer gemästet, nicht mit irgendwelchen Küchenabfällen erniedrigt oder gar mit der Universalmischung aus dem Raiffeisenlagerhaus auf schnelles Gewicht gebracht.

In der Waschküche prasselte endlich durch reichliches Blasen, Pusten und Husten das Feuer. Der große Zuber war von Agathe geschrubbt und vorbereitet. Agathe war die Haushälterin und arbeitete seit 40 Jahren aufopfernd für meinen Opa, sie war mit 16 Jahren in die Dienste des Studienrats getreten. Es muss noch erwähnt werden, dass der Hausherr, der alte Vinz, wie er von seinen Schülern genannt wurde, Generationen von Pennälern in Schrecken versetzte. Als Pauker war er quasi immer im Dienst, schimpfte gebetsmühlenhaft auf den Enkel, auf meine außergewöhnliche Dummheit, „fauler Spitz oder Grandackel“, wobei der franko-schwäbische Schimpftitel „Grandackel“ sicher auf die napoleonische Zeit zurückging. Agathe dagegen war eine Respektsperson und hatte vom Alten in all den Jahren reichlich gelernt. Sie beherrschte Küchenlatein, kannte sich in der Kunst leidlich aus und war auch mit Geisteswissenschaften über die Jahre ordentlich imprägniert worden. Agathe mit silbersträhniger Bürzelfrisur bezog ihre Vormachtstellung hauptsächlich aber durch ihre Geschicklichkeit bei der Bienenzucht, die mit drei Bienenhäusern verbissen betrieben wurde, und der Tatsache, dass sie eine Wahnsinnsköchin war: Der Hausherr wusste durchaus, was er an ihr hatte.

Sie war die Einzige, die dem Opa Paroli bieten konnte. Dem wurde auch prompt auf die mürrisch-ungeduldige Frage nach dem Schlachtbeginn die Tür gewiesen: „Wenn Sie schon nicht mitschaffen, dann warten Se gefälligst oben, bis die ersten Würst’ zum Vesper fertig sind, Herr Doktr.“ Er ging mit einer Miene, als wolle er ein Duell arrangieren, aber er schwieg.

Das Wasser kochte. Tone hatte inzwischen mit Oma hinter dem Haus ganze Arbeit geleistet. Die Sau hatte das Schafott hinter sich, war mit dem Bolzenschussapparat hingestreckt und abgestochen. Kein schöner Tod, wenn’s denn so etwas gibt. Oma rührte wie irr das Blut im Eimer, um das Gerinnen zu verhindern. „Metzgers-Done“ hatte das Vieh auf einen plattfüßigen Schubkarren gewuchtet. Es saß drin wie ein Dickbauchbuddha in der Rikscha. Mit der schweren Last, die immer umzukippen drohte.

Eine Sau war annähernd doppelt so schwer wie EU-Schweine von heute, die aussehen, als hätten sie im Windkanal trainiert. Schmalz. Schmalz musste ein Schwein liefern, es war das wichtigste Speisefett überhaupt und wurde überall verwendet, außer zu Salat.Tone war immer noch am Ächzen, an den Rosenhecken vorbei, die den Herbstschnitt schon hinter sich hatten, hielt er in grobem Kies mühsam die Spur zur anderen Seite des Hauses. Agathe kämpfte unter Stoßgebeten und in äußerstem Einsatz schweigend mit. Harz wurde auf die Seiten des Delinquenten gestreut, die gröbsten Borsten abgekratzt und eine Kette unter dem Leib durchgezogen, welche hin und her gezogen die gröbsten Haare abschabte. Mit fast zeremoniellem Ernst wurde die Nassrasur betrieben und frisches Wasser über die immer blankere Haut gegossen. Endlich lag die Sau in Frieden da, hell, rein wie neugeboren.

Lesen Sie die ganze Geschichte im Tagesspiegel:
www.tagesspiegel.de/sonntag/archiv/03.09.2006/2745828.asp

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2 Antworten auf „„Wie Wurst entsteht“ von Vincent Klink“

  1. Ja, wie entsteht sie Wirklich? Heutzutage? Die Art der Haltung hat entscheidenden Einfluss nicht nur auf das Wohlbefinden des Tieres, auf Krankheiten wie Gelenkschäden und halbverätzte Lungen, auf Stresshormone und Beta-Blocker gegen zuviel Stress, die Bewegung bei Weidegang sorgt auch für Muskeln, die als Fleisch beim Braten nicht so sehr zusammenschrumpfen. Die geringere Leitfähigkeit (weniger Wasser drin) ist z. B. bei NEULAND-Fleisch nachgewiesen.

    Das zweite Problem ist die Schlachtung. Es ist zwar erwiesen, dass bei schonender Schlachtung weniger Stresshormone ausgeschüttet werdn, was auch die Qualität des Fleiscches erhöht, wenn einem das Gewissen schon vielleicht egal ist. Doch die übliche CO2-Betäubung ist reine Tierquälerei. Forschungen des Fleischforschungsinstituts in Kulmbach, bei denen in der Kammer gefilmt wurde, zeigten, dass die Tiere schwere Erstickungszustände durchmachten – auch bei ausreichender Gaskonzentration! Die Vorführung des Filmes schockierte selbst das schlachtgewohnte Publikum, was schon etwas heißen will.

    Also bitte auf die Herkunft des Fleisches achten – der „Fleischer des Vertrauens“ erzählt oft „einen vom Pferd“! – Oder echt mal etwas anderes kochen?

    Mit freundlichem Gruß
    Elisabeth Petras
    Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e. V.
    Ebeersreye 58
    22159 Hamburg

    Weitere Informationen finden Sie unter:
    http://www.tierschutz-landwirtschaft.de

  2. Ja, wie entsteht sie Wirklich? Heutzutage? Die Art der Haltung hat entscheidenden Einfluss nicht nur auf das Wohlbefinden des Tieres, auf Krankheiten wie Gelenkschäden und halbverätzte Lungen, auf Stresshormone und Beta-Blocker gegen zuviel Stress, die Bewegung bei Weidegang sorgt auch für Muskeln, die als Fleisch beim Braten nicht so sehr zusammenschrumpfen. Die geringere Leitfähigkeit (weniger Wasser drin) ist z. B. bei NEULAND-Fleisch nachgewiesen.

    Das zweite Problem ist die Schlachtung. Es ist zwar erwiesen, dass bei schonender Schlachtung weniger Stresshormone ausgeschüttet werdn, was auch die Qualität des Fleiscches erhöht, wenn einem das Gewissen schon vielleicht egal ist. Doch die übliche CO2-Betäubung ist reine Tierquälerei. Forschungen des Fleischforschungsinstituts in Kulmbach, bei denen in der Kammer gefilmt wurde, zeigten, dass die Tiere schwere Erstickungszustände durchmachten – auch bei ausreichender Gaskonzentration! Die Vorführung des Filmes schockierte selbst das schlachtgewohnte Publikum, was schon etwas heißen will.

    Also bitte auf die Herkunft des Fleisches achten – der „Fleischer des Vertrauens“ erzählt oft „einen vom Pferd“! – Oder echt mal etwas anderes kochen?

    Mit freundlichem Gruß
    Elisabeth Petras
    Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e. V.
    Ebeersreye 58
    22159 Hamburg

    Weitere Informationen finden Sie unter:
    http://www.tierschutz-landwirtschaft.de

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