„Deutschland-Party“: Patriotismus light oder Party Cocooning?

Deutschland ist ein einziges Fahnenmeer. Aber:
Es ist kein aggressiver Nationalismus. Vielmehr gilt: Die Welt zu
Gast bei Freunden. Für Michael Schipperges, Director Research &
Consulting bei Sinus Sociovision, einem der führenden Sozial- und
Trendforschungsinstitute in Deutschland, ist es ein Phänomen „von
unten“, das auch getrieben ist von Sinnsuche und Gemeinschaft in
einem Umfeld, das vermeintlich keine Gemeinschaft kennt.

„Das heutige Deutschland ängstigt inzwischen niemanden mehr“, so
Schipperges weiter: „Die militärische Großmacht hatte bereits 1945
ihr Ende. Die wirtschaftliche Großmacht leidet seit den 90er-Jahren
an Zweifeln über die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und selbst
eine fußballerische Überlegenheit konnte seit der letzten
Europameisterschaft von niemandem unterstellt werden.

Niemand muss
mehr Angst vor uns Deutschen haben, und – wichtiger noch – deswegen
brauchen wir auch keine Angst mehr zu haben, dass die anderen Angst
vor uns haben könnten. Dadurch kann man sich mit Land und
Nationalmannschaft unverkrampft identifizieren, also
schwarz-rot-goldene Fahnen schwenken und gleichzeitig Gästen aus
aller Welt offen begegnen.“

„Das Phänomen kommt von unten“, weiß Schipperges. „Der Anstoß kam
nicht von den üblichen Trendsetter-Gruppen. Auch deshalb ist der
Versuch, den Trend von offizieller Seite zu instrumentalisieren, z.B.
durch den Vorschlag einer durchgehenden Staatsbeflaggung für die Zeit
der WM, im Zuge der allgemeinen Begeisterung schlichtweg ignoriert
worden.“

„Für die von der Modernisierung und vom sozialen Abstieg Bedrohten
ist die Fußball-WM die Gelegenheit zu zeigen: Wir sind auch noch da!
Wir sind Deutschland! Wir sind vielleicht nicht so schön und so
genial, wie die Kampagne „Du bist Deutschland“ uns das glauben machen
wollte, aber wir sind viele! Und bei diesem Event stehen wir im
Mittelpunkt! Es ist also ein Gemeinschaftsgefühl und Zusammenrücken
der von den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen unmittelbar
oder mittelbar Betroffenen und Gefährdeten, ein temporäres nationales
Cocooning.“

Aber Schipperges betont auch: „Es handelt sich bei der
Deutschland-Party zwar um ein flüchtiges Phänomen. Umso wichtiger ist
es jedoch, die dahinter liegenden Motive, die stabil bleiben und
nachhaltig wirksam sind, zu verstehen. Wir beobachten als solche
Triebfedern beispielsweise die Sinnsuche, das Bedürfnis nach
Sicherheit und Heimat sowie die Flucht aus dem Alltag. Diese
bestimmen auch das Kollektivverhalten während dieser WM und werden
sicher auch bei kommenden Events eine wichtige Rolle spielen.“

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