In diesen Zeiten findet eigentlich nur derjenige statt, der am lautesten schreit. Oder schreien lässt. Das gilt auch für die Gastronomie; die, die besonders laut sind, bekommen eine Bühne, die sie aufgrund ihrer Leistung vielleicht nie bekommen würden. Aber so ist das, das man in der Kommunikationswissenschaft als „false balance“ bezeichnet. Jenseits der marktschreierischen Schlagzeilen gibt es tatsächlich eine berichtenswerte Neuerfindung, die im Stillen passiert ist. Der vielleicht stillste Vertreter der Sternegastronomie heißt Carmelo Greco. Zuletzt schrieb ich vor drei Jahren über ihn, den gebürtigen Sizilianer, der von der Zwei-Sterne-Köchin Lidia Vanzino im Piemenont konditioniert wurde. Nun könnte man meinen, drei Jahre seien eine kurze Zeitspanne, um wieder über einen Koch zu schreiben, dessen Restaurant erstmals 1996 mit einem Michelin-Stern dekoriert wurde. Wäre da nicht Corona gewesen. Dass insbesondere Restaurants wie das Carmelo Greco heute überhaupt noch existieren, mag an ein Wunder grenzen. Allerdings hat die Pandemie Spuren hinterlassen, auch beim besten Italiener der Stadt, vielleicht auch Deutschlands. Frankfurt ist eine Messestadt, das spürte Carmelo Greco deutlich. Gäste blieben aus, immerhin hielten Stammgäste die Treue. Zudem gab es einige Wechsel in Küche und Service. Zuletzt gab es in den Gerichten mehr oder weniger wahrnehmbare Schwankungen, allerdings immer auf sehr hohem Niveau. Es fehlte jedoch die Orientierung, die Stringenz, Harmonie und Schlüssigkeit der Gerichte und der Menüs.
Es geht ordentlich los, bevor es richtig losgeht.
Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Menschen in der Küche, Benedetto Russo. Anfangs stand er Greco zur Seite, seit wenigen Wochen ist es offiziell: er ist gleichberechtigter Küchenchef mit Carmelo Greco. Nun könnte man dies schon als kleine Sensation bezeichnen, wenn es nicht eine größere gäbe: das aktuelle Menü ist nichts anderes, als eine sensationelle Neuerfindung des Carmelo Greco. Es trägt zu einem großen Teil die Handschrift von Russo, kreativ, fokussiert, ausbalanciert und beschränkt auf möglichst wenige Komponenten. Routine und Konstanz kommen von Carmelo Greco, beide bilden ein kongeniales Duo, wie es besser kaum sein könnte. Ob Greco dabei frühzeitig die Weichenstellung in Richtung Zukunft und Ruhestand gestellt hat, bleibt offen. Auf jeden Fall hat er den richtigen Schritt getan, einen sehr mutigen. Er selbst stand nie wirklich im Mittelpunkt, hat sich immer zurückgenommen, fast schon schüchtern wirkte er in der Öffentlichkeit. Letztlich ist es die Bescheidenheit und die Demut vor seinem Beruf, die ihn nie hat abheben lassen.
Bevor also die Nachricht der gemeinsamen Küchenleitung der Öffentlichkeit, taggleich mit dem Geburtstag von Benedetto Russo, bekannt gegeben wurde, bot sich die Gelegenheit, das neue Menü zu probieren.
Begleitend bzw. vorab werden drei verschiedene, hausgebackene Brotsorten gereicht, hergestellt aus den alten italienischen Mehlsorten Tumminia, Russello, Maiorca. Für Brotenthusiasten eine Offenbarung!
Wenn der Gruß aus der Küche zum kleinen Spektakel wird
Die Grüße aus der Küche, Oliventartellettes mit Büffelmozzarella-Mousse, Tomatenpulver und Basilikumkresse, Spinatschiffchen, Island-Saibling-Tatar, Saiblingkaviar und Meerrettich sowie Gänselebercremoso, Portwein-Birne, Aceto balsamico und Brioche hängen die Messlatte hoch. Präsentation, Komposition und Geschmack machen nicht nur neugierig auf die nachfolgenden Gänge, vielmehr fragt man sich, ob und wie eine Steigerung möglich ist, oder ob schon mit den Grüßen das Plateau erreicht sei – so gut jedenfalls ist der Auftakt.
Von einer gesteigerten Erwartungshaltung
Den Anfang machen Jakobsmuscheln mit Beluga Kaviar, Fenchel, Seeigel und Topinambur. Wenn es so weitergeht, der spontane Gedanke, dann kann das ein grandioser Mittag werden. „Tempo di Tunnina“ nennt sich der zweite Gang. Ein erfrischendes Intermezzo, bestehend aus Balfego-Thunfisch, Spargel, Schwertmuschel und Muschelsud und reiht sich nahtlos in den vorherigen Gang ein. Die Neugierde steigt, das ist nicht nur der Greco, den ich vor drei Jahren besucht habe, das ist ein neuer Carmelo! Jünger, kreativer, fokussierter.
Weiter geht es mit Tortelli, die als „Pasta con le Sarde“ deklariert werden. Das ist entweder pures Understatement, oder reine Absicht. Das ursprüngliche, aus Sizilien stammende Gericht, ist eigentlich Hausmannskost. Umso überraschender das, was das Duo Greco/Russo auf den Teller zaubert! Eine unglaubliche Aromentiefe, fruchtig, feine Säure, ausbalancierte Salzigkeit – so muss Pasta sein, man wünscht sich die Abbestellung der weiteren Gänge und stattdessen einen großen Teller dieses herrlichen Gerichtes, das mit Ragusano-Käse und Makrele kombiniert ein Gedicht ist. Wie mag sich das im Hauptgang steigern können?
Sizilien trifft Kagoshima
Allerdings bleibt es bei diesem Wunsch nach Tortelli, was sich als nicht so verkehrt herausstellt. Denn der Hauptgang passt sich in die Dramaturgie des Menüs ein. Eine subtile Steigerung der Speisenreihenfolge. Das Wagyu-Rinderfilet stammt aus Kagoshima, einer Präfektur ganz im Süden Japans. Das Fleisch ist perfekt zart und vollmundig im Geschmack, die Kombination aus Portwein und Brombeeren in Soße und Gel spielt gekonnt mit Süße und Säure, wobei letztere subjektiv einen Tick mehr Mut vertragen könnte – was aber nur eine persönliche Präferenz darstellt und nichts an der Perfektion des Gerichtes ändert.
Carmelo Greco und Benedetto Russo
Doll, doller, dolce
Aber was wäre ein Italiener ohne Dolce? Nachspeisen können Greco und Russo genauso gut wie die vorherigen Teile ihrer kulinarischen Oper. Dabei flacht die Dramaturgie keineswegs ab, jeder Gang stellt für sich einen Höhepunkt dar, persönliche Präferenzen sind unterschiedlich und durchaus erlaubt.
Carmelo Greco hat nicht nur einen mutigen, sondern richtigen Schritt gewagt und den 27-jährigen Sizilianer zum gleichberechtigten Partner gemacht. Beide profitieren sichtlich voneinander, zudem ist das eine umsichtige Weichenstellung in Richtung Zukunft. Dies umso, da sich Russos Ehefrau Claudia um das Büro kümmert und sein Bruder Michele den Service leitet. Auch wenn zwischen Carmelo Greco und Benedetto Russo einige Jahre dazwischen liegen, eines scheint ihnen gemeinsam: beide sind ruhige Vertreter ihres Berufsstandes, der Fokus liegt auf der Arbeit in der Küche, nicht auf der großen Bühne.
Zum Abschluss noch ein Tipp: Bei Carmelo Greco wird alles selbst produziert, sein Nudelteig ist legendär. Einfach nach dem Pastarezept fragen und genügend Eier einkaufen!
Restaurant Carmelo Greco, Ziegelhüttenweg 1-3, 60598 Frankfurt am Main.
Carmelo Greco und Benedetto Russo
Zusammenfassung
Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Menschen in der Küche von Carmelo Greco, Benedetto Russo. Anfangs stand er Greco zur Seite, seit wenigen Wochen ist es offiziell: er ist gleichberechtigter Küchenchef mit Carmelo Greco.