Die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern. Für die anderen sei dies schnell vorangestellt: Die deutsche Wiedervereinigung ist erst wenige Tage vorher mit einem Staatsakt begangen worden. Das Internet ist noch ein Fremdwort, Telefone besitzen sperrige Tastaturen und einen festen Ort im Haus. Das Fernsehen hat „Alfredissimo“ noch nicht erfunden, kennt selbstverständlich auch noch keine Kochshows und in den Fernseh-Nischen, in denen gekocht wird, erklären männliche Moderatoren, da habe ihre Assistentin „schon einmal etwas vorbereitet“.
In der Spitzengastronomie sind Induktionsherde so gut wie unbekannt. Es gibt noch keine Sous-Vide-Garung, keine Espuma-Schäume. Tee gibt es im Beutel und Aschenbecher an den Tischen sind so selbstverständlich, wie die hauseigene Auswahl an namhaften Zigarren. Natürlich genießt man Zigarrenrauch in vollen Zügen, unabhängig davon, ob an anderen Tischen noch gegessen wird. Selbstverständlich sind die Tische zuvor mit einer Fülle an Tellern, Gläsern und Besteck eingedeckt. Begeben wir uns also auf eine kulinarische Zeitreise: Eckart Witzigmann trumpft in der Münchner Aubergine auf. Harald Wohlfahrt ist kurz davor, für die Traube Tonbach den dritten Stern zu erkochen und Dieter Müller plant bereits seinen Umzug ins Schlosshotel Lerbach, während er auf Reisen vorab seinen kulinarischen Erfahrungshorizont erweitert.
Gert von Paczensky erhebt die Restaurantkritik erstmals zur schönen Kunst, während Wolfram Siebeck unablässig daran arbeitet, seinen Landsleuten die Mehlschwitze auszureden. Noch hat Jürgen Dollase sein Interesse am Kochen nicht entdeckt. Dies wird sich aber bald schon ändern. Alle drei Kritiker werden auf ihre jeweils eigene Art daran arbeiten, der Spitzengastronomie die öffentliche Würdigung zukommen zu lassen, die sie in anderen Ländern schon ganz selbstverständlich genießt: die eines nationalen Kulturguts. Der Besuch eines gehobenen Restaurants soll so selbstverständlich werden, wie das Abo für den Besuch eines Theater- oder Opernhauses. Ein, wie wir heute wissen, noch unvollendeter Weg. Und dennoch hat sich eine Menge getan, nicht nur in den Gastronomiebetrieben, sondern auch im kulinarischen Bewusstsein der Nation. Allein die Logistik für Lebensmittel erlebte vor dreißig Jahren einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung und versorgt die Gastronomie so zuverlässig mit frischen Waren aus der ganzen Welt, das mittlerweile seit einigen Jahren ein Umdenken mit einem oft klaren Bekenntnis zu regionalen Lebensmitteln eingesetzt hat. Auch die Vorstellung des Genusses hat sich in den letzten dreißig Jahren gewandelt. Es geht nicht mehr darum, anderen Rauch um die Nase zu blasen, sondern um Genuss im Einklang mit Tierwohl, Nachhaltigkeit und Qualität. Und hier zeigt sich, dass engagierte Gastronomen sinnvoll und nachhaltig zu arbeiten verstehen und ihr Wissen gerne an ihre Gäste weitergeben – auf den Tellern und durch informative Gespräche rund um Lebensmittel und ihre Produzenten.
Deutsche Küche im europäischen Kontext
1991 wird die deutsche Sektion der Jeunes Restaurateurs (JRE) gegründet. Zu dieser Zeit spricht man in europäischen Kochkreisen, die etwas auf sich halten, selbstverständlich Französisch – außer in Italien, in Spanien auch nicht unbedingt und in England … aber die Briten galten auf dem Festland sowieso nicht als eine kulinarisch relevante Nation. Doch selbst das Ansehen von Porridge hat sich gewandelt: Haferflocken finden sich in unterschiedlichen Röstaromen und Zubereitungsarten in zahlreichen Gerichten. Und von den Errungenschaften der englischen Küche, die diese schon vor der französischen Revolution erworben hatte, schweigt man in Frankreich jedoch noch heute gerne. Selbstverständlich darf man die Frage stellen, weshalb die Cremé Anglaise denn ihren Namen hat – allerdings sollte man, sofern man diese Frage an französische Kulinariker richtet – nicht unbedingt auf eine konsistente Antwort hoffen. Denn diese Namensgebung verweist auf die vorrevolutionäre Zeit, als die englische Küche, allein schon dank ihres schier weltweiten Zugriffs auf Gewürze, internationales Ansehen genoss.
Gründungsmitglieder:
- Michael Fell.
- Karl-Josef Fuchs.
- Wolfgang Grobauer.
- Hartmut Leimeister.
- Roy Petermann.
- Rainer Wolter.
Und sehr wahrscheinlich ist dies eine der grundlegenden Lehren, die man aus der kulinarischen Geschichte ziehen kann, wenn man die letzten drei Dekaden unter kulinarischen Gesichtspunkten betrachtet: Deutschland wird von den internationalen Partnern kulinarisch wahrgenommen. Das Englische hat als Lingua Franca in Kochkreisen das Französische weitestgehend ersetzt und die Küche setzt sich über nationale Grenzen hinweg. Das hat sie immer schon getan, denn die Kunst des Kochens und der gehobenen Küche besteht traditionell darin, erstklassige Lebensmittel mit erstklassigen Gewürzen in bestmöglicher Zubereitung auf den Tisch zu bringen. Wenn man dann darüber weiß, dass Gastronomen ihr Können, ihre Erfahrung und ihre nachhaltig gepflegten Netzwerke zu Lebensmittelproduzenten einsetzen, um verantwortungsvoll mit den gegebenen Ressourcen umzugehen, stellt man fest, welche Lücke hier geschlossen wird: die zum verantwortungsvollen Genuss. Zu diesem Zweck haben die JRE einen Zusammenschluss von verantwortungsvoll arbeitenden Lebensmittelmanufakturen ins Leben gerufen. So können Verantwortung und Genuss sich gegenseitig zur Geltung bringen.
Neben dem Genuss sehen engagierte Gastronomen ihre Aufgabe darin, für gute Lebensmittel und ihre Zubereitung und somit für das Kochen selbst zu begeistern. Die Coronakrise hat uns eine lange Zeit aus unserem gewohnten Alltag geholt, wir wissen noch nicht, wann sie vorbei sein wird. Aber die Zeiten des Lockdowns haben uns eines ganz deutlich vor Augen geführt: Das Restaurant, diese nicht ganz öffentliche, aber eben auch nicht ganz private Institution, die uns zusammen und zum Genuss bringt, möchten wir nicht missen. Kulinarischer Genuss beginnt mit der Vorfreude auf das Ausgehen und auf die nachhaltig wirkende, verantwortungsvolle Gaumenfreude.
Hummer, Filet Wellington und Pfirsich Melba – diese Klassiker bildeten den Rahmen für eine kulinarische Zeitreise der Jeunes Restaurateurs (JRE) zum Start ihres 30-jährigen Jubiläums. Alle Gerichte des „Heritage Dinners“ hätten auch im Gründungsjahr der Vereinigung 1991 auf der Karte stehen können. Mit einem kleinen Unterschied: Wurde damals in der Spitzenküche nahezu durchgehend klassisch gekocht, so hat heute jede Köchin, jeder Koch einen eigenen Stil, eine unverwechselbare Handschrift. Die Jeunes Restaurateurs machten mit ihrem Jubiläums-Menü an einem einzigen Tag die große Vielfalt der deutschen Spitzenküche deutlich. Die Veränderungen der letzten dreißig Jahre waren auf dem Teller zu sehen, in den Restaurants atmosphärisch zu spüren und mit dem Gaumen zu schmecken.
Das, was vor 30 Jahren kulinarisch top war und die Basis der Spitzenküche gebildet hat, kommt heute nur noch selten bis gar nicht auf die Karte. Köche, Ausbildung und Küchen haben sich verändert – vor allem und gerade in Deutschland. In den Restaurants ist mittlerweile eine große kulinarische Vielfalt und Bandbreite zu erleben. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Entwicklung haben die Jeunes Restaurateurs, die seit ihrer Gründung 1991 intensiv an der Weiterentwicklung der deutschen Küche mitgewirkt haben. Schon früh erkannte die Vereinigung die Bedeutung der regionalen Küche und der Verwendung nachhaltig hergestellter Lebensmittel. Beschleunigt wurde diese Entwicklung bei den JRE-Mitgliedern durch einen intensiven Austausch, der auch noch heute dazu beiträgt, dass die Köchinnen und Köche von dem Wissen und Können ihrer Kolleg*innen profitieren.
Drei Dekaden lebendiger Austausch
Mit dem JRE-Genusslabor haben die Jeunes Restaurateurs beispielsweise einen besonderen Workshop etabliert: In regelmäßigen Abständen werden Mitglieder eingeladen, um zu einem festgelegten Thema ein Gericht im kritischen Kollegenkreis zu präsentieren, das vorher noch nicht auf der Karte zu finden war. Als Gäste sind häufig renommierte Vertreter*innen der deutschen Spitzengastronomie und Erzeuger*innen hochwertiger Lebensmittel mit dabei. Das Ziel: Im kritischen Gespräch sollen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Impulse für ihre eigene Küche mit nach Hause nehmen. JRE-Präsident Alexander Huber: „Wir brauchen den Austausch untereinander mehr denn je. Die personelle Situation in den Betrieben, die Folgen der Pandemie und die Herausforderungen des Klimawandels können wir nur gemeinsam meistern.“
Um dieses Bewusstsein schon früh zu schärfen, investieren die Jeunes Restaurateurs viel Energie in die Verbesserung der Ausbildung. Um den Nachwuchs perfekt auf die Anforderungen der Spitzengastronomie vorzubereiten, gibt es seit vielen Jahren eine Zusatzausbildung für die besten Azubis der Mitgliedsbetriebe. Zunächst wurde die Eliteklasse der JRE im gastronomischen Bildungszentrum der IHK Koblenz etabliert, seit 2016 werden die Lehrinhalte in der JRE Genuss Akademie bei der Dehoga in Bad Überkingen vermittelt. Huber: „Das Versprechen „Von den Besten lernen“ lösen wir eindrucksvoll ein. Spitzenköche aus unserer Vereinigung übernehmen ausgewählte Unterrichtseinheiten, die Azubis lernen so aus erster Hand.“
Integriert in die Genuss Akademie sind auch die Partner der JRE, vor allem das JRE Genussnetz, in dem mehr als 60 Hersteller hochwertiger Lebensmittel zusammengeschlossen sind. In diesem Jahr hat es bei diesem mittlerweile selbstständigen Verein eine bedeutende Veränderung gegeben: Der Name wurde in JRE Origins geändert, die vorher deutsche Vereinigung wird international und arbeitet parallel zur europäischen Organisation der Jeunes Restaurateurs. Bei der Gründung 1991 haben an eine solche Entwicklung wohl nur wenige gedacht.
Die Ursprünge der JRE
Aber wie fing eigentlich alles an? Wie wurde aus dem kleinen Verein ein professioneller Verband? Der Name lässt es bereits vermuten: Der Ursprung der Jeunes Restaurateurs liegt in Frankreich – und zwar im Jahr 1974. Ende der 1980er Jahre gründete sich dann der internationale Dachverband Jeunes Restaurateurs d’Europe in Belgien, 1991 folgte die Gründung der deutschen Sektion unter Präsident Rainer Wolter im Restaurant La Mer in Hamburg. Mit dabei waren damals Otto Fehrenbacher, Michael Fell, Wolfgang Grobauer, Hartmut Leimeister, Peter Nöthel und Roy Petermann. „Früher kochte jeder sein eigenes Süppchen“, erinnert sich der Gründungspräsident, „wir wollten das ändern und einen gegenseitigen Austausch etablieren. Außerdem war unser Ziel, den jungen Köchinnen und Köchen eine Stimme zu geben und verkrustete Hierarchien aufzubrechen.“
Die richtige Struktur als Erfolgsrezept
Damit das im Alltag gelingen konnte, gaben sich die JRE Deutschland bereits in den Gründungsjahren die auch heute noch bestehende Struktur mit vier Regionen, die von Regionalsprecher*innen betreut werden. Unter Wolters Nachfolger Otto Fehrenbacher, der 1994 die Amtsgeschäfte übernahm, wurde die Vereinigung zusehends professioneller. Es folgten eine Reihe von Präsidenten mit klangvollen Namen. Hans Stefan Steinheuer, Alexander Herrmann, Harald Rüssel, Patrik Kimpel und Alexander Dressel – jeder setzte eigene Akzente und arbeitete an der Weiterentwicklung der Jeunes Restaurateurs in Deutschland.
Der Gemeinschaftsgedanke wächst
Auch 30 Jahre nach ihrer Gründung ist bei den JRE kein Stillstand eingekehrt – weder personell noch organisatorisch. Der derzeitige Präsident Alexander Huber war Ideengeber für das Genusslabor und das Genussnetz. Aktuell forciert er gemeinsam mit Vorstand und Mitgliedern das E-Learning für die Auszubildenden mit einem digitalen Angebot, das für die gesamte Branche zugänglich sein soll. Außerdem bereitet die deutsche Sektion den internationalen JRE Kongress vor, der alle zwei Jahre stattfindet und 2022 alle 350 Mitglieder der internationalen Vereinigung nach Berlin führen wird.
Doch zunächst steht noch das 30-jährige Jubiläum ganz oben auf der Prioritätenliste. Neben dem Heritage Dinner, einer eigenen Reihe im Rahmen der eat!Berlin findet auch eine große Jubiläums-Gala auf dem Heidelberger Schloss statt. Weil neben Kochkunst, Austausch und Ausbildung auch soziales Engagement in den Grundwerten der JRE verankert ist, kommt das Jubiläum auch einem besonderen Zweck zugute. Ein Teil der Einnahmen geht an die DKMS, die in diesem Jahr ebenfalls seit 30 Jahren besteht.
Den Jeunes Restaurateurs Deutschland (JRE) gehören national und international bekannte und angesehene Spitzenköche aus deutschen Gastronomiebetrieben an. Ziel der Vereinigung ist es, die Tradition der Ess- und Trinkkultur in Deutschland zu pflegen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Mitglieder sollen ermutigt werden, die kulinarische Tradition auf hohem Niveau professionell aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln, sich gegenseitig zu unterstützen. Der Wissenstransfer und die Förderung des eigenen Nachwuchses stehen bei den JRE im Vordergrund. Seit 1991 sind sie als Teil der europäischen Vereinigung mit diesem besonderen Qualitätsversprechen in Deutschland aktiv. Derzeit gehören den JRE in Deutschland 67 Mitglieder an.
30 Jahre Jeunes Restaurateurs (JRE)
Zusammenfassung 30 Jahre Jeunes Restaurateurs (JRE)
30 Jahre Jeunes Restaurateurs (JRE): Die Jeunes Restaurateurs machten mit ihrem Jubiläums-Menü an einem einzigen Tag die große Vielfalt der deutschen Spitzenküche deutlich. Die Veränderungen der letzten dreißig Jahre waren auf dem Teller zu sehen, in den Restaurants atmosphärisch zu spüren und mit dem Gaumen zu schmecken.