Die Zahlen lesen sich nicht angenehm: Im Juli ging im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Übernachtungen in Wien um fast 75 Prozent zurück. „Nur“ 443.000 Übernachtungen zählten die Beherbergungsbetriebe in Österreichs Hauptstadt, die durchschnittliche Auslastung der Hotelbetten sank auf 23 Prozent. Besonders stark zeigt sich der Rückgang bei Gästen aus China (-99%) und den USA (-97%). Doch es scheint langsam aufwärts zu gehen, so jedenfalls der vorsichtige Trend.
Gut durch die Krise gekommen, Hygienekonzepte greifen – noch
Österreich galt lange Zeit als Corona-Vorzeigeland, man handelte schnell und entschlossen. Doch aktuell steigen die Zahlen wieder rasant an, insbesondere Reiserückkehrer sorgen für eine Zunahme der Inzidenzen. Sogar über die Wiedereinführung der Tragepflicht von Masken wird derzeit diskutiert. Die gilt nämlich nicht in Shops oder Restaurants. Für eine Destination wie Wien kann sich das negativ auf die Hotellerie auswirken. Das zarte Pflänzchen, das gerade am Wachsen war, könnte kaputt getrampelt werden.
Dabei sind sowohl Hotels als auch Restaurants mit ihren Hygienekonzepten gut aufgestellt. Überall finden sich Hinweise auf korrektes Verhalten während der Pandemie, in jeder Location gibt es Desinfektionsmittelspender. Das Personal trägt Masken, die machbaren technischen und organisatorischen Präventionsmöglichkeiten scheinen umgesetzt. Anfang Juli wurde das speziell für Wien entwickelte Sicherheitssiegel „Safe Stay“ vorgestellt, mit der Teilnahme an der weltweit ersten globalen Sicherheitsmarke „Safe Travels“ für den gesamten Tourismussektor kann Wien zeigen, dass es für höchste Standards steht.
Gewinner und Verlierer
Die Gäste scheinen die Anstrengungen anzuerkennen. So jedenfalls der Eindruck im Hotel Grand Ferdinand, gelegen nur wenige Meter von der Wiener Staatsoper entfernt. Zum Wochenende war das Haus zu 93 Prozent belegt, berichtet General Manager Angelika Ponecz. Eine Auslastung, von der andere Häuser in der Stadt nur träumen können. Ein Grund für die Auslastung ist sicherlich auch die gute Lage, andere Hotels haben nach wie vor geschlossen.
Weiterer Vorteil des privat geführten Hotels: Mit seinen drei Restaurants spricht es nicht nur Hotelgäste an, sondern ist auch bei Wienern überaus beliebt. Das „Meissl & Schadn“ ist berühmt für seine echten Wiener Schnitzel, die wahlweise in feinstem Butterschmalz, kräftigem Schweineschmalz oder in neutralem Pflanzenöl in der Pfanne ausgebacken werden. Das „Gulasch & Söhne“ hingegen lädt schon zum Frühstück ein, viel empfehlenswerter sind jedoch am Mittag die Klassiker der Wiener Küche, wie Original Lahner Würstel, Debreziner und das eben Gulasch. Das gilt als das beste der Stadt. Verantwortlich für die Kulinarik zeichnet Jürgen Gschwendtner. Der lernte einst Koch und Kellner im Hotel Tiefenbrunner in Kitzbühel, machte seinen Küchenmeister und ist Diplom-Fleischsommelier. In erster Linie ist er aber ein Verrückter, im ganz positiven Sinne. Gschwendtner ist überall, egal, wo man sich im Haus befindet. Obwohl er 48 Mitarbeiter unter sich hat, kümmert er sich um die Eierspeise selbst. Das muss er natürlich nicht, aber er macht es eben, weil sein Beruf für ihn nunmal Berufung ist. Dazu zählt auch der konsequente Verzicht auf Fertig- oder Halbfertigprodukte, die kämen ihm niemals in die Küche.
Sterne unter freien Himmel
Zu kämpfen hat auch die Sterne- bzw. Haubengastronomie in Wien. Österreichs einziger Dreisterner, Juan Amador, spürt das Wegbleiben des internationalen Publikums zwar, ist aber dennoch positiv gestimmt. Zudem hat er mit seinem Partner Fritz Wieninger einen Coup gelandet, in dem er mitten in den Weinbergen den „ersten Drei-Michelin-Stern-Hipster-Buschenschank der Welt“ (Die Presse) eröffnete. Der hat nur bei gutem Wetter geöffnet und offeriert neben den Weinen von Wieninger und Hajszan-Neumann typische Heurigenklassiker, einige davon tragen deutlich sichtbar die Handschrift Amadors. Sensationell ist der Blick vom Steinberg auf Wien!
Einfach und gut: Der Buschenschank Hans & Fritz. Blick über die Weinberge nach Wien. Steirischer Rindfleischsalat mit Käferbohnen von Juan Amador. Faschierte Laberl mit steirischem Kren Heurigen-Klassiker 1 Heurigen-Klassiker 2
Perfekte Zeiten für Motivjäger
Des einen Freud, des anderen Leid – während Hotels und Restaurants unter den fernbleibenden Gästen nach wie vor ächzen, freuen sich die wenigen Touristen über fast schon paradiesische Bedingungen. Wann sonst könnte man die Hofburg oder das Schloss Schönbrunn ohne einen Menschen davor fotografieren? Selbst im Café Central, sonst neben seinen Leckereien bekannt für seine Warteschlange vorm Eingang, bekommt man sofort einen Platz. Einziger Wermutstropfen: Der Demel, eine der bekanntesten Konditoreien, hat nach wie vor geschlossen.
Die Wiener Hofburg, nahezu menschenleer Sonst voller Menschen: Die Gloriette Samstags im Café Central – ohne die übliche Warteschlange.
Viele Wiener können der touristischen Flaute durchaus etwas abgewinnen, sie erleben und entdecken ihre Stadt quasi völlig neu. Sogar Hallstatt steht für einige auf dem Programm. Das kleine Dorf mit 754 Einwohnern im Salzkammergut ist sonst nämlich für Österreicher quasi tabu, seit es nahezu detailgetreu in der chinesischen Provinz Guangdong nachgebaut wurde. Fast 900.000 Besucher, vorwiegend aus Asien, fallen sonst jährlich über das Originaldorf her – das tut sich freiwillig kein Österreicher an.
Wien in Zeiten von Corona: Noch ist es leer, der Tourismus zieht langsam wieder an. Wenn es einen guten Zeitpunkt für einen Wien-Besuch gibt, dann jetzt. Bleibt zu hoffen, dass Corona keinen Strich durch die Rechnung macht.