Ein Aushängeschild deutschen Weinbaus ist zweifellos der Riesling, eine Rebsorte, die in allen Qualitätsstufen und Geschmacksrichtungen angebaut wird. Für Spitzenrieslinge aus wertvollsten Lagen ist das pfälzische Weingut Dr. Bürklin-Wolf aus Wachenheim bekannt. Als sich mir, Pfälzer von Geburt, die Gelegenheit bot, die Chefin des Weingutes, Bettina Bürklin-von Guradze zu interviewen, habe ich sofort zugesagt.
Anfang des Jahres vereinbarten wir einen Termin für April 2020.
„April is a cruel time. Even though the sun may shine“, heißt es schon 1969 bei Deep Purples April, Part 1-3. Wie passend für April 2020, wo die weltweite Ausbreitung von COVID-19 mittlerweile katastrophale Folgen zeitigt. Die Absage eines Interviews dagegen ist nur eine unbedeutende Randnotiz. Umso erfreuter war ich, dass Frau Bürklin-von Guradze in ein schriftliches Interview einwilligte.
Ein Interview mit interessanten Einblicken in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines der bedeutendsten Weingüter Deutschlands.
Doch lesen Sie selbst:
Bernhard Steinmann (B.St.): Die Absage von Aufträgen, Kurzarbeit und Quarantäne-Maßnahmen verunsichern derzeit viele Menschen. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihr Unternehmen?
Bettina Bürklin-von Guradze (B.-v.G.):Im Gegensatz zu der Finanzkrise 2008/2009 ist der aktuelle Zustand politisch gesteuert, um die Bevölkerung vor den Risiken des Virus zu schützen. Das ist zunächst nachvollziehbar und absolut notwendig. Jedoch bringt die Geschwindigkeit der Veränderungen viele Betriebe innerhalb weniger Wochen in existenzielle Bedrängnis, obwohl sie mit einem funktionierenden Geschäftsmodell unterwegs sind. Auch wir mussten Kurzarbeit anmelden und müssen sehen, wie wir für die kommenden Monate unsere Liquidität sichern.
Trotzdem ist der einzige wirkliche Ausweg für uns als Weingut der Blick nach vorne und wir haben in den über 400 Jahren unseres Bestehens schon viele Krisen gemeistert. Mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeite ich bereits seit vielen Tagen aktiv an Konzepten und Ideen, um nach Ende des Shutdowns die richtigen Angebote für unsere Partner in den Märkten zu haben.
B.St.: Erratischen Bewegungen an den Börsen folgt eine Politik des schnellen Geldes. Doch zugesagte Hilfen sind noch keine echten Hilfen. Wo sehen Sie Ihr Unternehmen im Herbst 2020?
B.-v.G.: Ich merke schon heute, dass meine Mitarbeiter und ich nach dem Schock der ersten Tage den Blick nach vorne richten. Mein Weingut wird im Herbst 2020 gelernt haben, flexibler auf solche Entwicklungen reagieren zu können. Das stärkt uns für die Zukunft, auch wenn wir in diesen Tagen auf einem sehr steinigen Weg unterwegs sind. Und selbstverständlich rechnen wir mit starken Umsatzeinbußen vor allem im ersten Halbjahr 2020 die auch in der zweiten Jahreshälfte nicht aufzuholen sein werden. Damit sind natürlich die gesteckten Ziele nicht zu erreichen.
B.St.: Sie haben das Weingut in einer Zeit übernommen als in Deutschland Quantität eine besondere Stellung eingenommen hatte. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
B.-v.G.:Dann hätte ich mein Erbe nie angetreten! Ich habe das, damals noch gemeinsam mit meinem Mann, sofort als große Chance erkannt. Mein Weingut trug einen großen Namen und das Problem war nur, dass alles erzeugt wurde, was im Rahmen des deutschen Weingesetzes möglich war. Das hat leider dazu geführt, dass die Weine beliebig wurden und die Marke darunter gelitten hat.
Die Ausgangsbasis waren und sind aber die wertvollen Weinberge hier an der Mittelhaardt mit ihrem einzigartigen Terroir. Darauf haben wir uns konzentriert. Einst waren Rieslinge aus diesen Weinbergen die wertvollsten Weine der Welt. Das war uns Ansporn genug.
B.St.: Finanzamt und Steuern sind bei vielen Leuten negativ besetzt. Sie haben aus einer Grundsteuerbewertung nach der „Königlich-bayerischen Lagenklassifikation“ wegweisende Veränderungen vorgenommen. Wie kamen Sie darauf?
B.-v.G.: Es war vor allem mein Mann, der sich als Quereinsteiger die Frage stellte, warum in anderen Weinbauregionen der Erde, vor allem aber im Burgund, Weine aus einzelnen Weinbergen solche Höchstpreise erzielen. Wie schon gesagt, haben wir uns im Rahmen dieser Recherchen sehr stark mit unseren Weinbergen beschäftigt und sind dabei auf die von Ihnen genannte Lagenklassifikation aus dem Jahr 1828 gestoßen. Basis damals war die Menge der dort erzeugten landwirtschaftlichen Produkte, in unserem Fall also Trauben. Da zu dieser Zeit der Kunstdünger noch nicht erfunden war, war die quantitative Aussage aber gleichzeitig auch eine qualitative. Die 1828 am höchsten bewerteten Weinberge, z. B. das Kirchenstück oder das Ungeheuer in Forst waren auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts so teuer wie die großen Bordeaux und die großen Burgunder. Davon sind wir zwar heute als Folge der beiden Weltkriege noch ein Stück entfernt, aber sie gehören heute wieder zu den teuersten und rarsten Weißweinen in Deutschland.
B.St.: Der biodynamische Weinbau beruht auf den Theorien des Anthroposophen Rudolf Steiner, die er in den 1920er-Jahren verfasste. Zu den bekanntesten Weingütern, die sich daran orientieren, gehört seit etwa 1997 die großartige Domaine Leflaive aus dem Burgund. War das ein Vorbild für Sie?
B.-v.G.: Als wir uns Ende der 1990er Jahre erstmals mit dem Thema der Biodynamie auseinander gesetzt haben war natürlich auch die Domaine Leflaive ein Vorbild für uns. Wichtiger Wegbegleiter zu Beginn der Umstellung ab dem Jahr 2001 war aber vor allem Marc Kreydenweiss aus dem Elsass. Mit unserem Eintritt in die Vereinigung biodynamischer Winzer „Biodyvin“ in Frankreich sind wir dann natürlich in engeren Kontakt mit der Domaine Leflaive getreten, die dort zu den Gründungsmitgliedern gehörte.
B.St.: Spricht man von biodynamischem Anbau wird das von vielen Menschen als Verzicht auf Kunstdünger interpretiert. Dabei verbirgt sich dahinter viel mehr. Können Sie das kurz für Laien verständlich erklären?
B.-v.G.: Das wichtigste was uns die Biodynamie lehrt, ist vor allem der Respekt vor den Böden. Das ist das wesentliche Element. Ohne gesunde Böden keine Weine, die einen berühren.
Es geht bei der biodynamischen Bewirtschaftung vor allem darum, den Organismus der Rebe an sich zu stärken und widerstandsfähig gegen alle Extreme zu machen. Dafür verwenden wir vor allem unterschiedliche pflanzliche Präparate, die mit ihren spezifischen Eigenschaften den Weinstock unterstützen. Wenn Sie so möchten gleicht dieser Ansatz der Homöopathie.
Gleiches gilt für die Böden, denen wir durch die Monokultur Wein im Verlauf eines Jahres viel Substanz entnehmen. Diese muss wieder zurückgegeben werden. Deshalb ist für uns der Einsatz von selbst hergestelltem Kompost sowie speziell zusammengestellte Einsaaten elementarer Bestandteil unserer Arbeit.
B.St.: Spitzenlagen werden von Weinliebhabern sehr geschätzt. Meiner Meinung nach kommt es aber besonders auf die Qualität der Verarbeitung an. Wie sehen Sie das Zusammenspiel von Lage und Verarbeitung?
B.-v.G.: Große Weine können nur aus gesunden, reifen Trauben aus besten Weinbergen entstehen. Die Aufgabenstellung an meinen Kellermeister ist, die Einzigartigkeit der wertvollen Böden während der Verarbeitung der Trauben im Wein zu erhalten und möglichst wenig einzugreifen. Wenn Sie so möchten ist der Beruf des Kellermeisters das kontrollierte Nichtstun!
Wir merken von Jahr zu Jahr mehr – insbesondere seit der Umstellung auf die Biodynamie – dass uns die einzelnen Weinberge bzw. die Trauben eines Jahrgangs zeigen, wie unser Kellermeister mit ihnen umzugehen hat. Das muss er erkennen. Das ist das eigentliche Geheimnis.
B.St.: Rieslingweine gibt es in allen Qualitätsstufen und vielen Geschmacksrichtungen. Was gefällt Ihnen an dieser Rebe so gut?
B.-v.G.: Kaum eine andere Rebsorte auf der Welt kann die unterschiedlichen Böden derart gut widerspiegeln wie der Riesling. Gleiches gilt für die enorme Lagerfähigkeit dieser Rebsorte. Darüber hinaus kann der Riesling von den trockenen Weinen bis hin zu den großen edelsüßen Beeren- und Trockenbeerenauslesen eine Bandbreite bieten, die keine andere Rebsorte der Welt auch nur annähernd bietet! Das macht ihn einzigartig.
B.St.: Ist Subskription ein Thema für Sie?
B.-v.G.:Ja, wir arbeiten seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit der Subskription in der Vermarktung unserer G.C. und P.C. Rieslinge.
B.St.: Welche Bedeutung haben Auszeichnungen, wie z. B. 5 Trauben im Gault&Millau Weinguide oder 5 Sterne im „Vinum“ für Sie?
B.-v.G.: Diese Auszeichnungen sind zunächst auch eine Anerkennung für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die geleistete Arbeit innerhalb eines Jahres und Antrieb für den jeweils kommenden Jahrgang. Darüber hinaus bieten sie dem interessierten Kunden eine gewisse Orientierung in der enormen Vielfalt innerhalb Deutschlands. Wir nutzen diese Auszeichnungen daher auch aktiv in der Kommunikation mit unseren Kunden.
B.St.: Haben Sie eine Vorstellung davon wie sich der Klimawandel auf den Weinbau auswirken wird?
B.-v.G.: Wir werden mit dem Klimawandel leben müssen und wir sehen schon heute, wie er in die tägliche Arbeit eingreift. Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. Die Blüte beginnt in vielen Jahren deutlich früher als in der Vergangenheit und somit natürlich auch die Lese im Herbst. Die heißen Sommer nehmen Einfluss auf den Umfang der Laubarbeiten und auf das gesamte Management der Begrünungen am Boden, damit wir das vorhandene Wasser optimal nutzen. In den letzten Jahren nehmen wir aber auch immer deutlicher wahr, wie sehr uns die biodynamische Bewirtschaftung und der Respekt vor den Böden hilft, mit Wandel des Klimas zurecht zu kommen.
B.St.: Sie haben die Ortsweine in Village Riesling umbenannt. Ist in der gehobenen Gastronomie und dem Fachhandel tatsächlich so wenig Weinverstand verortet, dass man die Ortsweine nicht einordnen konnte?
B.-v.G.: Der Begriff des Ortes ist in diesem Zusammenhang unscharf und nach unserer Auffassung aus dem französischen Begriff des „Village“ Weines nicht präzise genug übersetzt, um dem Verbraucher ausreichend Orientierung zu geben. Was ist ein Ort? Ein einzelner Weinberg ist auch ein Ort. Was also unterscheidet einen Forster Riesling von einem Forster Ungeheuer?
Uns selbst war das lange auch nicht wirklich bewusst, bis wir von vielen Sommeliers und Fachhändlern darauf hingewiesen wurden, dass in unserer Klassifikation in Anlehnung an das burgundische Prinzip der Grands- und Premiers Crus, der Begriff des Village Weines eigentlich logisch und konsequent wäre.
Das haben wir mit einigen großen Kunden im Vorfeld der Umstellung lange diskutiert und haben viel Bestätigung erfahren.