Bernhard Steinmann im Restaurant Rutz

Nachdem Gwendal Poullennec zum internationalen Direktor der Michelin-Guides aufgestiegen und Michael Ellis ersetzt hatte, gab es reichlich Kritik bei der Verkündung des französischen Guides. Die Veränderungen in Deutschland waren dagegen nicht so gravierend, doch nun stand erneut die Sternevergabe für Deutschland an.

Die Präsentation in Hamburg wurde Opfer des SARS-CoV-2-Ausbruchs in Deutschland. Stattdessen gab es eine nüchterne Präsentation auf Facebook.

Nüchtern und einschneidend. Das abgebrannte Flaggschiff deutscher Sternegastronomie, die Schwarzwaldstube in Baiersbronn, ging leer aus. Was eigentlich zu erwarten war, löste dennoch Trauer aus. Haben wir doch so viele schöne Stunden bei Harald Wohlfahrt oder später bei Torsten Michel verbracht.

Dennoch darf sich Deutschland weiterhin freuen, 10 Drei-Sterne-Restaurants aufbieten zu können. Verzweifelte Hauptstadtgourmets wurden endlich erhört und bekamen ihren Dreisterner, das Restaurant Rutz mit Küchendirektor Marco Müller. 

Nachdem Gwendal Poullennec die gute Nachricht via Facebook verkündet hatte, war mein erster Gedanke: Wow, zum Glück musste ich dafür nicht nach Hamburg fahren. 

In der Berliner Gourmetszene war Müller nämlich nicht die erste Wahl. Die derzeit noch allgegenwärtige Freude könnte durchaus einer gewissen Nüchternheit weichen. Denn der Kreativkünstler Marco Müller präsentiert seine Kreationen nicht für den Mainstream. 

Was hat man schon alles über Köche mit eigener Handschrift gelesen. In den überwiegenden Fällen verpackt man in einer solchen Bemerkung schlicht ein Lob. Eine eigene Handschrift im Sinne eines Planes, einer eigenen Linie, eines tiefergehenden Verständnisses, war wohl in den seltensten Fällen gemeint.

Doch auf Marco Müller trifft dies zu. Zur Freude von Gästen, aber auch zum Leidwesen von Gästen. 

Müllers Kreationen fordern heraus. Trotz deutlicher Reduzierung bleiben sie kompliziert. Der Gast, dem diese Gerichte einfach nur schmecken, wird zufrieden das Restaurant verlassen. Wer darüber hinaus die Gerichte versteht, geht glücklich. 

Auf meine erste zwiespältige Empfindung auf den dritten Stern für das Rutz, musste zwangsläufig eine Reaktion folgen. Die konnte nur darin bestehen, einen Tisch im Restaurant zu reservieren und mich den Inspirationen der Küche hinzugeben. Meine Buße sozusagen. 

Doch schauen wir uns die Gerichte etwas näher an.

Der Auftakt war bereits fulminant.

Es gab einen Sud aus fermentierten Herbstpilzen, man könnte es auch Pilztee nennen. Dazu wurde ein Stockbrot mit Sauerklee serviert.

Und noch ein Küchengruß:

Oben: Kräuterasche, Kopfsalat mit Zitronen-Muschel-Vinaigrette

Links: Roggenchip mit Ragout aus Sellerie und Stachelbeere

Rechts: Dinkelchip mit eingelegter Steckrübe

Obwohl es sich hier um Miniaturen handelt, erfreuten uns die sehr intensiven Geschmacksnoten.

Quellforelle – Lardo und Bottarga, Blumenkohl, Wacholder

Die Forelle ist aus eigener Zucht. Der weiße Rückenspeck vom Schwein ist zweieinhalb Jahre gereift. Hinzu kommt etwas Forellenhaut, Forelleneier, Sud aus Tomaten und hausgemachter Fischsauce.

Würzige Bottarga, nicht von der Meeräsche sondern ebenfalls von Forellen, wurde darüber gehobelt.

Dorsch – Kombu Alge, Holunderblüte, Walnuss

Klein gehobelte Walnuss mit gebeiztem Eigelb, und eine Holunderblütensauce ergänzten die Kreation.

Rindfleisch  – greift, geröstet und getrocknet

Knochenmark scharf angebraten, fermentierte Himbeercreme mit knuspriger Kartoffel, Petersilie und Nori-Alge

Rind von der Morgan-Ranch. Getrocknetes und gebeiztes Herz wird darüber gehobelt, insgesamt ein leicht salziger Geschmack.

Schockgefrorene Himbeerperlen, getrocknete Tomate und Tomatencreme ergänzen das fantastische Gericht.

Die Himbeere sorgt für einen frischen Säurekick.

Herbstpilze – Hühnerhaut und Schwarzwurzel

U.a. werden Herbsttrompete, Hallimasch und Krause Glucke annonciert. Getrocknete Schnittlauchblüten, Basilikum und Majoran,

Pulver aus fermentierten Pilzen, eingelegte Herbsttrompeten, scharf angebratene Seitlinge. Man kann sich wirklich nicht alles merken. Hinzu kommt eine knusprige Hühnerhaut nebst einer cremigen Variante und Brioche.

Vielleicht könnte man an dieser Stelle die Frage nach der Stilrichtung Müllers stellen. Nordische Küche, regional, saisonal, doch etwas weltoffen? Vom Ursprung her klassisch, jedenfalls modern interpretiert? Kreativ sowieso, aber wer nimmt das nicht für sich in Anspruch?

Vergessen wir das alles. Die Schublade in die Marco Müller passt, liegt noch roh beim Schreiner. 

Königskrabbe – Estragon und gebeiztes Eigelb

Noch glasig wird das Fleisch durch Nussbutter gezogen. Hinzu kommt eine schmackhafte Sauce aus weißer Tomate und Estragon sowie Feta-Käse aus der Uckermark.

Nussige Aromen und eine leichte Süsse schmeicheln am Gaumen.

Taube und Raucharomen – Buchenpilze, Johannisbeere

Etouffée Taube auf Holzkohle gegrillt. Die Keule ist mit Gänsefett confiert. Taubencreme mit schwarzen Johannisbeeren, Kaffeebohnen. Die Raucharomen sind spürbar und dennoch dezent.

Koji-Kalb – Kohl und Brot, Alte Birne

Tafelspitz vom Milchkalb mit Koji anfermentiert. Das Ganze allerdings nur für etwa 12 Minuten, damit der Geschmack nicht zu intensiv wird. 

Grünkohl, frisch, gebacken und mariniert begleitet. Dazu gibt es Brotchips, Brotmisocreme und Birne mit Asche. Die Birne aus 2017 wurde langsam dehydriert wird über die Speise gehobelt.

Wildquitten – Holzaromen und Malz

Die Quitten werden leicht mit Quittenessig mariniert und mit einem hausgemachten Joghurt verfeinert.

Karotte – Alte Karotte, Granité und Eis

Zunächst wird das Grün abgemäht und die Karotte im Boden belassen um den Geschmack zu intensivieren.

Wein und Service:

Gastgeber Falco Mühlichen annonciert detailverliebt und leidenschaftlich, jedoch immer unaufdringlich. Es hat sich gezeigt, dass es vorteilhaft ist, die Erklärungen und Hintergründe aufzunehmen um das Gebotene besser verstehen zu können.

Sommeliere Nancy Großmann begleitet die Speisen Müllers kenntnisreich und kreativ. 

Der Service insgesamt ist entspannt, professionell, überaus angenehm.

FAZIT:

Schon eingangs habe ich darauf verwiesen, dass die Beurteilung der Küche zwiespältig ausfallen kann. Die Restaurantführer selbst drücken sich tatsächlich ambivalent aus. Ganz sicher scheint man nicht zu sein, wohin die Reise geht.

Zückt der Guide Michelin die Höchstnote, so bewertet der Gault&Millau in seiner neuesten Ausgabe die Leistung mit immerhin noch beachtlichen 17 Punkten, aber deutlich unter der Höchstnote.  

Der „Große Guide“, für dessen Onlineausgabe ich als Gastautor für das „Magazin“ schreibe, ist da schon etwas weiter und hat 5 Kochmützen spendiert.

„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“. Ein treffendes Zitat des dänischen Theologen und Philosophen Søren Kierkegaard (1813-55), das wir an dieser Stelle besonders beherzigen sollten.

Die Frage, wie ich persönlich die Küchenleistung einschätze, beantworte ich wie folgt: Ich habe bereits wieder reserviert.

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