von Bernhard Steinmann
Mit dem nachfolgenden Interview schließe ich die Trilogie über das Hotel Bareiss und dessen gleichnamiges Restaurant ab. Küchenchef Claus-Peter Lumpp nahm sich ausreichend Zeit und gestattete interessante Einblicke in seinen täglichen Arbeitsablauf.
B. Steinmann (B.St.): Ende 2007 haben Sie den dritten Michelinstern erhalten. Wie wichtig sind Ihnen Michelinsterne? Geht es dabei um Anerkennung oder Ansporn?
Claus-Peter Lumpp (C-P. Lumpp): Sowohl als auch. Ich glaube der dritte Stern ist sowas wie ein Oscar, wie eine olympische Goldmedaille.
Als ich in jungen Jahren hier begonnen habe, war das ein Ziel. Dieses Ziel wollte ich erreichen, wollte es unbedingt. Wir hatten gute Bedingungen, um unsere Ziele letztendlich zu verwirklichen. Und dann ist es schön, wenn man das Ziel irgendwann erreicht. Das ist so etwas wie ein Ritterschlag.
B.St.: Sie haben bei hervorragenden Küchenchefs Erfahrungen sammeln dürfen.
Wer hat Sie am stärksten beeinflusst. Winkler, Witzigmann, Lafer oder Ducasse?
C-P. Lumpp: Da darf man nicht unfair sein. Ich glaube, jeder hat mich ein Stück weit beeinflusst und ich habe viel gelernt und gesehen. Das ist nun fast 28 Jahre her. Ich war ja damals noch keiner der großen Köche, ich war auf einem Weg vielleicht mal ein großer Koch werden zu können.
Bei meinen Stationen habe ich einen Eindruck gewinnen können und ich weiß nicht ob es tatsächlich prägende Situationen gegeben hat.
Man nimmt natürlich immer etwas mit. Es gibt aber auch Dinge da sagt man sich, das möchte ich so nicht machen. Aber letztendlich bin ich mit den Jahren hier im Unternehmen gewachsen, begleitet von Hermann Bareiss, der mich permanent gefördert und gefordert hat. Er hat mir die Möglichkeit gegeben mich weiter zu entwickeln. Schließlich bin ich an den hier gestellten Aufgaben gewachsen.
B.St.: Ducasse hat Sie vor einigen Jahren hier besucht.
C-P. Lumpp: Ja, das war eine große Ehre für uns und er war auch positiv überrascht, was das Haus hier zu bieten hat und wie vielfältig die Gourmetküche im Restaurant Bareiss ist. Er war wirklich überrascht.
B.St.: Wir konnten gestern wieder beobachten, dass Sie auf der Grundlage französischer Stilistik beeindruckende Geschmacksbilder präsentieren. Die Gerichte sind auch optisch sehr ansprechend ohne allzu verspielt zu wirken. Viele Ihrer Kollegen sehen sich gerne als Künstler und danach erst als Koch.
Wie sehen Sie sich?
C-P. Lumpp: Ich sehe mich wahrscheinlich als Handwerker der letztendlich ein Kunsthandwerk ausübt. Die Art und Weise wie man ein Gericht gestaltet, es letztlich auf den Teller bringt, hat schon einen künstlerischen Aspekt.
Ich bin ein absoluter Geschmacksfreak. Wir kreieren ein Gericht nach dem Geschmack und erst dann schauen wir, wie man es präsentieren kann. Aber nie umgekehrt. Sie werden bei mir auch nicht die extravaganten Gebilde finden. Sie finden immer sehr durchstrukturierte Gerichte, zeitgerecht, modern angerichtet, manchmal auch etwas puristisch aber letztendlich immer eine große Geschmackstiefe.
B.St.: Sie sind ein Meister der Variation. Das Wechselspiel von Tradition und Moderne, Texturen und Aromen, Aggregatzustände und Temperaturen bestimmen Ihre abwechslungsreiche Küche. Gestern fand ich das Menü sehr modern. Überfordern Sie auch schon mal Ihre Gäste?
C-P. Lumpp: Eigentlich muss ich das verneinen. Ich höre ja die vielfältigsten Kommentare. Viele sagen, wir freuen uns, dass es bei Ihnen so „normal“ ist. Man sieht was man isst, man schmeckt, was man auf der Karte liest. Unsere Gerichte sind nicht sonderlich erklärungsbedürftig. Man schaut sich die Gerichte an und kann in aller Ruhe genießen.
B.St.: Küchenarbeit ist Teamarbeit.
Arbeiten Sie noch immer an einer Station oder sind Sie ausschließlich Teamchef?
C-P. Lumpp: Ich bin ein absoluter Teamplayer. Ich bin kein Solist. Früher, als ich hier anfing, habe ich am eigenen Posten gekocht und als ich aufhörte am eigenen Posten zu kochen, da wurden wir erfolgreich. (Lacht).
Ja, das hört sich vielleicht lustig an, aber ich kann Ihnen natürlich genau erklären, wie das zustande kommt. Wenn sie hier Fische filettieren, wenn sie hier kochen, dann haben sie einen hohen Konzentrationsbedarf. Das ist bei Ihnen genauso. Wenn Sie schreiben, dann müssen Sie sich darauf konzentrieren. Dann können Sie nicht nebenbei noch einen Aufsatz schreiben und eine Matheaufgabe lösen. Das funktioniert nicht. In dem Augenblick aber, wo man sich davon löst, sieht man, was um einen herum geschieht.
Man sieht was der Kollege links kocht, was jener rechts kocht, was hinten links los ist. Ich kann sehen, ob gewürzt wurde, ob abgeschmeckt wurde.
Es ist meine Aufgabe zu schauen, ob alles funktioniert. Dort wo ich Mängel erkenne, da muss ich zur Stelle sein.
Trotzdem stehe ich mittendrin. Ich habe genau den gleichen Stressfaktor. Ich stehe vorne, ich probiere die Dinge, aber die eigentliche Zubereitung, die übernimmt mein Team. Und deshalb ist es wichtig, ein sehr, sehr gutes Team zu haben.
Egal was wir machen, das schönste Konzert kann ohne Dirigent nicht funktionieren, aber ohne Orchester, funktioniert es auch nicht. Das ist einfach so. Sie brauchen ein gutes Team in Küche und Service.
Auch der Service, so wie er sich bei uns darstellt, die Fachkompetenz, das Ambiente, alles gehört zusammen. Michelin beschränkt sich bei den Sternen immer aufs Essen.
Ich möchte weder Michelin noch sonst einen Führer kritisieren, aber letztlich geht es heute, geht es in dieser Zeit um das Gesamterlebnis.
Wo finden Sie so einen tollen Blumenschmuck, frische Blumen, wo finden Sie solche Tischdecken, wo finden Sie das Silber. Also, frische Blumen sind heute oftmals ein lästiges Übel das Geld kostet. Dieses lästige Übel nehmen wir gerne in die Hand, weil es einfach zu diesem kulturellen Charakter gehört. Wir zelebrieren gerne eine schöne Tafelkultur. Heute wird es als modern verkauft, nichts mehr auf den Tisch zu stellen. Und wie kommt es dazu? Dahinter steht oft der Controller, dem alles zu viel Geld kostet.
Bei uns gibt es drei Tischdecken. Zwei müssen auf dem Tisch gebügelt werden. Wenn man sich vorstellt, was dies für ein Aufwand ist. Mittags und abends.
Klar kann man das alles wegstreichen, immerhin hängt eine Menge Geld dran. Aber ist es dann noch dieses schöne Erlebnis?
Nehmen sie alleine unseren Käsewagen. Wo finden Sie heute noch irgendwas in dieser Fülle. Gut, einen Käsegang gibt es schon mal.
Oder aber der Käse wird ganz weggestrichen. Mir geht es dabei auch um die Kultur des Essens, das Perfekte, die Lebensart, warum soll das alles verlorengehen?
B.St.: Der Wunsch nach Medienpräsenz scheint bei einigen Ihrer Kollegen sehr ausgeprägt zu sein. Üben die täglichen Kochshows keinen Reiz auf Sie aus?
C-P. Lumpp: Nein, überhaupt nicht.
Schauen Sie, es ist ganz einfach. Ich bin tagtäglich hier und die Gäste freuen sich, wenn sie mich jeden Tag im Restaurant persönlich sehen.
Manchmal gehen die Gäste etwas früher, aber wenn sie lange genug verweilen, komme ich garantiert ins Restaurant. Die wahre Show findet hier statt. Mich gibt es nicht in der Konserve. Wir werden oft angefragt aber mittlerweile haben wir den Ruf, dass es sinnlos ist hier nachzufragen. Ich arbeite hier und ich bin stolz darauf, dass es so ist. Ich bin aber auch nicht der Mensch, der sich medial zum „Kasper“ machen möchte. Wenn ich zusammen mit Harald Wohlfahrt oder Jörg Sackmann für den SWR etwas mache, dann ist dies eine andere Geschichte, da geht es um die Region, das ist autentisch. Das sind wir.
Sie sehen, dass vielleicht 80 % der Bevölkerung nicht mehr kochen möchte oder kochen kann. Statt dessen ergötzt man sich an solchen Kochsendungen. Das sieht relativ easy aus, aber wenn man es selbst probiert merkt man, es ist einfacher Fernsehen zu schauen als es selbst zu machen. Wenn sie dann letztlich Essen gehen und zu uns ins Restaurant kommen, bin ich hochzufrieden.
B.St.: Meiner Meinung nach hat sich die Pâtisserie Ihrer Küche enorm entwickelt.
Deutliches Zeichen ist die Auszeichnung für Stefan Leitner als Pâtissier des Jahres im aktuellen Gault&Millau Deutschland. Wieviel Spielraum überlassen Sie Ihrer Küchencrew für Experimente und Entwicklung neuer Kreationen?
C-P. Lumpp: Nun, Herr Leitner hat 100 % Spielraum, er ist sehr selbstständig.
Letztendlich präsentiert er mir ein fertiges Dessert, wir probieren, verkosten und reden darüber. Wir bringen damit andere Betrachtungsweisen ein, andere Meinungen und wenn es Bedarf gibt, wird es optimiert. Im Regelfall passt es zu 100 %.
Bei den anderen Gerichten sieht es etwas anders aus. Da gebe ich einen groben Rahmen vor. Beim nächsten Menü, am Samstag ist Menüwechsel, hätte ich gerne Gänseleber mit Kirschen gehabt, aber wie Sie gesehen haben sind viele Kirschen erfroren.
OK, denke ich mir, es gibt die ersten Aprikosen, hat leider auch nicht funktioniert.
Wir konnten nicht die gewünschte Qualität erhalten. Nun nehmen wir Feige und Cassis. Hauptsache wir bekommen die Qualität, mit der wir zufrieden sein können.
Nun lautet die Vorgabe, mit Cassis, Feige, Gänseleber, Karamell, einen Gang vorzubereiten. Der zuständige Koch macht einen Entwurf, dann reden wir darüber und schließlich wird dieser Entwurf virtuell dargestellt. Dann kommt der Praxistest, der Teller wird präsentiert und dann optimiert. Passt es geschmacklich, muss nur noch ansprechend angerichtet werden. Das ist Teamwork. Da arbeitet das ganze Team zusammen.
Wissen Sie, die Kreativität der jungen Menschen ist erstaunlich. Nehmen wir als Beispiel das Gurken Amuse Bouche. Das hat ein begnadeter junger Koch von mir gemacht, der hier im Hotel Bareiss die Ausbildung gemacht hat und jetzt schon im vierten Jahr bei uns im Restaurant Bareiss ist. Auch er achtet auf Modernität. Er präsentiert mir seinen Vorschlag und ich muss entscheiden, ob es zu mir passt.
Ist es zu modern, muss ich es entschärfen? Soll es mehr in Richtung Tradition gehen?
Wenn alles stimmt, dann muss er das Gericht vier Wochen lang gestalten. Er ist dann der Chef für dieses Gericht. Kein anderer.
So ist das mit jedem Gericht. Jedes Gericht hat einen eigenen Paten. Diese Paten sind die Chefs für dieses eine Gericht. Man muss motivieren, Verantwortung weitergeben.
B.St.: Wie häufig nehmen Sie Änderungen am Menü vor?
C-P. Lumpp: Alle vier Wochen. Jeden Monat wechselt das Menü. Manchmal hängt es auch mit den Produkten zusammen.
B.St.: Wieviel Spaß macht es eigentlich, nach einem langen Arbeitstag die unterschiedlichsten Bemerkungen über sich ergehen zu lassen. Was dominiert: Lust oder Frust?
C-P. Lumpp: Da ich ja schon 25 Jahre im Hause bin können wir über eine 25jährige Geschichte sprechen. Am Anfang wurde erwartet, dass ich meine Restaurantrunde mache. Ich habe ich es nicht gemacht.
Damals hatte ich ja noch selbst gekocht. Ich glaube, die ersten sechs oder sieben Jahre bin ich nicht zu den Gästen ins Restaurant raus, weil ich so stark in meiner Küche involviert war. Damals habe ich einfach nicht die Zeit dafür gefunden.
Nach der Umstellung des Ablaufes, wo ich sagte, ok, ich koche keinen eigenen Posten mehr, hatte ich den Überblick, hatte ich die notwendige Ruhe und dann muss man sich dem Gast doch stellen.
Früher empfand ich das als Muss, heute ist es eine Selbstverständlichkeit, die ich gerne wahrnehme. Ich möchte wissen, wie zufrieden unsere Gäste sind und möchte ihnen ein Ansprechpartner sein.
B.St.: Herr Leitner ist ja schon lange bei Ihnen, ich glaube seit 15 Jahren, Herr Brandt ist schon 25 Jahre dabei, das ist ja auch sichtbares Zeichen für Beständigkeit und Erfolg. Stammgäste haben dadurch seit vielen Jahren den gleichen Ansprechpartner.
C-P. Lumpp: Ein Restaurant braucht gewisse Strukturen und Stützen.
Meine Stützen in der Küche sind natürlich Stefan Leitner und Imo Klausmann. Imo Klausmann ist mein Stellvertreter, er ist der operative Küchenchef. Eigentlich ist er Sous-Chef, aber er ist mein Küchenchef.
Er nimmt mir alles im operativen Bereich ab, was man sich nur vorstellen kann. Er sorgt dafür, dass ich jetzt hier zum Gespräch mit Ihnen sitzen kann, er sorgt dafür, dass ich in aller Ruhe zum Gast gehen kann und er sorgt dafür, dass es hinter den Kulissen läuft. Das ist mein direkter Vertrauenspartner und da weiß ich ganz genau, egal ob es draußen hagelt, stürmt oder schneit, er setzt alles in meinem Sinne um. Und er setzt es auf eine menschliche Weise um, so wie ich es mit vorstelle, so wie ich auch mit meinem Team umgehe. Ich möchte ihn ausdrücklich hier erwähnen, weil er eine so große Stütze für mich ist.
B.St.: Vielen Dank, Herr Lumpp, für dieses interessante Gespräch.