Bitter ist nicht für alle bitter, oder doch?

Warum Bitterstoffe aus Artischocken nicht immer bitter schmecken, aus
Absinth aber schon

Untersucht man eine Gruppe von Menschen, so
stellt man fest, dass bestimmte Bitterstoffe, z. B. aus der Artischocke,
für einige deutlich bitterer schmecken als für andere, während solche
individuellen Wahrnehmungsunterschiede für andere Bitterstoffe, z. B.
aus Absinth, nicht zu beobachten sind. Wie Wissenschaftler des Deutschen
Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und der Universität von
Kalifornien nun erstmals zeigen, lässt sich dieses Phänomen auf die
besondere chromosomale Verteilung der Bitterrezeptorgenvarianten
zurückführen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, die biologischen
Grundlagen der Geschmackswahrnehmung und das Entstehen individueller
Nahrungsvorlieben besser zu verstehen.

Das Wissenschaftlerteam um Wolfgang Meyerhof und Natacha Roudnitzky vom
DIfE veröffentlichte seine Daten nun in der Fachzeitschrift PLOS
Genetics (Roudnitzky et al.; 2015; DOI:10.1371/journal.pgen.1005530).
Obwohl nicht generell ein Zusammenhang zwischen Bitterkeit und
Giftigkeit besteht, gehen Wissenschaftler im Allgemeinen davon aus, dass
der Sinn für Bitteres uns vor dem Verzehr giftiger Nahrung bewahren
soll. Dennoch weiß man schon lange, dass die Bittergeschmackswahrnehmung
für einige Bitterstoffe sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Ein
klassisches Beispiel ist die Wahrnehmung der künstlichen Substanz
Phenylthiocarbamid. Für diese gibt es „Schmecker“ und
„Nichtschmecker“, je nachdem, ob die entsprechende Person über
die intakte Genvariante des Bitterrezeptors TAS2R38 verfügt oder nicht.

Allerdings sind solche Wahrnehmungsunterschiede, die auf eine Mutation
in einem einzigen Bitterrezeptorgen zurückzuführen sind, sehr selten.
Meistens erkennen mehrere der 25 verschiedenen Bitterrezeptoren ein und
denselben Bitterstoff gleichzeitig, wenn auch mit unterschiedlicher
Empfindlichkeit. Der Ausfall eines Rezeptors ist somit nicht automatisch
mit einem Verlust des Bittergeschmacks für diesen Stoff verbunden.
Wie die neuen genetischen und sensorischen Untersuchungen an 48
Studienteilnehmern erstmals zeigen, hängen die individuellen
Unterschiede in der Geschmackswahrnehmung aber auch davon ab, wie die
Rezeptorgenvarianten auf den Chromosomen verteilt sind. Denn sie werden
meist nicht einzeln, sondern gruppenweise vererbt. Dies führt dazu, dass
Menschen die Bitterkeit einiger Substanzen, wie z. B. Grosheimin aus der
Artischocke, oft unterschiedlich stark empfinden, während dies für
andere Bitterstoffe wie Absinthin nicht der Fall ist.

Vereinfacht dargestellt, wird Grosheimin hauptsächlich von zwei
verschiedenen Bitterrezeptoren erkannt: dem sogenannten TAS2R43 und
TAS2R46. Die Gene für beide Rezeptoren liegen auf einem Chromosom eng
beieinander und werden daher meist gemeinsam vererbt. Das Chromosom
weist dabei entweder zwei sensitive oder zwei für den Bitterstoff
insensitive Genvarianten auf. Da jeder Mensch über einen doppelten
Chromosomensatz verfügt – ein Satz stammt von der Mutter und einer vom
Vater -, besteht in diesem Fall eine etwa 25 prozentige
Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind zwei Chromosomen mit insensitiven
Rezeptorgenen erbt. Dies bedeutet, dass es Grosheimin nur in sehr hohen
Dosen mittels anderer Rezeptoren schmecken kann, während ein Kind mit
zwei sensitiven Varianten auf beiden Chromosomen den Bitterstoff bereits
in sehr geringen Konzentrationen erkennt.
Für Absinthin, den Bitterstoff aus Absinth, gibt es ebenfalls zwei
spezifische Rezeptoren: den TAS2R30 und den TAS2R46. Die Gene liegen
ebenfalls dicht beieinander, ihre Varianten sind jedoch anders verteilt.

So findet sich auf einem Chromosom entweder eine sensitive Variante des
TAS2R30 und eine insensitive Variante des TAS2R46 oder umgekehrt, eine
insensitive Variante des TAS2R30 sowie eine sensitive Variante des
TAS2R46. In jedem Fall erben die Nachkommen also immer wenigstens einen
sensitiven Bitterrezeptor, der Absinthin erkennt. Dies erklärt, warum
Absinthin und damit auch Absinth für die meisten Menschen bitter
schmeckt.

„Wie unsere Ergebnisse zeigen, beeinflussen die Gene unser
Geschmacksempfinden nicht unwesentlich. Zudem belegen sie, dass die
genetischen Mechanismen, welche die Wahrnehmung von Bitterstoffen
beeinflussen, sehr viel komplexer sind als ursprünglich angenommen“,
sagt Erstautorin Natacha Roudnitzky. „Unser Ziel ist es, noch mehr über
die biologischen Grundlagen der menschlichen Geschmackswahrnehmung zu
erfahren, um besser zu verstehen, wie sie neben anderen Sinnen und
kulturellen Gewohnheiten unsere Nahrungsauswahl und unser
Ernährungsverhalten beeinflussen“, ergänzt Wolfgang Meyerhof,
Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE. Ein besseres
Verständnis könne dazu beitragen, Methoden zu entwickeln, die ein
gesünderes Ernährungsverhalten unterstützen, so Meyerhof weiter.

Hintergrundinformation
Der Geschmackssinn ist ein chemischer Sinn und beschränkt sich auf die
fünf Grundgeschmacksarten: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Der
Begriff „umami“ kommt aus dem Asiatischen und bedeutet so viel wie „es
schmeckt köstlich“ und wird durch den Eiweißbaustein Glutamat
ausgelöst. Obwohl die Forschung in den letzten Jahren große
Fortschritte gemacht hat, wissen wir heute immer noch relativ wenig über
die molekularen und neuronalen Prozesse, die unserem Geschmackssinn
zugrunde liegen.
In der vorliegenden Studie testeten die Wissenschaftler die
Geschmackseffekte von sechs verschiedenen natürlichen Bitterstoffen und
setzten die sensorischen Daten in Korrelation zu den genetischen. Zu den
sechs untersuchten Substanzen zählen: Absinthin, Amarogentin,
Cascarillin, Grosheimin, Quassin und Chinin.
Link zur Publikation:
http://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1005530

Informationen zur Abteilung Molekulare Genetik finden Sie unter:
http://www.dife.de/forschung/abteilungen/kurzprofil.php?abt=MOGE

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