Durch Einfallsreichtum und unbändigen Ehrgeiz wird Rolf Anschütz zu einem wahren Japanexperten und richtet sich im beschaulichen Südthüringen ein Restaurant ein, das weit über die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik hinaus bekannt wird – eine schier unglaubliche Geschichte
Nach wahren Begebenheiten erzählt SUSHI IN SUHL die unglaubliche, aberwitzige Geschichte des Rolf Anschütz, der mitten in der DDR gegen alle staatlichen wie gesellschaftlichen Bedenken und Widerstände seinen Traum vom Japan-Restaurant verwirklichte. Sein kulinarischer Ruf drang sogar bis nach Japan.
Suhl, Anfang der 70er Jahre – Rolf Anschütz ist Koch und Gastronom aus Leidenschaft. Allerdings hat er die traditionelle Thüringer Küche satt. Während er Klöße formt und Gulasch rührt, träumt er von ausgefallenen Speisen, die in der Planwirtschaft der DDR vorerst keinen Platz finden.
Inspiriert von dem Buch „Die Küchen der Welt“, lässt er seiner Fantasie und Kreativität freien Lauf und überrascht seine anfangs verunsicherten Freunde mit kulinarischen Zaubereien aus seinem Japan. Der Traum der internationalen Küche scheint lange nur diesen vorbehalten. Bis ein „echter“ Japaner vor der Tür steht und wünscht im „Waffenschmied“ japanisch zu speisen.
Durch Einfallsreichtum und unbändigen Ehrgeiz wird Rolf zu einem wahren Japanexperten und richtet sich im beschaulichen Südthüringen ein Restaurant ein, das weit über die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik hinaus bekannt wird. Jedoch nicht ohne die Aufmerksamkeit der Partei auf sich zu ziehen, die nun natürlich ebenfalls von den westlich geknüpften Kontakten profitieren möchte.
Von der politischen Führung geduldet, von den Gästen kulinarisch geschätzt, ist er König in seiner Welt. Dennoch – alles hat seinen Preis: je mehr Anerkennung Rolf von den Japanern und der Parteispitze erntet, umso weiter entfernt er sich von seiner Familie und seinen Freunden.
Rolf Anschütz ist ein Gastronom aus Leidenschaft, schon in der dritten Generation führt er die Tradition seiner Familie fort. Mitte der 60er Jahre betreibt der gelernte Koch und spätere Gastronomie-Ingenieur im thüringischen Suhl die Gaststätte „Waffenschmied“, ein Weinlokal, das seine Gäste mit heimischen Gerichten verwöhnt. Rolf ist verheiratet und hat zwei Kinder. Man hat sich im real existierenden Sozialismus häuslich eingerichtet und alles könnte in geregelten Bahnen verlaufen. Doch mit der Einführung des arbeitsfreien Samstags in der DDR sollte sich das Leben des Rolf Anschütz gründlich ändern. Angespornt von einigen Lokaljournalisten, die bei ihm Stammgast sind, lässt sich Rolf für die arbeitsfreien Samstage etwas Besonderes einfallen. Er erinnert sich an eine geheime Leidenschaft aus seiner Ausbildungszeit, die er aber nie praktizieren konnte – die japanische Küche!
Im hinteren Teil des „Waffenschmied“ stand ein Raum leer, dort wollte er sein erstes original japanisches Gastmahl servieren. Während ihn die Genossen von der HO für völlig verrückt halten – Originalton: „Anschütz, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wo Japan liegt?“ – lässt sich Rolf nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen. Sogar das Problem mit der Sojasoße wird gelöst: Einer der Journalisten hat einen Kontakt zum Außenministerium in Ost-Berlin. Dort sitzt ein Genosse in der Pressestelle, der jeden Morgen über den Checkpoint Charlie marschiert und zur Systeminformation die neuesten West-Tageszeitungen erwirbt. Bei dieser Gelegenheit wird eine Flasche Sojasoße organisiert und nach Suhl geschickt.
Doch Rolf Anschütz wäre nicht Rolf Anschütz, wenn er sich schon damit zufrieden geben würde, nur „japanisch“ zu kochen – auch das Ambiente ist ihm wichtig. Rolf holt sich kurzerhand die Genehmigung, einige Tische und Stühle aus dem Mobiliar einer Gaststätte verwenden zu dürfen, deren Inhaber ihr Glück im Westen gesucht hatten und sägt sie dann höchstpersönlich auf japanische Maße zurecht. Schließlich dekoriert er noch die Wände mit Stoffbahnen, japanischen Mustern oder, was er dafür hält, dann kann das Gastmahl beginnen. Der Abend wird ein voller Erfolg, die Journalisten sind begeistert und Rolf verspricht eine baldige Wiederholung. Er überlegt, wie er die japanische Küche als dauerhafte Einrichtung erhalten kann, doch weiß er auch, dass dies den Genossen in der HO nicht gefallen wird. Was er nicht weiß, ist, dass das Schicksal schon längst für ihn entschieden hat. Einer der Journalisten veröffentlicht in der örtlichen Suhler Tageszeitung „Freies Wort“, einen Artikel über den netten Abend und – wie es der Zufall will, gelangt der Artikel auch nach Leipzig. Nur wenige Tage später stürmt eine Kellnerin aus dem Gastraum in Anschütz‘ Büro und ruft aufgeregt:
„Chef, da draußen sitzt ein Schlitzauge, ein Japaner, ein echter Japaner, der extra aus Leipzig gekommen ist und der will, dass SIE für ihn kochen“.
Nun kommt die Stunde der Wahrheit: ein echter Japaner. Jetzt wird sich zeigen, ob die Vorstellungen, die Rolf Anschütz von japanischem Essen hat, sich mit denen eines echten Japaners decken – sie tun es. Diesmal bringt sogar die ADN – die Nachrichtenagentur der DDR – eine Meldung, die im ganzen Land über die Ticker läuft. Damit beginnt der kometenhaften Aufstieg des Rolf Anschütz und der neugegründeten Japan-Abteilung der thüringischen Gaststätte „Waffenschmied“.
Innerhalb weniger Wochen spricht es sich anscheinend bei allen in der DDR verweilenden Japanern sowie der einheimischen Bevölkerung herum, dass in Suhl ein Restaurant entstanden ist, wie man es sonst nur im Westen (und natürlich in Japan!) findet.
Rolf Anschütz versteht es schnell, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Während seine Frau sich um den thüringischen Teil des Waffenschmieds kümmert, gilt seine ganze Aufmerksamkeit der „Japan-Abteilung“. Neue Rezepte müssen her, die Speisekarte wird erweitert und auch exotische Gerichte sind jetzt zu haben. Aber nicht nur das, auch das Drumherum soll so japanisch wie möglich sein.
Innerhalb weniger Jahre stehen Anschütz Westdevisen für mehrere 100.000 DM zur Verfügung, um sich in Düsseldorf beim exklusivsten Feinkostspezialisten für asiatische Lebensmittel einzudecken.
LKW-Ladungen mit seltenem Fisch, Krabbenfleisch und Bambussprossen werden nach Suhl transportiert, um japanischen Wirtschaftsdelegationen, Messebesuchern aus Leipzig und volkseigenen Brigaden die exotischsten japanischen Gerichte servieren zu können. Rolf Anschütz hat inzwischen den Status des Itamae, eines japanischen Meisterkochs erreicht.
Alles, was er weiß, hat er sich selbst beigebracht. Er lernt japanisch aus Büchern, studiert Tag und Nacht die Gebräuche dieses fremden Volkes, das ihm doch irgendwie so nah ist und verfeinert seine Kochkünste immer und immer wieder. Er gibt 11.000 Ostmark für die Übersetzung eines japanischen Kochbuches aus und nimmt dabei das Scheitern seiner Ehe in Kauf. Der „Waffenschmied“ gehört inzwischen zu den anerkanntesten japanischen Restaurants außerhalb Japans. In Europa ist er die unumstrittene Nummer Eins, erst danach kommen Brüssel und Paris.
Auch in der DDR ist er längst eine Institution, ein Muss für jeden Japaner und Höhepunkt jeder Diplomatenreise. Der kleine Koch aus Suhl ist König in seiner Welt. Dabei hält Anschütz jedem Versuch stand, das nun berühmte Lokal nach Ost-Berlin zu verlegen. Wer seine Kochkünste genießen will, muss in die Provinz reisen. Doch Anschütz kann sich auf Dauer dem politischen Willen seiner Genossen nicht entziehen. Er wird gebeten, seine Kochkünste auch bei entsprechenden Anlässen in Ost-Berlin zum Besten zu geben. So wird der Koch ein Botschafter seiner Kunst und Teil der Politik.
Er wird zum Vermittler zwischen Ost und West und löst einen wahren Japan-Boom in der DDR aus.
In seinem Beisein werden millionenschwere Geschäftsabschlüsse getroffen und gefeiert. Der real existierende Sozialismus arrangiert sich – mitten im Kalten Krieg – prächtig mit dem wohl kapitalistischsten Land seiner Zeit. Rolf Anschütz interessiert das nicht, er kocht für die friedliche Koexistenz der Völker und bleibt zeitlebens einfacher Angestellter der HO mit einem Monatseinkommen von 700 Ostmark. Mitte der 70er Jahre läuft das Restaurant auf Hochtouren, wer im „Waffenschmied“ ein Gastmahl genießen will, muss zwei Jahre im Voraus buchen. Rolf Anschütz muss anbauen und legt noch einen drauf. Ab sofort gibt es das original japanische Gastmahl nach streng traditionellen Regeln – dem rituellen Waschen. Die Gäste nehmen vor dem Essen ein gemeinsames Bad – nackt. Der „Waffenschmied“ ist ein Schmelztiegel. Nirgendwo sonst in der DDR treffen Ost und West so ungezwungen aufeinander wie dort. Nirgendwo sonst werden auf so unkonventionelle Art Geschäfte abgeschlossen und Politik gemacht. Was als Gag entstand, hatte längst eine Eigendynamik entwickelt. Die Partei, die Anschütz und seinem abenteuerlichen Projekt zunächst skeptisch gegenüberstand, kann schon lange nicht mehr eingreifen, da die japanische Regierung Anschütz mit Ehrungen überhäuft und schützend ihre Hand über ihn und sein Lokal hält.
Aber da das Restaurant sehr profitabel läuft und pro Jahr Millionen an Devisen bringt, kann auch die Partei gut damit leben. Genossen, vor allem Vorgesetzte, die versuchen Anschütz das Leben schwer zu machen und ihm den Erfolg nicht gönnen, gibt es trotzdem genug. Doch jeder kann das aus dem „Waffenschmied“ mitnehmen, was ihm nahe liegt. Die Arbeiter von der Brigade sehen in ihm einen Themenpark, eine einmalige Abwechslung, wie man sie sonst nicht findet in der DDR, die Partei nutzt ihn als Geldquelle und Aushängeschild der Völkerverständigung und Rolf Anschütz als Mittel seinen Landsleuten eine fremde Kultur näherzubringen. 1979 kommt, was kommen musste.An einem Sonntag im Mai sitzt eine japanische Delegation im „Waffenschmied“ und lässt sich von Rolf Anschütz verwöhnen. Als das Mahl beendet ist, bedankt man sich höflich und lädt Anschütz zum Gegenbesuch nach Japan ein und zwar am kommenden Wochenende!
Ost-Berlin hat keine andere Wahl als der Einladung zuzustimmen und so fliegt Rolf Anschütz von Berlin-Schönefeld über Moskau nach Tokio. Er, der Japan nur aus Büchern kennt, hat endlich die Gelegenheit, das Land seiner Träume kennen zu lernen. Der Flughafen in Tokio ist riesig, die Eindrücke überwältigend. Rolf Anschütz hofft inständig, dass er sich nicht verläuft und dass ihn jemand abholt. Als er aus der Gepäckausgabe kommt, hört er eine vertraute Melodie: „Das Heideröslein“. Vor ihm stehen 6 Japaner, alles ehemalige Gäste des „Waffenschmied“ und bringen ihm ein Ständchen. Rolf ist angekommen, er ist zuhause. Was folgt, sind vier ereignisreiche Wochen, in denen er Dutzende von japanischen Restaurants kennen lernt und im Gegenzug die Japaner auch in die Geheimnisse der thüringischen Küche einweihen muss. Die Japaner sind inzwischen davon überzeugt, dass es eine Laune der Natur gewesen sein muss, dass Rolf auf der anderen Seite des Globus in Thüringen das Licht der Welt erblickt hat, für sie ist er eigentlich einer der ihren.
Während seiner Reise werden ihm höchste Ehren zu Teil, er wird in Kreise eingeführt, die dem normalen Besucher aus dem Westen für immer verborgen bleiben.
Rolf wird bewusst, hier kann er nicht bleiben, er muss zurück nach Suhl – dort sind seine Wurzeln, da ist seine Heimat.
Im Laufe der 80er Jahre wird der Druck auf Rolf Anschütz von Seiten der Partei immer stärker. Es gibt immer mehr Neider, die ihm den Erfolg nicht gönnen wollen und denen es auch egal ist, dass der „Waffenschmied“ eine großartige Devisenquelle ist. Die Planvorgaben an die Umsätze, die Anschütz bringen muss, werden von Jahr zu Jahr erhöht. Rolf Anschütz verlässt gegen Ende der 80er Jahre die Lust, sich immer wieder gegen neue Hürden der HO hinwegzusetzen. Er beginnt ernsthaft über einen Ausstieg aus seinem Geschäft nachzudenken, als abermals die Ereignisse seinen Überlegungen vorauseilen. Im Herbst 1989, als auch in der Provinz jedem klar wird, dass die DDR ihrem Ende zugeht, sieht er noch einmal eine Chance. Jetzt, wo ein neues Klima einsetzt, die Partei immer mehr in den Hintergrund tritt, jetzt wo die Leute anfangen, offen und ohne Angst über alle Probleme des täglichen Lebens zu diskutieren, jetzt scheint ihm die Zeit, das Heft noch einmal selbst in die Hand zu nehmen. In der Stadthalle in Suhl findet im Dezember 1989 eine Diskussionsrunde statt. Die Halle ist bis zum letzten Platz besetzt, die Bürger wollen die Gelegenheit nutzen, das erste Mal frei über die Dinge zu sprechen, die Ihnen am Herzen liegen. Auch Rolf Anschütz steht auf der Rednerliste. Er will von „seinen“ Suhlern wissen, ob sie ihn dabei unterstützen würden, den „Waffenschmied“ alleine weiterzuführen, ohne die Kontrolle der HO, dafür will er sich einsetzen, dafür will er kämpfen und dafür benötigt er die Unterstützung der Suhler Bevölkerung, so wie sie ihn und seine Ideen immer unterstützt haben. Noch ein Redner ist vor ihm, dann kommt er an die Reihe.
In diesem Moment geht die Tür auf und eine ortsansässige Rechtsanwältin stürmt in den Saal, geht auf die Bühne und verkündet durch das Mikrofon, dass die hiesige Stasi-Abteilung gerade dabei wäre, ihre Büros aufzulösen und Akten fortzuschaffen. Das müsse verhindert werden. Der Saal leert sich innerhalb weniger Minuten, alle machen sich auf, um die Vernichtung ihrer Akten zu stoppen. Alle? Nein, nicht alle, zurück bleibt Rolf Anschütz, der nicht mehr dazu kommt, eine Rede für seinen „Waffenschmied“ zu halten. Erneut hat ihm das Schicksal eine Entscheidung abgenommen. Noch lange sitzt er ganz alleine in der großen Halle und tief im Inneren weiß er, dass soeben eine Ära zu Ende gegangen ist.
Interview mit dem Regisseur Carsten Fiebeler
Was war Ihre Motivation, den Film SUSHI IN SUHL zu machen?
An SUSHI IN SUHL reizte mich sofort die Unglaublichkeit der Geschichte. Ein Koch in der Provinz der DDR setzt sich über sämtliche Grenzen hinweg und lebt den eigenen Traum. In einem
auf Gleichschaltung ausgerichteten System schafft dieser Anschütz eine exotische Insel, „sein eigenes kleines Japan“ mitten in Thüringen. Ein Einzelkämpfer trotzt allen Widerständen und macht sein Märchen wahr. Beeindruckend bei der Vorstellung, dass die Geschichte auf Tatsachen beruht und bis zum Fall der Mauer fast zwei Millionen Besucher im Waffenschmied einkehrten. Unser Protagonist steht damit exemplarisch, für all die Individualisten dieser Welt, die sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen schrecken lassen und für die Umsetzung ihrer Ideen Entbehrungen auf sich nehmen und kämpfen.
Waren Sie selbst einmal zu Gast im Waffenschmied?
Die Legende von der Existenz eines kuriosen Japan-Restaurants mitten im Thüringer Wald erreichte in den Achtzigern auch mein Ohr. Doch die Aussicht, auf einen Platz in der Japanabteilung des „Waffenschmied“ ein bis zwei Jahre warten zu müssen, schreckte mich wohl schon damals ab.
Welche Art von Film erwartet den Zuschauer?
SUSHI IN SUHL ist eine emotionale Heimat-Komödie, die wie ein Märchen erzählt wird. In seiner epischen Tonalität betritt der Film damit Neuland. Das Thema: „Was geschah noch so, hinter dem Eisernen Vorhang?“ wird hier neu behandelt. Weder Anklage, noch Abrechnung oder jegliche Form von Nostalgie (Ostalgie) finden darin ihren Platz.
Rolf Anschütz, der „Koch für den Weltfrieden“, der Land, Leute und seinen Beruf liebt , schafft für Unzählige eine Art Transitraum in eine andere Welt. Er holt diese fremde Kultur in das verschlafene Suhl und tritt so, auf seine Art, für Völkerverständigung ein. Das ist komisch, amüsant, manchmal verquer, dann wieder rührend. Aber auf jeden Fall einen Besuch wert.