Wer fährt schon nach Dänemark zum Essen. Frikadellen in brauner Soße und Rote Grütze sind des Dänen Leibgericht. Bekannte Kulturgüter sind eher Stühle, Lampen und im Dogma-Stil gedrehte Filme. Urplötzlich nun hat sich das Inselreich in den Fokus der Gourmets gekocht und sahnt Titel ab: Weltbestes Restaurant, Weltbester Koch.
Um die neue dänische Sinnlichkeit zu goutieren, muss man hinfahren, denn die Speisen entstehen aus nordischen Produkten. Weil Kopenhagens Gastronomie-Himmel mit 14 Michelinsternen bereits in aller Munde ist, empfiehlt sich für Vorkoster eine kulinarische Landpartie über die malerische Insel Fünen bis ins jütländische Aarhus.
Strände mit bunten Badehütten, Stockrosen vor Fachwerkhäusern, saftige Kuhweiden, Schlossparks – so idyllisch präsentiert sich Fünen. Nordisch und mediterran zugleich mutet die Stimmung im Hafen von Svendborg an. Direkt am Fähranleger für vier weitere Eilande der Dänischen Südsee tischt Jeff Scott Foster in einem Restaurant mit dem Namen „Restaurant 5.dk“ auf.
Die Adresse ist Programm, denn die Zutaten gedeihen auf Fünen, im Postleitzahlbezirk 5. Das beginnt beim Bier aus einer der 14 Inselbrauereien – Jeff verwendet Bier als Zutat -, geht über das cremige Eis vom benachbarten Inselwinzling Skarø zur Fruchtkonfitüre von Strynø. Das klingt eher familiär als elitär, und genau so positioniert Jeff sein Restaurant. „Wir sind nicht Gourmet-Topklasse, sondern ein familiäres Hafenrestaurant auf hohem Niveau.“
Weltküche mit lokalen Rohstoffen wie Steinbutt, Kalbfleisch, Blumenkohl, Bärlauch, Waldsauerklee. Auf dem Teller gelingt das sehr elegant und schmeckt prächtig. Zum Dessert kann man Knickerbocker Glory haben, eine urenglische, geschichtete Eiskreation, serviert in hohen Gläsern, von denen etliche auf den Wandsimsen im alten Hafenpackhaus verteilt sind. „Die gehören hiesigen Kindern, von ihnen selbst bemalt“, grinst Jeff. So züchtet man sich Stammkundschaft.
Die nächste fünische Versuchung ist logischerweise der Verdauungsschnaps. In Skårup duftet es im Frühsommer nach Jasmin und den Blüten der alten fünischen Apfelsorten Ingrid Marie und Filippa. Karsten Kjer Michaelsen destilliert Brände. „Dänen kannten früher nur Schnaps aus Kartoffeln oder Getreide“, rümpft Karsten die Nase und liebkost dabei einen kupfernen 200-Liter-Destillierkolben. Vor nur sechs Jahren gelang dem Pionier der erste dänische Obstbrand.
Sein „Sydfynsk Kalva“ ist ein 40-prozentiger südfünischer Calvados, der natürlich so nicht genannt werden darf und deshalb eben Kalva heißt – ähnlich wie der Feta, der auf Fünen Fyta heißt. Woran es liegt, dass der Fruchtgeschmack so durchklingt? An den Äpfel und Birnen, die aromatischer seien als etwa im Elsass, verrät Karsten. „Je nördlicher das Obst wächst, desto mehr muss es sich im Klima behaupten.“
Zum Dessert geht es von Aquae Vitae Sydfyn zur Schokoladen-Manufaktur Konnerup östlich von Faaborg. Nathan Benson verfiel vor etlichen Jahren einem „blonden Gift“, berichtet der Kalifornier augenzwinkernd. Die Kombination aus Sexappeal und sündhaft leckerer Schokolade geht für den Schokoprinzen prächtig auf. Im Schatten der berühmten dänischen Edelmarke Summerbird im Nordwesten von Fünen ist der kleine Betrieb des gelernten Kochs eine Entdeckung. Man leckt sich die Finger und stopft sich die Taschen mit Marzipan und Lakritz voll. Und wird langsam süchtig nach diesen Boutique-Schlemmeradressen, von denen über 60 auf Fünen gelistet sind.
Wem jetzt nach Käse und gehaltvollem Bier ist, der muss nur ein paar Kilometer bis Gundestrup fahren. In einer Landstraßenkurve liegt das erstaunliche Reich von Jørgen Hoff und Ditlev Jørgensen, die in einer alten Meierei Räucherkäse und Bier herstellen. Jørgen macht die Käsesorten, Ditlev braut aus dem Abfallprodukt Molke und dem Sauvin-Hopfen aus Neuseeland etwa 200.000 Liter Bier im Jahr. Ein Paar wie Pech und Schwefel. Der Käse hat Rauch, das Kulisauvin-Bier eine Schokomalznote.
Von Fünen tagsüber derart vernascht, macht man es nächtens nicht unter einem Himmelbett. Der Falsled Kro liegt einsam am Meer. Wieder so eine Gegend, in der sich Fuchs, Hase und Flunder gute Nacht sagen. Die Zimmer des urgemütlichen Landhotels in Millinge sind mit mediterranem Touch gekachelt und Fachwerk durchsetzt. Gekocht wird auf trefflichem Niveau und mit tiefer Liebe zum Örtlichen und Abgeschiedenen.
In einem skulpturalen Ofen im Park wird Lachs geräuchert. Küchenchef Per Hallundbæk juckt es ab April in den Fingern, weil dann mehr als Kohl im Küchengarten wächst. Das ist typisch für Dänemarks neue Kochidee, diese Besinnung auf Waldkräuter, selbstgezogenes Gemüse, Essig aus eigener Obstproduktion. Ein Sternekoch ist grad aus Kopenhagen aufs Land gezogen, um besser gärtnern zu können.
Die Leidenschaft des Kräutersammlers und Gemüsebauern zeichnet auch Torsten Schmidt aus, der mit seiner Frau zusammen im jütländischen Aarhus das Malling&Schmidt besitzt. Der in Hessen geborene Sprössling einer dänischen Mutter saß mit im Club jener Köche, die vor zehn Jahren ein Manifest der Nordischen Küche schufen, was in der konzeptionellen Rigorosität an das dänische Filmrezept Dogma erinnert.
„Ich lerne von einer Kräuterfrau immer mehr Waldpflanzen kennen“, sagt Torsten und garniert Farn und Sauerampfer auf einen Teller – mit Hilfe einer Pinzette. Hüttenkäse statt Mozarella gibt‘s und ein höchst spannendes Acht-Gänge-Menü. Bezahlbar und auf Augenhöhe mit ganz normaler Kundschaft will Torsten mit seiner nordischen Molekularküche bleiben – drei Gänge kosten 47 Euro, zehn 133.
Schickimicki-Alarm muss man wegen der neuen Kochextravaganza in Dänemark nicht geben. Torsten Schmidt hat seine Küche und die experimentelle Kochwerkstatt selbst gezeichnet, die tollen Holztische im Restaurant sind von seinem Schwiegervater gezimmert, der Koch schweißte selbst die Gestelle. Einfache nordische Linien, weshalb sich der Gast ganz auf die Küchenexperimente konzentrieren kann.
Und wie endet ein Molekulardinner im Malling&Schmidt? Gerne auf einer Lakritznote – typisch dänisch. Sommergemüse-Eiskrem mit Bornholmer Lakritz!