Angekommen, um zu bleiben
„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah“, ist ein altes Zitat unseres geliebten Dichters und Vordenkers Johann Wolfgang von Goethe. Wie das aber mit geflügelten Worten so ist, viel zu selten hat man sie verinnerlicht und sucht sein Heil in der Ferne. Auch wir sind davon nicht frei, passiert es angesichts aller entlegenen Reiseziele in den „Ecken“ der Republik sowie im Ausland, dass wir die guten Restaurants vor der Haustür ein wenig aus den Augen verlieren.
Das Restaurant von Frank Buchholz, das seinen Namen trägt, in Mainz-Gonsenheim ist ein solches Haus – unweit einer unserer Haustüren gelegen, haben wir nach einigen Besuchen in der Vergangenheit dem dortigen Schaffen zuletzt weniger Aufmerksamkeit zugemessen. Auch deswegen, weil sich Buchholz mit seinem Ableger Bootshaus selbst indirekte Konkurrenz macht. Dort konnten wir zuletzt eine zeitgemäße und unaufgeregte Küche aus deutschen Landen genießen, welche von einem konkurrenzlos günstigen Weinangebot flankiert wird – doch dies nur am Rande.
Nachdem der wohl am schlechtesten betitelte Guide des Landes, der „Schlemmer (und Schlummer) Atlas“, Frank Buchholz im letzten Jahr zum „Aufsteiger des Jahres“ kürte, rückte das Stammhaus in Gonsenheim wieder in unseren Fokus. Allerdings aus einem anderen Grunde, als zunächst zu vermuten wäre: Wir hätten diese Auszeichnung vor sieben Jahren als wesentlich passender empfunden. Damals zog es den gebürtigen Dortmunder nach einer Reihe von Stationen an prominenten Herden im Tantris, der Residenz Heinz Winkler und im Frankfurter Küchenkeller in die pfälzische Landeshauptstadt. In dieser Zeit brachte er nicht nur den ersten Michelin-Stern nach Mainz, sondern legte auch den Grundstein für weitere Macarons in der Geburtsstadt Gutenbergs, in dem sein Sous-Chef Küchenchef in einem Mainzer Hotel wurde und dort ebenfalls einen Stern erkochte.
Sei es, wie es ist. Zumindest wurde ob dieser Würdigung unsere Neugier geweckt, so dass wir uns hungrig und guter Laune auf den Weg ins nahegelegene Gonsenheim machten. Wir geben es sogleich und unumwunden zu, wir schätzen das Buchholz ob seiner gemütlichen und wohligen Atmosphäre, die man ansonsten nur an gelungenen Abenden mit Freunden empfindet. Ein Ambiente, wie es sich im besten Falle in Spitzenrestaurants immer ergeben sollte. Man sitzt ungezwungen und entspannt bei guten Weinen zusammen, plaudert, speist und verliert Schritt für Schritt das Gefühl für Zeit und Raum. Das Essen ist dann im besten Sinne ein sehr galanter Begleiter und Taktgeber, niemals jedoch dominanter Schrittmacher. All dies geschieht im Buchholz unter der herzlichen Obhut des Serviceteams um die bezaubernde wie schlagfertige Denise Meinken, die unter anderem Johann Lafers Stromburg als Station vorweisen kann.
Manch einer mag einwenden, dass in solchen Häusern bei aller Gemütlichkeit auch die Gefahr besteht, dass nicht alle Beteiligten aufmerksam und zielgerichtet an Innovationen arbeiten und Küche sowie Publikum irgendwann mangels wacher Augen in den undifferenzierten Gefilden des „netten“ Wirtshauses versanden.
Dass das Team um Frank Buchholz dieser Gefahr nicht ausgesetzt ist, zeigt gleich das erste Amuse: Bei Taschenkrebs-Kokos-Ravioli, Rote Bete und Krustentierschaum verbinden sich geschickt alle Elemente einer intelligenten Aromenküche zu einem harmonischen Spannungsboden in Konsistenz und Geschmack.
Glasierter Schweinebauch, Zartweizen (sonnengereifte Hartweizenkörner) und Senfkornkaviar (mit Aromaten und Saft eingekocht) ist als dritte Einstimmung einen Tick rustikaler, aber nicht minder balanciert. Zwischen Fleischeslust und anregender Senfschärfe finden wir hier alles, was Lust auf das Menü macht.
Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass wir zum ersten Mal seit langem nicht mit Champagner zur Menüeröffnung begleitet werden, sondern mit einem ganz hervorragenden Sekt aus der Sektkellerei Bardong aus dem Jahre 2006, der den Vorspann zum Menü hervorragend stützt.
Mit der Vorspeise kommt ein starker Gang auf den Tisch. „Das Beste vom Gonsenheimer Acker“ präsentiert exakt jene Küche, die Buchholz auszeichnet, die in bester Manier und konsequenter Nachfolge von Heinz Winkler steht. Regionale Zutaten und Produkte, die nicht zwingend der Spitzenküche zuzuordnen sind, finden in exzellenter Qualität und Darbietungsform den Einklang mit einem Touch Exotik. Hier ist es der perfekt gegarte Pulpo, der mit seiner leichten Räuchernote die Salatelemente mit Spannung auflädt. Am Gaumen wirkt dies leicht und elegant, dennoch kräftig und nachhallend – ein äußerst gelungener Einstieg.
Die Rote-Bete-Essenz mit Kalbsbries und Kren bleibt dagegen etwas blass. Die Rahmung des seidigen und zugleich knackigen Bries ist mit dem Pendeln zwischen erdiger Süße und minimaler Schärfe stimmig, aber nicht vollends überzeugend. Hier könnten wir uns noch etwas mild-erdiges, wie etwa Topinambur, zum Balancieren vorstellen. Dafür dürfte es dann auch weniger sein, da hier ein wenig die Proportionen aus dem Ruder geraten sind, so dass wir – vor allem im Hinblick auf die noch folgenden Gänge – das servierte Glas nur zur Hälfte leeren.
Danach fährt die Küche wieder auf und knüpft in allen Dimensionen an den guten Auftakt an. „Süffige Finesse“ könnte die Überschrift zu diesem Gericht sein, bei dem das Finther Landei als regionales Produkt von einem Gruyère-Käse-Risotto überaus lustbringend begleitet ist. Die leicht herbe Note des Käses und die zarten Schmelzaromen vereinen sich im Risotto wunderbar mit dem dichten Geschmack des Dotters zu einem schlotzigen Gericht, bei dem der Trüffel das Tüpfelchen auf dem „i“ ist.
Just als wir überlegen, die Küche um einen kurzen Break in Form eines Sorbets zu bitten, kommt man uns mit einer Erfrischung von Gurke und Limette zuvor, welche durch die Auswahl von drei verschiedenen Gin-Sorten begleitet wird: Monkey 47, Munich Dry oder Hendricks. Eine Idee, welche uns zwar an Daniel Achilles‘ Götterspeisen-Sorbet erinnert, durch das Spiel mit den unterschiedlichen Gin-Sorten aber einfach Spaß macht. Gurke und Limette sind mit ihrer Frische und Säure wie gemacht für das komplexe Aromenband, welches die sich hier in den à part gereichten Tropfen darbietet. Geschmacklich ist dies durch das direkte Einarbeiten des Gin zu verbessern, statt ihn im Glas dazu zu reichen.
Den Hauptgang erwarten wir mit Spannung, da Frank Buchholz insbesondere bei den Fleisch- und Wildgerichten einen exzellenten Ruf genießt. Und wir werden nicht enttäuscht. Die Taubenbrust ist wunderbar gegart, die gefüllte Keule mit Taubenklein und Paranüssen fügt Spannung hinzu und Spitzkohl sowie Gewürzjoghurt akzentuieren das Gericht – sehr gelungen.
Durchaus überrascht werden wir bei den Dessertgängen – vor allem weil der Dessertbereich früher gegen die starken Fleischgerichte abfiel. Bereits das Prédessert mit Ziegenquark, Koriander und Granny-Smith-Apfel zeigt die Patisserie von der besten Seite. Süße, Säure, Würze – alles perfekt in einen herben, frischen Einklang gebracht.
Ein echter Kracher dann das Dessert: Bananensplit à la Buchholz. Abermals ist es die zeitgemäße Umsetzung eines alltäglichen Klassikers, die uns rückhaltlos begeistert. Hier finden wir alles, was ein gutes Dessert für uns ausmacht: Leichtigkeit, gepaart mit der exakt richtigen Mischung aus süßen, dezent säuerlichen und aromatischen Elementen, die finessenreich präsentiert werden. Schlichtweg grandios!
Nach der großen folgen noch kleine Wonnen zum Abschluss: die Petits Fours zum Kaffee.
Dieser schöne Abschluss des Menüs wie auch dessen Auftakt lassen uns mit dem guten Gefühl zurück, dass sich Frank Buchholz nicht nur der klassisch geprägten Sterneküche ohne Hektik und ohne Schnickschnack verschrieben hat, sondern diese auch beständig und konstant einer Weiterentwicklung unterzieht, ohne in eine belanglose Moderne zu kippen. Dies würde auch nicht zum Typus des Chefs passen, der seit Jahren mit demselben Stamm von Mitarbeitern arbeitet und bemüht scheint, eben diese Konstanz und das Gehen von kleinen Schritten als Hauptmerkmal seiner Entwicklung zu etablieren. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das Buchholz mit seiner Küche in Mainz nach wie vor das erste Haus am Platze ist. Nicht zuletzt aufgrund der Herzlichkeit des gesamten Teams und der tollen Atmosphäre wünscht man dem sympathischen Westfalen, dass er bei der konsequenten Weiterentwicklung seiner Küche auch in den Führern noch einmal zusätzliche Anerkennung für seine Leistungen erhält, die über den Aufsteiger des Jahres hinausgeht.
Fazit: Frank Buchholz avancierte durch seine Fernsehaktivitäten zum Medienprofi, den nichts mehr aus der Ruhe bringt. Selbiges gilt für seine Küche im Stammhaus: Unaufgeregt und souverän präsentiert das Team eine zeitgemäße Küche, die in Mainz die Speerspitze definiert.