Stevia zwischen Sein und Schein

Viel Lärm um nichts?

Stevia hat ein echtes Problem: Der Mythos der natürlichen Süße bröckelt, ist der süßende Extrakt des südamerikanischen Krauts doch nun mit einer E-Nummer gestraft. Also ein ganz normaler Zusatzstoff mit Namen E 960. Doch Stevia – und das ist im allgemeinen Sprachgebrauch alles, was irgendwie mit der süßenden Wirkung der Stevia-Pflanze zu tun hat – ist anders. Vielleicht, weil seine Verwendung über Jahre verboten war. Vielleicht, weil die Süße südamerikanischer Herkunft ist und somit einen Hauch von Exotik in die triste Alltagskost bringt. Vielleicht aber auch, weil sich die Idee, Zucker und Süßstoffe seien der Ursprung allen Ernährungsübels, im Volksglauben so wacker hält.

Mit Stevia scheint die Lösung nun greifbar nahe: rein natürlich, frei von Kalorien, keine Karies erzeugende Wirkung und dazu rund 300 Mal süßer als Zucker. Doch wie natürlich ist ein Stoff noch, der aus den getrockneten Blättern einer Pflanze ziemlich chemisch erzeugt wird? Von einem mehrstufigen Verfahren berichtet der Deutsche Süßstoffverband auf seiner Internetseite: erst Trocknung, dann Mazeration (Einweichen), Fällung und Entfärbung, Ionenaustausch und mehrfache Kristallisation.

Ohne Lösungsmittel und andere chemische Stoffe, die Farbstoffe und sonstige unerwünschte Substanzen aus dem Gemisch fischen, läuft da also gar nichts. Soviel dürfte klar sein. Doch das Ergebnis spricht für sich: Die isolierten Steviolglycoside sind – die Einhaltung definierter Höchstmengen vorausgesetzt – sicher, sagt die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit im Einklang mit dem Gemeinsamen Sachverständigenausschuss für Zusatzstoffe der WHO/FAO (JECFA).

Man darf gespannt sein, wie sich die Hersteller ökologischer Lebensmittel positionieren werden, wenn es darum geht, ob das neue E 960 in den Anhang der für Bio-Produkte erlaubten Zusatzstoffe aufgenommen wird. Die Branche fragt gerade ihre Mitglieder nach deren Einschätzung.

Ob E 960 wirklich jemand braucht?
Doch zurück zur Natur. Die Verwendung der reinen Blätter von Stevia ist immer noch illegal. Was nicht bedeutet, dass sie auf dem Markt nicht zu haben sind: „getarnt“ als Badezusatz oder für rein kosmetische Zwecke bietet sie mancher Laden oder Internethändler an – direkt neben Stevia-Kochbüchern. Zum Teil steht auch schlicht „Stevia“ auf der Packung. Was für eine Art von Produkt das eigentlich ist, mag dann der Käufer selbst entscheiden. Seit kurzem ist auch ein Stevia-Joghurt auf dem Markt, gesüßt mit Stevia-Tee. Was das ist oder soll? Wenn das reine Kraut wegen Sicherheitsbedenken (noch?) verboten ist, ist es schon seltsam, dass eine einzelne Bio-Molkerei zwei Joghurts damit – auch, wenn es dann Stevia-Tee heißt – süßen darf.
Dr. Christina Rempe, Britta Klein, www.aid.de

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