„Lebensmittel sind eigentlich zu billig“

Die deutsche Ernährungswirtschaft wird von den Verbrauchern sehr unterschiedlich wahrgenommen: Während rund ein Drittel der Verbraucher Produktivitätsaspekte – und die damit verbundenen Preiseffekte – für gut befindet und Vertrauen in die Lebensmittelwirtschaft hat, stehen rund 20 Prozent der Verbraucher sowie große Teile der Medien und der Internet-Commmunity den produktionstechnischen Errungenschaften der Ernährungswirtschaft äußerst negativ gegenüber. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Georg-August-Universität Göttingen (Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte) im Auftrag der Heinz Lohmann Stiftung. Die Resultate wurden auf dem 8. Ernährungssymposium von Prof. Achim Spiller uns seinen Mitarbeitern Maike Kayser und Justus Böhm vorgestellt.

Die Studie zeigt einen klaren Trend auf: Immer mehr Verbraucher verspüren eine „Sehnsucht nach Natürlichkeit“ – als Ergebnis der zunehmenden Entfremdung von der Lebensmittelproduktion. Die von der Industrie viel gepriesene Effizienz und Technologisierung wird vom Konsumenten als „negative Veränderung von Naturprozessen“ angesehen. Auch die mit der Effizienzsteigerung verbundenen Preissenkungen gelten nicht mehr als legitimes Ziel der Agrarproduktion. Vielmehr sind immer mehr Verbraucher der Meinung, dass Lebensmittel eigentlich zu billig seien, so Studienleiter Spiller.

Die zunehmende Skepsis gegenüber den technischen Errungenschaften der Ernährungswirtschaft hänge auch mit der fehlenden Legitimation für Mengensteigerungen zusammen. Prof. Spiller: „Ernährungssicherung in Europa ist nicht mehr als Erfolg kommunizierbar.“ Außerdem seien Prozessinnovationen für die Verbraucher am Produkt nicht mehr wahrnehmbar. Die Lebensmittelbranche befände sich heute zwischen zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Polen: einer „Wunsch-/Natürlichkeitsökonomie“ und einer „Preis-/ Produktivitätsökonomie.“ Der Göttinger Wissenschaftler folgert daraus, dass die Lebensmittelbranche das eigene Wertekonzept von Steigerung der Produktivität und Senkung der Kosten bewusst hinterfragen sollte, um eine weitere Entfremdung von der Gesellschaft zu vermeiden. Zudem müsse die Branche am öffentlichen Diskurs teilnehmen und bewusst den Dialog mit Meinungsführern (im Social Web und bei den Medien) suchen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der landwirtschaftliche und Lebensmittel produzierende Sektor eine fundamentale Entwicklung vollzogen. Konnte ein Landwirt in Deutschland in den 50er Jahren zehn Menschen ernähren, so liegt dieser Faktor im Jahr 2008 bereits bei 148 Menschen. Der Hektarertrag für Weizen und Kartoffeln konnte in dieser Zeit verdoppelt werden. Die durchschnittliche Milchleistung einer Kuh erhöhte sich von 2480 kg im Jahr 1950 auf 6827 kg im Jahr 2008. Hinzu kommt: Im 21. Jahrhundert ist die Versorgung mit Lebensmitteln so weit entwickelt, dass nur noch zwei Prozent der deutschen Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Und gleichzeitig muss die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung nur noch 14 Prozent ihres Einkommens für die Ernährung aufwenden. Trotz der – aus Sicht der Land- und Ernährungswirtschaft – positiven Kennzahlen, bewerten 62 Prozent der zugeordneten Beiträge aus dem Social Web und 43 Prozent der Medienbeiträge die Produktivität negativ. Als positive Leistung der Agrar- und Ernährungswirtschaft werden von den Befragten hingegen Zusatzaspekte von Lebensmitteln wie Regionalität oder Tierschutz wahrgenommen. Ernährungssicherung und Lebensmittelsicherheit sehen die Verbraucher als selbstverständlich an.

Weiteres Resultat der Studie: Greenpeace hat nach der eigenen Familie und den eigenen Freunden die höchste Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern. Die Lebensmittelkonzerne und die Schlachtunternehmen stehen nach der Politik am schlechtesten da. Eher neutral wird der Lebensmitteleinzelhandel gesehen.

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