Von der Definition des eigenen Geschlechts über das Essverhalten
Eigentlich weiß es jeder: Männer essen anders als Frauen. Oder essen Frauen anders als Männer? Auf jeden Fall gibt es – statistisch bewiesen – geschlechterspezifische Unterschiede. Frauen essen doppelt so viel Obst und Gemüse, verzehren dafür nur halb so viel Fleisch und trinken weniger Alkohol als ihre männlichen Artgenossen. Darüber hinaus wissen sie mehr über eine gesund erhaltende Ernährung. Und sie scheinen dieses Wissen auch effektiver umzusetzen, denn sie sind im statistischen Durchschnitt seltener fettsüchtig.
„Das ist alles genetisch bedingt“, „von Natur aus so“, wird gerne deklamiert. Mitnichten. Untersuchungen lassen ganz andere Schlüsse zu. Das jeweilige Essverhalten spiegelt vor allem die entsprechende Geschlechterrolle in der Gesellschaft wider. Essen ist somit ein Werkzeug zur Gestaltung der geschlechtlichen Identität und hilft Akzeptanz im sozialen Umfeld zu erlangen. Das Umfeld erwartet nämlich, dass man sich entsprechend „männlich – stark – fleischhaltig“ oder „weiblich – schwach – pflanzlich“ ernährt. Dass das kulturhistorisch gelernt ist, zeigt ein Vergleich mit Völkern, bei denen zum Beispiel Fleisch im Überfluss vorhanden ist. Hier gibt es keine statistischen Fleisch-Verzehrsunterschiede zwischen Männern und Frauen.
So sind bei genauerem Hinschauen auch die Ergebnisse der nationalen Statistiken vielmehr Ergebnisse einer gesellschaftlichen Konditionierung als einer genetischen Veranlagung. Mädchen, die schon in ihrer Kindheit ein Bild des Verzichtes antrainiert bekommen, werden auch als Erwachsene seltener übergewichtig sein. Die Frau, die klassisch immer noch die Verantwortung für den Haushalt trägt, hat konsequenter Weise auch mehr Wissen zum Thema Ernährung. Und gerade beim Thema Alkohol wird der gesellschaftliche Einfluss deutlich, wie Gruppenzwang in der Jugend oder der Zugehörigkeit zu sozialen Schichten. Eine Reduzierung nur auf das Geschlecht scheint dabei nicht ausreichend.
Vielleicht sollte man sich künftig von dem liebgewonnen Parameter „Geschlecht“ als „natürliche Ursache“ für unterschiedliches Verzehrsverhalten verabschieden. Gesellschaftliche und soziale Einflüsse sind vielmehr als Ursachen zu untersuchen. Und die Zeiten in denen es nötig und wirkungsvoll war, physiologische Unterschiede zwischen Mann und Frau als Rechtfertigung für die höhere soziale Stellung des Mannes zu instrumentalisieren, sind doch längst Geschichte.
aid, Andrea Kornblum
Weitere Informationen: im Fachartikel „Essen macht Geschlecht“ der Zeitschrift Ernährung im Fokus, Ausgabe 05/2009: www.aid.de/fachzeitschriften/eif/eif_2009_0905.php