Vor 30 Jahren – Eckart Witzigmann und das „Aubergine“ erhält als erstes Restaurant außerhalb Frankreichs drei Michelin-Sterne.
Interview “30 Jahre nach der Auszeichnung“
Wie fühlen Sie sich 30 Jahre nach der Auszeichnung mit drei Sternen für die „Aubergine“?
Das schwankt etwas je nach Tagesform und Gesamtbefinden, aber Freude und Stolz über diese Auszeichnung habe ich auch noch nach 30 Jahren.
Feiern Sie?
Zunehmend weniger, auch weil es die viele Arbeit einfach manchmal nicht zulässt. Aber für ein leises, zufriedenes Schmunzeln reicht es immer.
Hatten drei Sterne damals eine andere Bedeutung, als es heute der Fall ist?
Ich glaube, dass man die Situation vor 30 Jahren mit den heutigen Um- und Zuständen nur sehr bedingt vergleichen kann. Die Ausnahme von damals ist heute die Regel, das gilt vor allem in Hinblick auf das Produktangebot und die Gäste des Jahres 2009 sind einfach besser informiert und haben wesentlich mehr Erfahrung und Vergleichsmöglichkeiten als der Gast im Jahr 1979. Da hat sich viel getan und das ist auch gut so. Ich habe ja auch erst im Rahmen meiner Lehrjahre in Frankreich von den Sternen und Wertungen gehört und dann entwickelt man logischer weise auch einen gewissen Ehrgeiz und geht selbst auf Sternejagd. Heute wird der Begriff Sternekoch ja fast inflationär benutzt, jeder der es schafft heiß und kalt zu unterscheiden gilt im Moment sofort als Star.
Wie würden Sie in aller (Bescheidenheit oder) Unbescheidenheit die langfristige Auswirkung Ihrer Arbeit beschreiben?
Ich habe als erster den Stein ins Wasser geworfen, stehe am Ufer und betrachte mit großer Freude die stetig wachsenden Ringe. Aber bei aller Euphorie und gegenseitiger Schulterklopferei muss ich immer wieder dezent daran erinnern, dass wir zwar auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel sind. Bei der bundesdeutschen Begeisterungswelle kann ich da nur immer wieder die alte asiatische Weisheit ins Stammbuch schreiben: Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem ersten Schritt. Das beste Beispiel ist die heute so populäre und von allen erfundene regionale Küche. Ich will jetzt keine dicken Backen machen, aber wir haben in der Aubergine bereits regionale Gerichte in die Menüs eingeschmuggelt, da wurde landauf, landab noch das hohe Lied vom bretonischen Hummer und der Bresse-Taube gejodelt. Und die Kritikerkaste, die uns deswegen damals ans Kreuz nageln wollte, singt heute laut und vernehmlich das hohe Lied der regionalen Küche. Das ist für mich eine langfristige Auswirkung meiner Arbeit.
Hat sich Ihr Kochstil seit damals gewandelt? Wenn ja, ist es Ihnen – entgegen einer früheren Aussage – doch gelungen, noch besser zu werden?
Besser oder nicht ist immer ein sehr subtiles, sehr persönliches Kriterium, da sollte man behutsam damit umgehen. Ich glaube aber, dass meine Küche mit zunehmenden Erfolg immer klarer, konsequenter und schnörkelloser wurde, ich kam dem Bauhaus näher als Schloss Neuschwanstein.
Sie waren der erste Koch, der in großem Stil Held und Opfer der Medien wurde: Welche Spuren hat das hinterlassen? Anschlussfrage: Wie würden Sie heute damit umgehen?
a) Auch bei diesem Thema sehen Sie, wie sich die Zeiten ändern. Ich will meinen Fehler weder verharmlosen noch klein reden, aber bei den Dingen für die ich damals durchs Dorf getrieben wurde kräht heute kein Hahn mehr.
b) Und die alte Weisheit, heute noch auf hohen Rossen, morgen durch die Brust geschossen, gilt nicht nur für Kavalleriesoldaten.
Wie bewerten Sie die mediale Omnipräsenz (Shows, Werbung etc.) mancher Kollegen [Namen spielen keine Rolle]?
Klappern mag ja zum Handwerk gehören, manche klappern schon arg laut und andauernd. Aber die allgemeine Boulevardisierung macht auch vor der Küche nicht halt, Masse statt Klasse lautet das Motto der Stunde. Wer oft im Fernsehen zu sehen ist gilt als guter Koch, die Masse an Köchen, die sich jeden Abend am eigenen Herd die Seele aus dem Leib kochen, wird von der großen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Aber so funktioniert das Business!
Haben Sie einen Rat an Ihre Kollegen?
Weniger ist manchmal mehr.
Was halten Sie von den zahllosen Kochshows und anderen Koch-Events?
Anschlussfrage: Gibt es welche, die Sie sich anschauen, unterscheiden Sie zwischen besseren und schlechteren?
Ich kann immer nur mein eigenes Zitat wiederholen: Deutschland kocht über! Obwohl ich ernsthafte Zweifel hege, ob die Zuschauer wirklich etwas Nachhaltiges mitnehmen hat das ganze einen vordergründig positiven Aspekt: Kochen und Ernährung sind ein zentrales Thema geworden, das schadet im ersten Schritt erst einmal nicht. Ich selbst erspare mit dieses Angebot, weil ich die leise Befürchtung habe, ich werde da nichts mehr lernen, wenn dann verirre mich meist zufällig über die Fernbedienung. Positiv finde ich jede Sendung in der neben flotten Sprüchen auch Inhalte und Informationen über die Produkte vermittelt werden, das ist am Ende des Tages das wichtigste. Deshalb habe ich auch eine Sendung mit Tim Mälzer gemacht, da wird nicht nur gekocht, sondern auch informiert.
Welche Auswirkungen hat der anscheinend nicht enden wollende Kochhype mit allen seinen Facette? Wohin wird uns das alles führen?
Der ganze Hype hat einen entscheidenden Pferdefuß: Noch nie wurde in den Medien so viel über Ernährung, Kochen, Einkaufen und frische Produkte schwadroniert und noch nie wurden parallel so viel Tiefkühlkost und Fertigprodukte gekauft, die Fastfood-Ketten haben Hochkonjunktur. Das bedeutet im Umkehrschwung, ich schaue mir permanent TV-Sendungen über frische Produkte und deren Zubereitung an und dann gehe ich an meine Tiefkühltruhe und werfe mir eine Pizza in die Mikrowelle. Irgendwie kommt die Botschaft nicht an, hier verkommt Kochen zu einer Durchgangsmode ohne jede Nachhaltigkeit. Auf der anderen Straßenseite erzählen uns Köchen die Fremdwörter affinen und wortgewaltigen Kritiker wie man richtig kocht und was den perfekten Geschmack ausmacht. Deshalb grübele ich auch mehr und mehr vor mich hin: Sind die Herren Kritiker allesamt verkannte Genies am Herd oder wir Spitzenköche eine Schar hemmungsloser Dilettanten? Und vor diesem Hintergrund wage ich gar nicht über die Zukunft zu spekulieren, die Gegenwart ist bereits beängstigend genug!
Auch Sie hatten und haben Medienpräsenz, mit „Palazzo“ ein Entertainment-Projekt und machten Werbung: Trotzdem sind Sie offenbar niemals Gefahr gelaufen, dass man sich Ihr Gesicht leid sehen könnte, und niemand käme auf die Idee, Ihren Namen in einem Atemzug mit Ihren vielen anderen medien-prominenten Kollegen zu nennen. Zufall, Strategie?
Da greift beides. Ich habe mich nie nach vorne gedrängt, manchmal musste ich eher geschoben werden und ich bin von jeher der Überzeugung, dass man nicht in jedes Mikrofon und jede Kamera sprechen muss, weniger ist auch da mehr.
Sie haben als Berater und Träger von Titeln und Ehrentiteln Ihr Können weltweit in den Dienst der Kulinarik gestellt: Können Sie das kommentieren (Absichten, Schwerpunkte, Lieblingsprojekte…)?
Ich hatte das Glück als erster in Deutschland erfolgreich durch die Tür zu gehen, daraus hat sich auch eine Verantwortung entwickelt. Ich habe meine Verantwortung immer so interpretiert, mein Wissen an andere weiter zu geben, dafür zu sorgen, dass aus der Revolution eine stetige Evolution wird. Ich halte nichts von Herrschaftswissen im Elfenbeinturm, Wissen ist Macht und diese Macht muss stetig forciert werden.
Und dennoch hatte die Öffentlichkeit noch nie das Gefühl, E.W. habe den Boden unter den Füßen verloren und sei abgehoben. Wie schaffen Sie das?
Wer aus den Bergen kommt ist gut geerdet, wir wollen alle auf den Berg, aber nicht darüber hinaus. Der Rest ist Erziehung und die Milch des Alters.
Gibt es noch ein berufliches Ziel, das Sie in Zukunft erreichen möchten [es könnte auch eins sein, über das Sie nicht konkret sprechen möchten]?
Ich bin mit meinen erreichten Zielen sehr zufrieden, mehr geht da nicht mehr. Deshalb geht mein Engagement in die Richtungen, in denen noch etwas bewegt werden kann und muss: Geschmacksunterricht für Kinder, Essen und Kochen in Schulen, optimale Ausbildung der Köche, Förderung der heimischen Produzenten und Hersteller, die Liste ist lang.
Ein weiteres Ziel ist es sicher, für das weltweit einmalige Konzept, jeden Monat wechselnde internationale Gastköche auf höchstem Niveau in das Restaurant IKARUS im Hangar 7 nach Salzburg zu holen. Davon profitieren nicht nur die Gäste, davon profitiere auch ich.
Gibt es jemanden, für den Sie gern gekocht hätten oder gern kochen würden?
Halten Sie mich bitte nicht für abgehoben oder eitel, aber ich habe für endlos viele Kaiser, Könige und Präsidenten gekocht, irgendwann ist man durch damit. Da würde ich lieber in einem Obdachlosenheim antreten, als vor einem gekröntem Haupt.
Können Sie etwas zum wirtschaftlichen Aspekt Ihrer vielfältigen Aktivitäten als Koch sagen? Zum Beispiel: Welche Art Tätigkeit ist die einträglichste, was ist das am leichtesten/am schwersten verdiente Geld?
Über eines sollte man sich klar sein, wenn man diesen Berufsweg einschlägt: Mit der Arbeit am Herd wird niemand reich, da bedarf es einer großen Liebe zu dem was man tut. Der Spruch viel Arbeit und wenig Brot könnte für unsere Zunft erfunden worden sein. Vernünftiges Geld verdient man letzten Endes nur durch Werbung und Lizenzprodukte, nur dafür muss man aber einen gewissen Status erreicht haben und sehr präsent sein.