Koch des Jahres: Wahabi Nouri in Hamburg – „Aufsteiger des Jahres“: Jakob Stüttgen – 858 Restaurants ausgezeichnet
Koch des Jahres: Wahabi Nouri in Hamburg
19 Punkte für Christian Jürgens in Rottach-Egern und Christian Lohse in Berlin im neuen Gault Millau 2010 / Vormarsch der jungen Garde einer kreativen und spannenden Küche
Als „sehr erfolgversprechendes Mittel gegen Gästeschwund aufgrund der allgemeinen Wirtschaftskrise“ preist die französische Gourmetbibel Gault Millau in ihrer jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe 2010 das Rezept, „aus vermeintlich Einfachem das Allerbeste zu machen, die teuren modischen Edelprodukte durch ausgetüftelte Ideen und den Luxus durch Aromenfülle zu ersetzen. Denn in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit könne die Küche auf dem Hochseil der Aromenartistik nur überleben, wenn sie auch finanziell ausbalanciert ist.“ Wie das geht, macht höchst eindrucksvoll Wahabi Nouri in seinem Hamburger Restaurant „Piment“ vor: „Er könnte die ganz große kulinarische Oper darbieten, singt aber aus wirtschaftlicher Vernunft nur die Arien, die er am besten kann und die sein Publikum in seiner Interpretation mag.“
Für dieses Konzept als Ausweg aus der aktuellen Krise und als grundsätzlichen Erfolgsweg für junge Köche in die Selbständigkeit kürt der Genießer-Guide „den Aromenkünstler“ Nouri zum „Koch des Jahres“.
Der 39-jährige Wahabi Nouri „schüttelt gute Ideen mit Leichtigkeit aus dem Ärmel. Das Thunfischtatar krönt er mit einer Hippe aus karamellisiertem Essig, dem Weinbergspfirsich und Himbeer/Minz-Sorbet mischt er übermütig ein paar molekulare Knisterkristalle bei und serviert daneben noch einen köstlichen geeisten Orangenblütentee“. Der in Casablanca geborene, aber in Deutschland aufgewachsene Schüler großer Köche wie Witzigmann und Wohlfahrt „beeindruckt auch mit seiner ausgetüftelten schöpferischen Küche, wenn er die Ochsenschulter nicht klassisch in Rotwein, sondern (würzig und lange mariniert) in Bouillon und Weißwein schmort und mit einer Messerspitze alter marokkanischer Butter abrundet, die wie Gorgonzola riecht“. Nouri erhält vom Gault Millau, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, 18 von 20 möglichen Punkten. Sie stehen für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung”. Nouri arbeitet mit CHROMA type 301 Kochmesser.
Eine höhere Bewertung haben hierzulande nur 11 Köche. Je 19,5 Punkte bekommen wieder Harald Wohlfahrt von der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn-Tonbach, Helmut Thieltges vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich in der Südeifel und Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Bergisch Gladbach. Wohlfahrts „Küche ist deshalb stets auf der Höhe der Zeit, weil sie im Grunde von großer Zeitlosigkeit ist, ähnlich einem Bühnenstück von Shakespeare, das in der Essenz so stark und wahrhaftig ist, dass es sich jeden Zeitlauf und jede Mode mühelos einzuverleiben versteht und immer aktuell bleibt“. Thieltges „pflegt einen überlegenen Umgang mit zeitgeistigen Trends: Er beherrscht sie anstatt sich von ihnen beherrschen zu lassen, er ignoriert die Moden und Marotten seiner Zunft genauso wie ihre prätentiöse publizistische Begleitmusik. In ein wohlgerundetes Thieltges-Gericht möchte man sich hineinkuscheln wie in ein weiches, warmes Bett.“ Wissler „sucht seinen Platz in den Reihen der ganz Großen, wo er ja auch hingehört, und entwirft dafür Menüfolgen, die viele aufregende Geschichten erzählen, sprühend vor kulinarischem Witz, voller Überraschungen und Umschwünge – eine einzige Herausforderung unserer sinnlichen Möglichkeiten“.
Diesem Trio folgen 8 Köche mit 19 Punkten, unter ihnen die aufgewerteten Christian Jürgens, 41, vom „Gourmetrestaurant Überfahrt“ in Rottach-Egern am Tegernsee und Christian Lohse, 42, vom „Fischers Fritz“ in Berlin. Dem Hauptstädter attestieren die Kritiker: „Besser, subtiler, ideenreicher und mit geschmackvolleren Produkten kocht niemand in Berlin. Sein Ideenreichtum führt meist nicht zu spektakulären Kombinationen, sondern die Gäste auf ganz subtile Weise zu unerwarteten Aha-Erlebnissen, wenn er beispielsweise Kartoffelwürfel in Hummerbouillon gart und sie neben ein doppeltes Rotbarbenfilet legt, das vom Service mit einer schwarzen Sauce aus Chipiron-Tintenfischen eingefriedet wird.“ Der Tegernseer beeindruckt beispielsweise durch sein „orangefarbenes Bouillabaissepüree zum Seeteufel, das wie die Erinnerung an Ferientage an der Côte d’Azur schmeckt – ein geballter Teller Mittelmeer. Jürgens verschafft dem Gast beim Essen Erlebnisse, die weit über das rein Sinnliche hinausgehen. Kein anderer in Bayern kocht so spannungsreich, so innovativ. Keiner steckt so viel Gedankenarbeit und Experimentierfreude in die Entwicklung seiner Gerichte, um am Ende etwas so auf das Wesentliche Reduziertes auf den Tisch zu bringen.“
Ihre vorjährigen 19 Punkte und damit den Rang einer Weltklasse-Küche verteidigen Klaus Erfort vom „Gästehaus Erfort“ in Saarbrücken, dessen „geniale Kochkunst alles dem Bestreben unterordnet, dem Gast Gutes zu tun“, Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück mit „sehr sinnlichen Tellern einer genauestens kalkulierten Küchendramaturgie“, Hans-Stefan Steinheuer von „Steinheuers Restaurant zur alten Post“ in Bad Neuenahr bei Bonn, der „die sogenannte ‚Neue Deutsche Schule’ trotz seiner 50 Lenze wie ein junger Gott unverkrampft modern kocht“, Christian Bau vom „Schloss Berg“ im saarländischen Perl-Nennig durch „detailversessene Fleißarbeit, die das gesamte sinnliche Spektrum abhandelt, und untrügliches Gespür für Harmonie“, Sven Elverfeld vom „Aqua“ in Wolfsburg „mit Kreationen aus sehr komplexen und langwierigen Denkprozessen“ und Heinz Winkler von der „Residenz Heinz Winkler“ im oberbayerischen Aschau, „der den Nerv jener Kundschaft trifft, die sich vor allem nach Harmonie und heiler Welt sehnt“.
„Aufsteiger des Jahres“: Jakob Stüttgen aufgrund „ständig reifender Experimentierlust“
Auf 18 Punkte steigern sich Patrick Bittner, 38, vom „Gourmetrestaurant Français“ in Frankfurt/Main, Holger Bodendorf, 42, vom „Bodendorf’s“ auf Sylt, Oliver Heilmeyer, 45, vom „17fuffzig“ in Burg (Spreewald), Karl-Emil Kuntz, 51, von der „Krone“ in Herxheim, Frank Rosin, 43, vom „Rosin“ in Dorsten und Dirk Schröer, 33, vom „Caroussel“ in Dresden.
Auf 18 Punkte abgewertet wird „der sonst so ehrenwerte“ Nils Henkel vom „Gourmetrestaurant Lerbach – Nils Henkel“ in Bergisch Gladbach. Er verliert wie auch alle anderen Köche, die Heringskaviar verwenden, einen Punkt. Der Guide empfindet dieses von französischen Behörden als Heringsmüll bezeichnete Kunstprodukt aus geräucherten Heringsabfällen, Wasser, Salz, Maisstärke, Zitronensaft und Zitronensäure und Tinte vom Kalamar sowie Xanthan (das gemeinhin für Tapetenkleister verwendet wird und Ketchup so schön zähflüssig werden lässt) als Sittenverfall. Der Gault Millau hat den Heringsmüll schon in seiner letzten Ausgabe als verwerfliche Lebensmittelchemie abqualifiziert und Sanktionen gegen solche Produkte und zuviel Chemie im Essen angekündigt.
Weil er seine Küche „als einfühlsamer Aromen-Dirigent mit ständig reifender Experimentierlust und farbenfroher Gestaltungsfreude zum kulinarischen Hotspot entwickelte“, wird Jakob Stüttgen, 38, von der „Terrine“ in München erstmals mit 17 Punkten bewertet. Und weil er wie Nouri zu den vom Gault Millau seit jeher emsig geförderten jungen Talenten zählt, die mit einer schöpferischen Küche überzeugen, küren ihn die Tester auch zum „Aufsteiger des Jahres“.
Ebenfalls erstmals 17 Punkte, die für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung” stehen, erkochen sich Alexander Dressel, 38, vom „Friedrich Wilhelm“ in Potsdam, Benedikt Faust, 33, vom „L’étable” Bad Hersfeld, Hans Horbert, 39, vom „La Vision“ in Köln, Marco Müller, 39, von der „Rutz-Wein-Bar“ in Berlin, Markus Philippi, 30, vom „Casala“ in Meersburg, Christoph Rainer, 35, von der „Villa Rothschild“ in Königstein/Taunus, Alexander Schütz, 28, vom „St. Bénoit“ in Oberammergau, Ronny Siewert, 31, vom „Friedrich Franz“ in Bad Doberan-Heiligendamm und Patrick Spies, 30, von der „Villa Hammerschmiede“ in Pfinztal – allesamt aus der vom Gault Millau seit jeher besonders geförderten jungen Garde einer kreativen und spannenden Küche.
Von den mit 17 bis 19,5 Punkten ausgezeichneten 110 Köchen stehen 20 in Baden-Württemberg, 18 in NRW, 17 in Bayern und 11 in Berlin am Herd.
858 Restaurants ausgezeichnet, darunter 108 in den neuen Bundesländern
Insgesamt bewertet der alljährlich wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Feinschmeckern mit Spannung erwartete Gault Millau in seiner neuen Ausgabe 1060 Restaurants. Die 25 Tester, die stets anonym auftreten und dieses Jahr 278 000 € Spesen machten, verleihen 857 Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten Kochmützen. Dazu müssen die Köche mindestens 13 von 20 Punkten erreichen, was einem Michelin-Stern nahekommt. Auch 108 Küchenchefs in den neuen Bundesländern erkochen diese Auszeichnung.
Da auch die Welt der Gourmandise im ständigen Wandel ist und die Plätze im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht werden, serviert der Gault Millau im Vergleich zur Vorjahrsausgabe 168 langweilig gewordene Restaurants ab und nimmt 80 inspirierte Küchen neu auf. 134 Köche werden höher als im letzten Guide bewertet, 138 niedriger. 46 Küchenchefs verlieren die Kochmütze.
Eins auf die Kochmütze bekommt auch Johann Lafer in Stromberg, bei dem die Tester mosern: „Zuwenige Aromen werden so präsentiert wie versprochen, sondern zu süß, zu salzig, zu disharmonisch. Die Saucen fallen sonderbar leblos aus, und wen beeindruckt es, wenn er im Menü mehrfach Teller bekommt, auf denen weißer Schaum nur als optischer Lückenfüller wirkt, weil er nach nichts schmeckt. Die Desserts machen nur in der Karte einen imposanten Eindruck, sind aber kaum auf irgendeiner Höhe der Zeit.“ Betrübt schließen die Tester nach der Abwertung von 17 auf 15 Punkte mit der Bitte: „Bleib lecker, Lafer, und werd nicht Lichter!“
Als „Menü des Jahres“ serviert Henry-Oskar Fried von der „Köhlerstube“ in Baiersbronn die „Aromen Afrikas“, weil der „einzige kulinarisch noch unerschlossene Kontinent mit der Fußball-WM 2010 in Südafrika in aller Munde sein wird“.
Außer dem Koch, Aufsteiger und Menü des Jahres zeichnet der Guide noch weitere kulinarische und gastronomische Leistungen aus:
• „Entdeckung des Jahres“: Daniel Achilles vom „Reinstoff“ in Berlin, eröffnet im März 2009,
• „Oberkellner des Jahres“: Manfred Friedel vom „Königshof“ in München,
• „Sommelier des Jahres“: Melanie Wagner vom „Schwarzen Adler“ in Oberbergen am Kaiserstuhl,
• „Restaurateur des Jahres“: Erhard Schäfer vom „Maître im Kuckuck“ in Köln,
• „Pâtissier des Jahres“: Ronny Bolz von der „Villa Rothschild“ in Königstein/Taunus,
• „Kochschule des Jahres“ ist das vorbildlich eingerichtete und sehr modern designte Kochstudio von Otto Fehrenbacher im badischen Lahr,
• „Cigar Lounge des Jahres“ ist das „Cigarrum“ des Hotels „Frankfurter Hofs“ in Frankfurt/Main, dessen Sessel integrierte Aschenbecher und Zigarrenhalter haben.
Als zusätzliche Schmankerl bewertet der im Münchner Christian Verlag erscheinende Reiseführer für Genießer (822 Seiten, 29,95 €) die Restaurants des TUI-Kreuzfahrers „Mein Schiff“ und zählt auf, was deutsche Köche derzeit in ihrem modischen Wahn vom Apfelpüree über Kartoffelsalat bis zu Walnüssen alles räuchern. Ferner beschreibt und klassifiziert der Guide 365 Hotels.
Gault Millau Deutschland 2010 von Christian Millau , Henri Gault
Bestellink: 978-3-88472-955-7 29,95 Euro
Die Gault Millau Restaurants 2010 Berlin: https://gourmet-report.de/artikel/332066/Gault-Millau-2010-Berlin.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Brandenburg: www.gourmet-report.de/artikel/331804/Gault-Millau-2010-Brandenburg/
Die Gault Millau Restaurants 2010 Thüringen: www.gourmet-report.de/artikel/331802/Gault-Millau-2010-Thueringen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Bayern: www.gourmet-report.de/artikel/331833/Gault-Millau-2010-Bayern.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Nordrhein-Westfalen: www.gourmet-report.de/artikel/331855/Gault-Millau-2010-Nordrhein-Westfalen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Hamburg: www.gourmet-report.de/artikel/331891/Gault-Millau-2010-Hamburg.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Sachsen: www.gourmet-report.de/artikel/331892/Gault-Millau-2010-Sachsen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Bremen: www.gourmet-report.de/artikel/331921/Gault-Millau-2010-Bremen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Sachsen Anhalt: www.gourmet-report.de/artikel/331922/Gault-Millau-2010-Sachsen-Anhalt/
Die Gault Millau Restaurants 2010 Schleswig Holstein: www.gourmet-report.de/artikel/331934/Gault-Millau-2010-Schleswig-Holstein.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Saarland: www.gourmet-report.de/artikel/331954/Gault-Millau-2010-Saarland.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Mecklenburg Vorpommern: www.gourmet-report.de/artikel/331969/Gault-Millau-2010-Mecklenburg-Vorpommern.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Niedersachsen: www.gourmet-report.de/artikel/331995/Gault-Millau-2010-Niedersachsen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Hessen: www.gourmet-report.de/artikel/332001/Gault-Millau-2010-Hessen.html
Die Gault Millau Restaurants 2010 Rheinland Pfalz: www.gourmet-report.de/artikel/332036/Gault-Millau-2010-Rheinland-Pfalz.html
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