NDR, Dienstag, 10.11., 22:30 – 23:15 Uhr
Mahlzeit! Der Geschmack der Lieblingsgerichte der Deutschen funktioniert wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Wie aufregend fand eine Mutter in den 1950er- /1960er-Jahren ihre ersten Spaghetti? Wie hip fühlten wir uns beim ersten Thai Curry? Und wie groß ist – bei aller Exotik – die Sehnsucht nach Omas traditioneller Hausmannskost? Stärker noch als Bilder in einem Familienalbum rufen Gerichte in uns Erinnerungen hervor, lassen Ereignisse und Personen wieder lebendig werden. ‚Mahlzeit, Deutschland!‘ geht auf eine kollektive Reise in die Geschichte des Essens in unserem Land.
Die Stunde null ist der Startschuss für diese Zeitreise durch deutsche Küchen: Der Krieg ist verloren, das Land zerbombt, es geht ums nackte Überleben. Als der 19-jährige Joachim Fuchsberger aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, ist die Beschaffung von Essbarem das große Thema: ‚Ich hatte den Krieg hinter mir und war also in der Jugendblüte und hatte nix zu essen. Ich hatte immer Kohldampf!‘
Die Stunde null ist die Stunde der Frauen: aus praktisch nichts zaubern sie Mahlzeiten für ihre Familien. Schauspielerin Marianne Koch, Jahrgang 1931, lebt damals in der Nähe von München. ‚Meine Mutter hat im Garten Kartoffeln angebaut, und eine Zeit lang haben wir wirklich jeden Tag nur Kartoffeln gegessen. Aber irgendwie hat sie es geschafft, dass es immer abwechslungsreich geschmeckt hat.‘
Broschüren geben wertvolle Tipps für die Hausfrau: Wie man aus Eicheln Kaffee oder aus Bucheckern Öl gewinnt, wie aus Löwenzahn schmackhafte Soßen und aus der unvermeidlichen Kartoffel Highlights wie falsche Marzipantorte oder falscher Kochkäse entstehen.
1953 leben noch 95 Prozent der Deutschen ohne Kühlschrank – verderbliche Lebensmittel werden täglich frisch gekauft. Wer keine Speisekammer hat, kühlt Käse oder Wurst im Keller oder eben gar nicht. Erst mit dem Kühlschrank beginnt die Zeit der Wurstaufschnitte, Käseplatten und Fruchtjoghurts – Lebensmittel, die uns heute so alltäglich erscheinen. Zeitzeugen erzählen, wie sich der Speisezettel schlagartig verändert. Die ‚1950er-Jahre-Hausfrauen‘ schildern auch den sensationellen Fortschritt, den der erste eigene Elektroherd bedeutet: 1953 gibt es ihn in nicht mal jedem zehnten Haushalt in Westdeutschland, Anfang der 1960er-Jahre wird immer noch in jedem dritten Haushalt auf einem Herd, der mit Holz befeuert wird, gekocht.
Als es nach der Währungsreform im Westen aufwärts geht, folgt auf die Hungerküche die Fresswelle. Das kalte Buffet wird zum Symbol der Wirtschaftswunderküche, Mayonnaise-Orgien mit Käse auf dem ‚Fliegenpilz‘, Schinkenröllchen und russischen Eiern finden statt. Und der erste Fernsehkoch der deutschen Geschichte, Clemens Wilmenrod, erfindet die exotischste Kreation der Ära Adenauer: Toast Hawaii. Zu seinen Fans gehört auch Joachim Fuchsberger: ‚Ich glaube, auf Hawaii gibt es gar keinen Toast. Aber ich sehe den heute noch leibhaftig vor mir, und ich habe auch seine Rezepte probiert, und es war köstlich!‘
In der DDR wird zur gleichen Zeit der Mangel verwaltet.
Ost-Fernsehkoch Kurt Drummer muss seine Zutaten stets mit der Parteiführung abstimmen – damit er nichts vorkocht, was im Arbeiter- und Bauernstaat gerade mal wieder nicht zu kaufen ist. Schauspielerin Eva-Maria Hagen erinnert sich: ‚Es gab ja immer Engpässe. Und wenn dann mal Südfrüchte kamen oder Bananen, das war ja eine Sensation!‘
Im Westen bricht unterdessen das Italienfieber aus und stößt eine kulinarische Entwicklung an, die den Speisezettel der Deutschen nachhaltig verändern wird: deutsche Urlauber entdecken Pasta und Pizza – und das Land der Kartoffel wandelt sich zum Nudelmekka.