Salzsiederei auf Læsø

Mittelalterliches Handwerk als Ferienspaß und Wirtschaftsmotor auf der nördlichsten dänischen Kattegatinsel

Rauch und Dampf sind sein Element. Wenn Poul Christensen seine Stimme erhebt, hängen Jung und Alt an seinen Lippen, folgen die Augen jeder seiner Bewegungen. Für Sekunden verschwindet seine schemenhafte Gestalt in den aus großen mit Wasser gefüllten Eisenpfannen aufsteigenden Dampfschwaden. Dafür sorgt das darunter knisternde Feuer. Die durch die Ritzen im Fachwerk fallenden Sonnenstrahlen zeichnen phantastische Gestalten in den Dunst. Jahr für Jahr nehmen Poul Christensen und seine Mitarbeiter etwa 50.000 Besucher mit auf eine Zeitreise in die Vergangenheit der dänischen Kattegatinsel Læsø – und füllen dabei Tag für Tag große Weidenkörbe mit einer feucht glänzenden weißen Substanz.

Liebevoll verpackt in kleinen Leinensäckchen und Kiefernholzfässern erfreut sich der weiße Stoff im gesamten Königreich wachsender Beliebtheit. Læsø-Salz ist zu einem Markenzeichen für Qualität geworden. Gastronomie und Feinkostläden von Kopenhagen bis Grönland haben das weiße Gold der Kattegatinsel entdeckt. Dänische Butter mit Læsø Salz wurde schon einmal als Lebensmittel des Jahres ausgezeichnet, es werden spezielle Kartoffelchips mit Læsø Salz produziert – eine Erfolgsgeschichte, die 1990 nicht unbedingt abzusehen war.

648 Tonnen Salz als Zwangsabgabe

Bei Ausgrabungen waren Archäologen im Süden der Insel auf die Fundamente einer alten Salzsiedehütte gestoßen. Das Jagdfieber war geweckt. Die Suche nach dem weißen Gold wurde rasch zur Suche nach den eigenen Wurzeln. Seit dem 12. Jahrhundert wurde auf Læsø in großem Umfang Salz produziert. Das Domkapitel im jütländischen Viborg, über Jahrhunderte Besitzer der Insel, war sich der wirtschaftlichen Bedeutung des Salzes sehr wohl bewusst. Jahr für Jahr machten sich Holzschiffe mit der wertvollen Ladung im Herbst auf den mehrtägigen Weg zum Festland. Mindestens 648 Tonnen Salz musste die Inselbevölkerung jährlich als Zwangsabgabe an die Kirche abführen. Zum Konservieren von Fleisch und Fisch war das Siedesalz zur damaligen Zeit unverzichtbar. Im Laufe der etwa 500 Jahre währenden Salzsiederei verschwand der komplette Waldbestand der Insel in den Feuerstellen der über 1.000 Salzsieder. 1652 wurde die Siederei auf Læsø deshalb verboten. Für den Reichtum Viborgs zahlten die Inselbewohner einen hohen Preis.

Nur ein Felsstein auf einem mit Gras bewachsenen Hügel erinnert heute im Nordosten der Insel an die Kirche von Hals. Als der letzte Baum geschlagen war, rückte der Sand den Bewohnern der Gemeinde von Hals zu Leibe. Dorf und Kirche gingen in den Sandfluten unter, die Bewohner flüchteten. Weite Teile Læsøs wurden für viele Jahre zu unfruchtbaren Sandwüsten. Heute erstreckt sich entlang der Nordküste auf über 1.700 Hektar die Læsø Klitplantage – ein wundervolles Labyrinth aus Birken- und Kiefernwäldern, Heideseen und Moortümpeln, lauschigen Waldlichtungen und spektakulären Dünen. Seit 1920 wurde hier konsequent aufgeforstet und ein weitläufiges System aus Wander- und Fahrradwegen angelegt.

Heute stelle die Salzsiederei keine Gefahr für den Waldbestand der Insel mehr dar, betont Poul Christensen, Salzsiedemeister in der seit 1991 wieder betriebenen einzigen Salzsiederei Læsøs. Die natürlichen Bedingungen zur Salzgewinnung sind auch heute unverändert günstig. Der flache Süden der Insel wird geprägt durch ein vielfältiges Mosaik aus Salzwiesen, Prielen, Inseln und Wattflächen. Im Winterhalbjahr sorgt der Wind regelmäßig für Überschwemmungen. Das anschließende Verdampfen des Wassers bewirkt ein Absinken des Salzes im Boden. Über einer dicken Lehmschicht staut sich dieses salzige Restwasser und sammelt sich in unterirdischen Senken. Der Salzgehalt des Grundwassers beträgt an diesen Stellen bis zu 15 Prozent, zehn Mal mehr als im Wasser des Kattegats. Idealer Rohstoff für die Salzgewinnung.

Nicht kochen sondern sieden

„Nicht kochen sondern sieden“, beschreibt Christensen das Erfolgsrezept der Siederei. In den zwei aus schwarz geteerten Brettern, Flechtwänden mit Grassodendach errichteten Siedehütten wird heute rund um die Uhr gearbeitet. In sechs offenen, etwa zwei Mal ein Meter großen Siedepfannen entstehen jährlich etwa 50 Tonnen des begehrten Salzes. Jeweils nach vier bis fünf Stunden wird die Temperatur von 85 Grad auf 60 Grad herunter gefahren, die Kristallisation beginnt. Nach 24 Stunden wird das weiße Gold geerntet, Wasser nachgefüllt, angeheizt und ein neuer Kristallisationsprozess eingeleitet. Das noch feuchte Salz wird auf großen Holzgestellen im Freien zum Trocknen ausgebreitet. Besonders begehrt ist das „Jomfrusalt“. Seine pyramidenförmigen Kristalle entstehen immer nur zu Beginn eines Siedevorgangs. Zusammen mit frisch gebackenem Brot und Butter eröffnet diese Spezialität nahezu jedes Diner in der Inselgastronomie.

„Wir sind Kaufleute“ stellt Christensen klar, und scheinbar ziemlich gute. Längst ist aus dem Versuch der wissenschaftlichen Rekonstruktion eines alten Handwerks nicht nur ein florierendes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von fünf Millionen Kronen und zwölf Angestellten, sondern auch eine Touristenattraktion ersten Ranges geworden. Ohne nennenswerte staatliche Fördergelder gelang es, den Aufbau des „arbeitenden Museums“ allein über den Salzverkauf zu finanzieren. Den zahlreichen Besuchern gefällt die Mischung aus Demonstration mittelalterlichen Handwerks, Inselgeschichte, lebendiger Unterhaltung für die ganze Familie und effektivem Management. Kinder nutzen die Möglichkeit, in Minipfannen selber Salz zu sieden oder mit den Salzsiedern Nachtwache zu halten. In der Nacht lassen die Mitarbeiter alte Spukgestalten wieder auferstehen, zünftiger Imbiss zur Geisterstunde inklusive.

Kurbetrieb dehnt Urlaubssaison

Die Vorzüge des Salzes aber scheinen damit noch lange nicht ausgeschöpft. Seit 2008 gibt es das salzhaltige Gesundheits- und Wellnessprojekt „Kur og Helse“. Der weiße Kirchturm von Vesterø Havn ist bereits von Deck der Fähre zu erkennen. Der Rest der Kirche wurde in etwa einjähriger Bauzeit durch moderne Kureinrichtungen ersetzt. Ein bisher einmaliger Vorgang in Dänemark. Hier kommen insbesondere an Schuppenflechte (Psoriasis) Erkrankte in den Genuss der heilenden Kräfte des Salzes. Mit dem umfangreichen Angebot an Massagen, Schlamm- und Algenanwendungen, Sauna, Dampfbad und Salzwasserbädern werden aber auch die zahlreichen Inselgäste angesprochen. Mit der Einrichtung eines Kurbetriebs könnte es auch gelingen, die bisher auf die Sommermonate beschränkte Urlaubssaison auszudehnen.

Ein Großteil der jährlich etwa 120.000 Inselgäste verbringt hier den Sommerurlaub. Von Juni bis August pulsiert das Leben auf der mit 118 Quadratkilometern größten Insel im Kattegat. Über 800 Ferienhäuser sowie Hotels und Campingplätze haben dann Hochsaison, bevor Ende August wieder Ruhe einkehrt auf Læsø. Dabei erwarten den Urlauber gerade zu den anderen Jahreszeiten unvergessliche Inseltage. Endlose Spaziergänge am Strand von Danzigmand, Bernsteinfunde nahezu garantiert, Ausflüge im Pferdesattel oder eine Partie Golf. Und egal ob im Ferienhaus oder Hotel – am Abend stehen die Köstlichkeiten der Insel auf dem Speiseplan – allen voran der „Jomfruhummer“.

Alle tiders Læsø: Einmal Læsø – immer Læsø

Vor allem Radfahrer wissen die Ruhe und Gelassenheit sowie die geringen Höhenunterschiede auf der Insel zu schätzen. Viele nutzen die guten Fährverbindungen von Frederikshavn nach Vesterø Havn für einen Tagesausflug. Thematische Fahrradkarten sind im örtlichen Touristenbüro erhältlich, der Fahrradverleih befindet sich nur ein paar Hauseingänge weiter. Læsø setzt bisher ganz bewusst auf derart umweltschonende Urlaubsangebote. „Alle tiders Læsø“ – unter diesem Motto haben sich Salzsiederei, Touristbüro, das Insel-Museum und andere Akteure zu einem gemeinsamen Aktionsprogramm zusammengeschlossen.


Helle Pedersen vom Touristbüro beschreibt die inhaltliche Ausrichtung: „Die Insel selbst soll bei allen Überlegungen im Vordergrund stehen. Touristische Attraktionen sollen aus der Insel heraus entwickelt werden und diese zum Thema haben – über historische Zeiträume hinweg“. Die Salzsiederei hat dies auf eindrucksvolle Weise in die Tat umgesetzt. Aus den Erfahrungen der mittelalterlichen Salzsiederei, die aufgrund schonungsloser Ausbeutung vorhandener Ressourcen in ein ökologisches Fiasko mündete, wurde ein zukunftsweisender, der Nachhaltigkeit verpflichteter Wirtschaftszweig entwickelt.


„Einmal Læsø – immer Læsø“. Læsøliebhaber wissen um den Wahrheitsgehalt dieses Werbeslogans. Bereits bevor der letzte weiße Salzkrümel aus den Urlausbmitbringseln verbraucht ist, befällt sie eine innere Unruhe, gegen die es nur ein Mittel gibt: Inselferien! Liebe Leser, Sie schütteln ungläubig den Kopf ? Dafür gibt es nur eine Erklärung: Seien Sie ehrlich. Sie waren noch nie auf Læsø? Yörn Kreib

Info:
Læsø Saltsyderi ist ganzjährig geöffnet. Der Eintritt (inkl. Vortrag) ist frei. In den Wintermonaten allerdings Vorträge bzw. Führungen nur auf Anfrage. Adresse: Hornfiskrønvej 3, Byrum, 9940 Læsø, Tel. +45 9849 1355, www.sydesalt.dk .
Der Besuch der Salzsiederei lässt sich hervorragend mit einem Abstecher in das Naturschutzgebiet „Rønnerne“ verbinden, das mit ca. 1.800 Hektar größte Strandwiesenareal Dänemarks (Fernglas zur Vogelbeobachtung nicht vergessen). Salzkur: Læsø Kur & Helse, Hornfiskrønvej 3, DK-9940 Læsø, Tel. +45 9849 1322, www.saltkur.dk

In Fußentfernung vom Fähranleger in Vesterø Havn liegt der Fahrradverleih von Kim Daugaard „Jarvis Ny Cykelservice“. Vesterø Havngade 29, 9940 Læsø, Tel: +45 9849 9444, www.jarvis-laesoe.dk

Anreise mit PKW oder Bahn bis Frederikshavn. Von dort mit der Fähre nach Læsø. Færgeselskabet Læsø K/S, Havnepladsen 1, Vesterø Havn, DK-9940 Læsø, Tel. +45 9849 9022. Online Buchung unter www.laesoe-line.dk . Die Überfahrt dauert 90 Minuten. Günstigere Tarife in der Nebensaison.

Im Læsø Touristbüro in Vesterø Havn sind thematische Radwanderkarten, allgemeine Informationen, eine gute Landkarte sowie Souvenirs erhältlich, außerdem macht die kommunale Firma Læsø Pakkerejser ApS alle touristischen Angebote buchbar. Vesterø Havnegade 17, 9940 Læsø, Tel.: +45 9849 9242, www.laesoe.dk und www.laesoe-booking.dk
Hier kann auch die jährlich erscheinende sehr informative Inselbroschüre (deutschsprachig) angefordert werden.

Bei Dänemarks offizieller Tourismuszentrale sind überregionale Informationsbroschüren und Straßenkarten erhältlich: VisitDenmark, Postfach 70 17 40, D-22017 Hamburg, Tel. 018 05 / 32 64 63 (14 Ct./Min. Festnetz), www.visitdenmark.com (mit Onlinebuchung von über 26.000 Ferienhäusern sowie fast 300 Hotels).

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