Wenn der Altweibersommer Fäden zieht, wenn der goldene Herbst lacht, und die Stimmung im Dorf steigt, dann kommt die Zeit der Weinlese. Eimer und Bottiche werden gesäubert, die Scheren geschliffen, Traktor und Anhänger bereit gemacht. Doch einfach nur Trauben schneiden und mit den Füßen keltern ist schon lange vorbei. Vieles muss der Winzer beachten, um beste Weine zu erzielen. Schließlich wachsen die Qualitäten im Weinberg, nicht im Keller. Aus einem saurem Most kann kein Kellermeister eine Spätlese zaubern. Natürlich muss er alle Weichen richtig stellen, aber reifer machen kann er den Most nicht.
Schon im Sommer fängt es an. Zu hoher Ertrag ist auszudünnen. Denn der Weinstock besitzt nur eine begrenzte Kraft und kann diese auf mehr oder weniger Trauben verteilen. Überschüssige Trauben werden entfernt, heute auch viele halbiert. „Bei unseren Selectionsweinen gehen wir bis auf 60 kg / Ar zurück“, erklärt Florian Zeller, Kellermeister der Winzergenossenschaft Wolfenweiler im badischen Markgräflerland.
Nichts ist gefürchteter als länger anhaltender warmer Regen ab Mitte August, wenn die Beeren schon reif und weich werden. Dann droht Fäulnis. Dagegen hilft Laub entfernen rund um die Trauben. Der verbleibende, weitaus größere Teil des Laubs
reicht noch lange, um Zucker zu bilden. Denn die „Zuckerfabriken“ sind die Blätter, die Trauben die Speicher.
Qualitätsmanager Frank Männle (rechts) der badischen Winzergenossenschaften Oberkirch und Waldulm hat die alleinige Aufgabe, die Winzer zu beraten.
Qualitätsmanager Frank Männle (rechts) der badischen Winzergenossenschaften Oberkirch und Waldulm hat die alleinige Aufgabe, die Winzer zu beraten.
„Früher hieß es bei den Winzern, was der August nicht kocht, kann der September nicht braten“, meint Qualitätsmanager Frank Männle, der nur per Handy und Geländewagen unterwegs ist und die Mitglieder der Winzergenossenschaften Oberkirch und Waldulm berät, und fährt fort: „Durch die Klimaerwärmung haben wir schon seit 20 Jahren keinen unreifen Jahrgang mehr bekommen. Auch dieses Jahr wird es gute Tropfen geben. Jedoch fangen die Trauben schon im August an zu reifen, und anhaltend warmer Regen wird dann zum Problem.“ Ideal sind lange Herbste mit trockenem Wetter, sonnigen Tagen und kühlen Nächten. Es darf ruhig windig sein, und auch Morgennebel schaden nicht – im Gegenteil. Gerade dann werden die feinen Aromen gebildet und die Fruchtsäure reift gut aus. Die herbe, unreif schmeckende, Äpfelsäure tritt zu Gunsten der edlen Weinsäure zurück. Inzwischen ist bekannt, dass die feineren Weine im gemäßigten Klima wachsen. Denn bei schierer Hitze schaltet die Rebe auf Sparflamme. Sie bildet wohl Zucker, woraus viel Alkohol kommt, aber weniger Aromen. Die Kellermeister wünschen sich kühles Lesegut, dass sie kühl vergären können. „Das bringt frische Weine“, betont Kellermeister Zeller, „falls nötig kühlen wir das Lesegut mit Trockeneis, vor allem unseren Gutedel, um Weine mit den schönen Citrusaromen zu bekommen.
Kellermeister Daniel Möllinger, Wasenweiler Winzer in Ihringen am Kaiserstuhl, prüft die Öchslegrade
Kellermeister Daniel Möllinger, Wasenweiler Winzer in Ihringen am Kaiserstuhl, prüft die Öchslegrade
Wichtig ist, den richtigen Lesezeitpunkt zu erwischen. Nicht zu früh, die Trauben sollen voll ausreifen und diese Aromen bilden. Es muss aber auch genügend Fruchtsäure verbleiben, denn sie ist es, welche die Weine lebendig macht. Doch immer ist es ein Lotteriespiel mit dem Wetter. Häufig werden Vorlesen gemacht. Man erntet die frühreifen Trauben, bevor sie überreif sind, und liest den Rest später.
Engagierte Winzer machen sogar mehrere Durchgänge, und auch das Sortieren der Trauben in mehrere Eimer ist heute Standard. Bei größeren Weingütern liest nicht nur die Familie, es gibt auch viele Erntehelfer. Beim Lesen kommt Stimmung auf, wie das Erzählen
von Geschichten, das Singen von Liedern und natürlich das kräftige Vespern mit neuem Wein.
Wenn die Winzer alles gut eingebracht haben, und die neuen Weine im Keller blubbern, dann darf man, zumal am Erntedanktag, auch einen dankbaren Blick nach „oben“ werfen, zu dem hin, der wieder einmal ein schönes Jahr und eine gute Ernte beschert hat. Kellermeister Daniel Möllinger bei den Wasenweiler Winzern in Ihringen am Kaiserstuhl freut sich dann noch auf das „Scherehenkerlis“, das viele Winzer feiern, wenn die Scheren wieder aufgehängt werden. Adressen unter www.best-of-baden.de .