Weinkatalogtexter

Gaumen-Freude

Manchmal ist es lustiger, etwas über Weine zu lesen, als sie selbst zu trinken. Man kann sich wundern, was so manchem Weinkatalogtexter so alles zu seinem Gegenstand einfällt. Zuweilen scheint es so, als wäre nicht nur der Blick arg tief ins Glas gegangen. Oft werden dabei normalerweise wohl unterscheidbare Grenzen in einem Zustand euphorischer Beschreibung nicht mehr wahrgenommen.

Dass ein Wein einen starken, bitteren, fruchtigen Abgang hat, mag man hinnehmen, auch wenn dieser zuweilen mit Gummiabrieb im Hals gebremst wird. Nicht verwundert ist der gnädige Leser, wenn er erfährt, dass ein Wein auf der Zunge klebt. Schlimmer scheint es da schon um den Gaumen, wie um den Verstand des Schreibers bestellt.

Dieses kleine Organ kann einem Leid tun. Denn manche Weine explodieren an ihm. Sie erschüttern den Gaumen wie ein Vulkanausbruch, denn sie verursachen eine Eruption an ihm. Damit aber nicht genug, denn schließlich wird der arme hilflose kleine Gaumen auch von einem Strudel der Aromen gepackt, überwältigt, bezaubert und betört.

Manches Mal gerät der Gaumen unter Druck, ist überwältigt von der „stoffigen“ Textur, wird von der Kraft und dem Saft manches Rieslings im wahrsten Sinne des Wortes erdrückt. Zuweilen ist der Gaumen hilflos, wie ein Nachen auf hoher See. Er kann von Aromen geschüttelt und umhergeworfen werden und er wird überrollt von einer Welle des ausdrucksstarken Geschmacks.

Unglaubliches passiert und man muss sich schon wundern. Besonders wenn die Sprache in metaphysische Höhen getrieben und das Paradies, das Himmelreich, oder der Übergang vom Irdischen ins Himmlische mit dem Bild der Himmelspforte ins textliche Spiel gebracht wird. Manchen Wein möchte man – auch wenn man nach dem Studium der einschlägigen Fachtexte um die Gefahr für den Gaumen Kenntnis erhalten hat – nicht virtuell und nicht im Jenseits verköstigen, sondern ganz real hier auf Erden.

Ein Wein kann ein Segen sein, eine Rechtfertigung für das Paradies ist er sowenig, wie eine ausreichende Bestechung an der Himmelspforte. Auch wenn ich gerne glaube, dass so mancher Texter das Göttliche auf dem Boden seines Weinglases erblickt zu haben glaubt, so wollen wir doch den Weinstein in der Flasche lassen.

Betrachten wir in Zukunft bei der Weinprobe die Zunge als schmeckendes und sprechendes Organ. Hier wird der Geschmack empfangen, hier werden die Worte geformt. Wir können von manchen Aromen überwältigt sein, aber der Verstand sollte uns helfen, diese Eindrücke in Worte zu fassen, ohne dass der arme Gaumen in allzu arge Mitleidenschaft gezogen werden muss. Denn das Paradies kann schon in der nächsten Flasche Wein zu finden sein. Wenn wir es finden, sollten wir es beschreiben können. Nikolai Wojtko – www.gastrosophie.eu

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