Mythos, Murge und Matera

Apulien ist im Frühjahr noch ganz unberührt

Von Nicolas van Ryk

Nebelschwaden drücken sich von Andria die Anhöhen herauf. Fast nichts von
der Umgebung ist zu sehen. Ein Straßenschild weist den Berg hinauf. Leere
Busparkplätze zeigen an, dass hier sonst viel los ist. Am Café vorbei sind
endlich dicke Steinquader zu erkennen. Eckige Mauern tun sich auf. Überall.
Rundherum. Endlich ist es da, in Greifnähe und drumherum ist es ganz still.
Keine lärmenden Touristen, und Sekunden später reißt ein schaler
Sonnenstrahl ein Loch in die Nebenschwaden. So zeigt sich die Freitreppe zum
Castel del Monte. Eine junge Frau sitzt im Kassenhäuschen ihre Zeit ab. Am
Eingang döst ihr Hund vor sich hin. Niemand scheint sich für dieses
legendäre Achteck mit seinen achteckigen Türmen zu interessieren, das der
Stauferkaiser Friedrich II. vor bald 800 Jahren erbauen ließ. Ein weiteres
Besucherpaar schlurgt durch die möbellosen Gänge. Beim Rausgehen heult der
Hund der Kassenfrau plötzlich auf. Er knurrt und winselt, bellt und schreit.
Furchterregend ruft das Tier um Hilfe. Herbeigeeilt sieht man, das da etwas
nicht stimmt. Das Geschöpf dreht sich im Kreis, ringt um Luft, bekommt
Schaum ins Maul. Es torkelt, fällt, Schockwellen gehen dem Wesen über den
Leib. Zitternd steht es wieder auf, stürzt erneut, heult noch mal auf. Dann
wird es still, kratzt sich mit einer Pfote nochmal zaghaft am Boden.
Mystisch dieser Ort, neblig, totgeweiht.

Wie auf Wasser gebaut

Es war so sonnig am Morgen dieses Frühlingstages. Um sieben war es schon
hell, die Sonne erleuchtete die Felsklippen in Vieste am äußersten Fußzacken
Italiens, dem Gargano. Doch dann kam der Nebel. In Vieste war davon nichts
zu spüren. Bis spät saßen die Alten am Vorabend in ihren abgesteppten Jacken
draußen. Ein paar Jungs ratterten mit Skatebords über die Platten. Die
abgekühlte Luft fröstelte nicht. Schon als es dunkel war und die Gassen der
weißen Altstadthäuser nach Pasta und Minestrone rochen und dumpf Geschirr
und Teller klapperten, hatte die Weintanke noch geöffnet. Ein Euro vom
Roten, einszwanzig vom Weißen und damit billiger als Sprit für die Fiats und
Lancias. Aber an diesem Hundetag kam auch der Nebel. Wohl bald nach dem Tod
es Hundes muss der Nebel aufgerissen sein. Am Frühabend schimmert die Sonne
am Hafen von Trani durch. Von wegen ein Ort der Tränen, mehr und mehr klart
es auf. Nur die Brise ist noch frisch, die den Dom am Meer umweht. Am
Hauptportal, das verschlossen ist, kommt das Gefühl in einem auf, das dieses
Gotteshaus auf Wasser gebaut ist. Ganz einsam steht es auf einem großen,
entleerten Platz. Allein der steinweiße Dom ragt in den Himmel. Wie die
große Moschee in Casablanca, schwebt auch dieses weiße Haus schier auf dem
Wasser empor. Doch um reinzukommen, muss man tiefer steigen. An der Seite
führt eine Treppe in den Keller, nur um dann ins obere Hauptschiff zu
gelangen. Wer noch tiefer steigt, gelangt zur Krypta mit Reliquien eines
heiligen Nicolaus. Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, schwimmt hier in
Trani auf dem Meer. Der Ort hat ein bisschen etwas vom Provinzstädtchen, in
dem die Einheimischen zum Einkaufen hinfahren. Nette Geschäfte, Schuhläden,
Klamotten, Küchengeräte und schöne Ecken zum Draußensitzen. Ab Anfang März
kann man abends eine ofenfrische Pizza oder eine gegrillte Dorade im Freien
essen.

Steinhäuser mit Spitzdächern

Wie viele apulische Kleinstädte hat auch Conversano seinen Dom, eine
Altstadt und sogar ein Castello. Dennoch fährt man eher an diesem sieben
Kilometer vom Meer entfernten Ort vorbei, wenn da nicht Nicola Mattia wäre.
Er hat gegenüber der Kathedrale die mittelalterliche ehemalige Residenz der
Normannengrafen aus dem 15. Jahrhundert in eine charmante Pension
hergerichtet. 23 Zimmer verteilen sich über ein verwinkeltes Gemäuer. Manche
Räume gruppieren sich um einen Innenhof, einige Apartments sind nur über
eine Gasse und Treppen zu erreichen und manche Gäste müssen regelrecht
absteigen, um anzukommen. Für 55 Euro im Doppelzimmer mit gelungenem
Frühstück ist dieses Kleinod die Anreise wert.
„Es vermietet Trullis das ganze Jahr, der ganze Tag zu 65 Euro, in die Mitte
und in die Umgebung, es verkauft auch Trullis“, steht etwas holprig auf der
Werbekarte von Luca Bianco. Während einer Pause am Tresen ihres Cafés
„Shaker“ in Alberobello hat sie ihre Chance erkannt. Zahlende Gäste kämen
ihr gerade recht. Immerhin hat sie mit ihren Rundbauten ein besonders
Wohnerlebnis anzubieten. Es sind mehr als 1000 rundliche Steinhäuser mit
Spitzdächern, die in Alberobello und im umgebenden Itria-Tal versammelt
sind. Es scheinen ideale Unterkünfte für Hobbits zu sein. Die Gegend wirkt
so wie das Auenland dieser kleinen Geister aus dem Film „Herr der Ringe“.
Noch grün und leicht gehügelt. Die Häuschen sind mörtellos gebaut, weil es
eine Steuer auf festgemauerte Siedlungen gab, die damit von den Bauern
umgangen wurde. Diese Schläue führte zur einzigartigen Bauweise und 1996 zum
Status einer Weltkulturstätte.

Höhlenzauber der besonderen Art

Das nahe Ostuni muss man bei Licht betrachten. Am besten mit
wolkenverhangenem Frühlingshimmel. Dann stechen die weißgetünchten Häuser
auf dem Stadtberg besonders hervor. Der Ort überragt die Ebene. Von der
Stadtmauer aus gesehen, weitet sich in östliche Richtung zwölf Kilometer
entfernt das blaue Meer vor einem aus. Es sind nicht die spektakulären Dinge
in Ostuni zu besichtigen. Aber einen Dom mit großer, gekünstelter Rosette in
der Hauptfassade hat der Ort schon. Vielmehr ist es der Schleier des Südens,
der hier über die ansteigenden und runterführenden Pflaster wabert. Eine
Katze streicht geräuschlos an einer großen Terrakottavase vorbei,
Schuhabsätze klappern über die Gasse, ein Kind schreit, und vor dem Domcafé
wartet ein sehr junger Pächter auf Kundschaft. Für einen Moment scheint
alles im Lot zu sein. Wen es aber früher in die Ferne zog, kam an Otranto
nicht vorbei. Dieser Ort ist die östlichste Stadt Italiens und liegt auf
gleicher Höhe wie Krakau. Bei klarer Sicht sind die Albaner Berge schon zu
sehen. Von Otranto aus ging es ins Heilige Land. Kreuzfahrer, die es sich
leisten konnten, schifften sich von hier aus ein. Viel hat sich seitdem kaum
verändert. Die Stadt ist immer noch vom Hafen bestimmt. Nur die
Ritterschiffe sind von Fischerbooten ersetzt. 1480 wurde die strategische
Lage der Stadt zum Verhängnis. Der Eroberer von Byzanz, Sultan Mohammed II.,
belagerte die Stadt. 800 Männer hatten sich in der Kathedrale verschanzt.
Und das tun sie noch immer. In drei mächtigen Schaufenstern hinter einem
Seitenaltar sind ihre enthaupteten Schädel noch heute aufgeschichtet als
makantes Zeichen der Widerstandsfähigkeit. Die Furcht vor den Sarazenen
hatten die Bewohner von Matera mit den Bedrohten aus Otranto gemeinsam. Denn
auch hier am Rande des kahlen Murge-Hochlandes versteckten sich die Menschen
vor den Andersgläubigen im weichen Kalkstein. Sie bauten höhlige Behausungen
in die Karstgrotten der Murge. Über die Höhlen setzten die Bewohner später
noch Häuser und es entstand die Stadt der Steine, die man hier Sassi nennt.
Vom Belvedere an der Murgia Timone bietet sich ein grandioser Blick auf die
Sassi-Stadt. Rechts des Ausblicks reihen sich Häuser eine Anhöhe hinauf. Die
Kathedrale bildet die Krone. Jenseits dieses Stadthügels geht es wieder zu
Tal. Wenn abends die Lichter angehen, funkelt es aus jedem Höhlenwinkel.
Einige Sassi-Besitzer bieten Herberge an. Für rund 50 Euro wird man zu
Barney Geröllheimer. Das ist ein Höhlenzauber der besonderen Art und seit
1993 mit Welterbeprädikat. Heute liegt diese Stadt in der Provinz
Basilikata. Doch als Kaiser Friedrich sein Castel del Monte bewohnte, lag
Matera in seinem apulischen Reich. Schon von weitem sichtbar streckt sich
diesmal das Castel wie eine Krone am Horizont funkelnd in den tiefblauen,
wolkenlosen Märzhimmel. Wieder ist nichts los an diesem sagenumwitterten
Ort. Niemanden können die hellen Mauern blenden. Hier liegt halt der Hund
begraben.

Weitere Informationen: Staatliches Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT,
Kaiserstr. 65, D-60329 Frankfurt/ Main, Tel.: 069-237434, Fax.: 069-232894

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