Abgehängt und allein gelassen? – Herausforderung Ernährungsarmut

Abgehängt und allein gelassen?
Herausforderung Ernährungsarmut

„Auch 2008 ist Ernährungsarmut weiterhin ein drängendes und politisch brisantes Thema“, betonte Prof. Dr. Angelika Ploeger, Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten (AGEV) auf der 30. Jahrestagung der AGEV „Abgehängt und allein gelassen? – Herausforderung Ernährungsarmut“, die am 25./26. November 2008 in Kooperation mit dem aid infodienst in Bonn stattfand. Im Mittelpunkt stand die Diskussion, wie man dem Thema Ernährungsarmut gesamtgesellschaftlich begegnen kann.
„In Deutschland wächst laut UNICEF-Bericht jedes sechste Kind in Armutsverhältnissen auf. Besonders bedroht vom Leben in Armut sind Kinder aus kinderreichen Familien, von allein Erziehenden oder solchen mit Migrationshintergrund“, erläuterte Jutta Kamensky, Universität Ulm. Armut stelle den größten Risikofaktor für die Lebenschancen von Kindern dar. Neben dem beschränkten Zugang zu Bildung und Gesellschaft erkrankten sozial benachteiligte Kinder häufiger als Kinder aus besser gestellten Familien. Thomas Lampert, Robert Koch-Institut Berlin, betonte: „Menschen mit einem Armutsrisiko haben eine um etwa neun Jahre verringerte Lebenserwartung im Vergleich zu den ökonomisch am besten gestellten Bevölkerungskreisen.“ Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Universität Gießen, unterstrich, dass öffentliche Unterstützungsangebote für junge Eltern nötig seien, um sie in ihrer Verantwortung und elterlichen Kompetenz zu stärken. Insbesondere um benachteiligte Kinder und Eltern an einen gesunden Lebensstil heranzuführen, seien wertschätzende, unterstützende und aktivierende Maßnahmen, die auch selbstwirksam sind, sinnvoll. Kamensky stellte fest, dass die Brisanz der Fehlernährung darin liege, dass den Kindern neben dem Angebot an gesunden Mahlzeiten zuhause auch die guten Vorbilder für das Erlernen günstiger Verhaltensweisen fehlen. „Gesundheitsförderung von sozial benachteiligten Kindern sollte deshalb Verhältnisse und Verhalten berücksichtigen, im Setting stattfinden und die Betroffenen partizipieren lassen. Bewältigungsstrategien, ein soziales Netzwerk und eine hohe Selbstwirksamkeit erleichtern den Umgang mit der Armutslage erheblich“, so die Expertin.
„Migranten sind in Deutschland doppelt so häufig von Armut bedroht wie die einheimische Bevölkerung“, verdeutlichte Ahmet Kimil vom Ethno-Medizinischen Zentrum e.V., Hannover. Kinder mit Migrationshintergrund unterlägen deutlich öfter Gesundheitsrisiken wie Krankheiten und Übergewicht. Dr. Liane Schenk von der Charité – Universitätsmedizin Berlin erläuterte anhand des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS), dass vor allem türkischstämmige und russlanddeutsche Kinder ein eher ungünstigeres Ernährungsverhalten im Vergleich zu Nicht-Migranten zeigen. „Diese Ergebnisse signalisieren Handlungsbedarf, es geht darum, gesunde Elemente der Ernährungsweise der Herkunftsländer zu erhalten und ungünstigen Einflüssen der Zuwanderungskultur vorzubeugen“, so Schenk.
Auch der Anteil der in Armut lebenden älteren Menschen werde in den kommenden Jahren ansteigen, da viele Menschen nicht in der Lage waren und sind, eine private Altersvorsorge zu treffen, stellte Anne von Laufenberg-Beermann von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V. (BAGSO) fest. „Neben den rein ökonomischen Herausforderungen zur Vermeidung von steigender Ernährungsarmut im Alter sieht die BAGSO in Hinblick auf die demografische Entwicklung großen Handlungsbedarf insbesondere für ältere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen in ländlichen Gebieten“, so Laufenberg-Beermann.
Doch welche öffentlichen Strategien gibt es, um der Ernährungsarmut zu begegnen? „Ernährungsarmut ist eine Herausforderung an die gesellschaftliche Verantwortung“, betonte Regine Rehaag vom KATALYSE Institut Köln. Durch die kostenlose Lebensmittelausgabe über die Tafeln würde z. B. Ernährungsverantwortung für bedürftige Mitbürger übernommen. Doch nicht selten fehle bei ihnen das Wissen, wie man aus frischen Lebensmitteln eine Mahlzeit zubereiten kann. Diese Ressourcen müssten daher gestärkt werden. Sabine Schulz-Greve von der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Berlin berichtete: „Durch die Einrichtung von Ganztagsschulen wurden gute Voraussetzungen geschaffen, „Bildungshunger“ auch in Sachen Ernährung und Gesundheit zu stillen. Ernährungs- und Verbraucherbildung, wie sie ganztags bei gemeinsamen Mahlzeiten vorgelebt und fächerübergreifend im Unterricht vertieft werden kann, schafft Chancengleichheit zur Ausprägung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils.“ Am Beispiel des „MiMi“-Projektes (Von Migranten für Migranten) zeigte Kimil, dass die Eigenverantwortung von Menschen mit Zuwanderungshintergrund gestärkt werden kann, was langfristig zu einer Verbesserung der Gesundheitschancen führen sollte.

aid. Eva Weißen

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