Stevia

Streit um Natursüßstoff Stevia: „EU-Kommission korrupt“ – UN-Expertengremium attestiert Unbedenklichkeit der pflanzlichen Substanz – Stevia war bereits bei Indianern als Süßstoff bekannt

Der Streit um den
Natursüßstoff Stevia, der aus der ursprünglich in Südamerika
beheimateten Pflanze Stevia rebaudiana gewonnen wird, geht weiter. Erst
im Juni dieses Jahres hatte der UN-Ausschuss Joint Expert Committee on
Food Additives (JECFA) die gesundheitliche Unbedenklichkeit von
Stevia-Süßstoff festgestellt und einen Richtwert festgesetzt, wonach die
tägliche Einnahme von bis zu vier Milligramm pro Kilogramm Steviol als
sicher beurteilt werden kann. Diese Einschätzung gilt für
Stevia-Süßstoffe mit einem Reinheitsgrad von mehr als 95 Prozent. Bisher
ist Stevia, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Ländern wie etwa in
Japan, in der EU noch nicht zugelassen. Dies ruft nun eine Zahl von
Kritikern auf den Plan.

Als skandalös bezeichnet Joannes Geuns, Molekularphysiologe für Pflanzen
von der Katholischen Universität von Leuven http://www.kuleuven.be , die
Verweigerung der Zulassung von Stevia. „Es gibt
kein einziges wissenschaftliches Paper, das Nebenwirkungen von Stevia
beweist“, kritisiert Geuns. „Täglich nehmen etwa 16 Mio. Menschen auf
der ganzen Welt Stevia zu sich“, rechnet der Wissenschaftler vor. Stevia
werde weltweit auf mindestens 20.000 Hektar Fläche angebaut. Das
bedeute, dass etwa 60.000 Tonnen Trockenblätter im Jahr anfallen. Im
Vergleich zu herkömmlichem Zucker ist der natürliche kalorienfreie
Süßstoff um etwa 250 Mal süßer und wird auch von Diabetikern sehr gut
vertragen.

Geuns kritisiert, dass Substanzen wie etwa Sucralose, ein künstlicher
Süßstoff, der ebenso wie Zucker sehr gut wasserlöslich ist und sich im
Abwasser schwer abbauen läßt, von der EU-Kommission zugelassen wurde.
„Bei der Substanz handelt es sich um Saccharose mit drei angehängten
Chloratomen. Erhitzt man diesen Stoff auf 700 Grad entstehen giftige
Dioxine.“ Die Gründe, warum Stevia die Zulassung nicht erhalten habe,
könne nur in der Korruption der EU-Kommission liegen. „Diese Geschichte
ist ein Skandal für Europa“, meint Geuns.

Nach Angaben der Universität Hohenheim http://www.uni-hohenheim.de führt
die Schweiz als erster europäischer Staat den viel versprechenden
Natur-Süßstoff ein. „Die großen Getränkehersteller Pepsi und Coca Cola
haben bereits angekündigt, demnächst Stevia-gesüßte Getränke auf den
Markt zu bringen“, zitiert Stevia-Experte Udo Kienle von der Universität
Hohenheim. Kienle wertet den Vorstoß der Schweizer
als interessanten Schachzug. Die Schweiz gebe somit ein hervorragendes
Experimentierfeld für international operierende Lebensmittelkonzerne, um
Marketingstrategien und Verbraucherakzeptanz zu testen. Umgekehrt
ergeben sich daraus für die in der EU überwiegend mittelständisch und
regional orientierte Lebensmittelindustrie gewaltige Nachteile.

Kienle, der sich seit knapp 20 Jahren mit Stevia beschäftigt, sieht im
Schweizer Vorstoß aber auch einen Weg zur EU-weiten Zulassung des
Natursüßstoffes. „Es geht im Prinzip darum, die Unbedenklichkeit von
Stevia wissenschaftlich zu belegen“, erklärt Kienle. Gefährlich sei
Stevia vor allem für die Hersteller von synthetischen Süßstoffen, meint
der Bonner Privatdozent Ralf Pude vom Institut für Gartenbauwissenschaft
http://www.uni-bonn.de . Gut dokumentiert sind die positiven Effekte von
Stevia: Es senkt bei regelmäßiger Aufnahme den Blutdruck und verhindert
die Entstehung von Zahnbelag. Die angeblich in einer früheren Studie
nachgewiesene Einbuße der Fruchtbarkeit bei Ratten beziehe sich auf
extrem hohe Dosen von täglich mehr als die Hälfte des eigenen
Körpergewichts an frischen Stevia-Blättern. Ersetzt man die
durchschnittlich tägliche Zuckerdosis eines Deutschen – insgesamt 130
Gramm – mit Stevia, käme man auf etwa ein halbes Gramm.
Wolfgang Weitlaner

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