Gesündere Schüler mit Schulgesundheitspflege
Wittener Pflegewissenschaftler: Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen braucht an deutschen Schulen speziell ausgebildete Fachleute
Immer mehr Kinder in Deutschland bewegen sich zu wenig, viele sind fehlernährt oder übergewichtig. Hinzu kommt eine wachsende Zahl psychischer Auffälligkeiten bei den Heranwachsenden. Bis zu zehn Prozent der Schüler leiden offiziellen Schätzungen zufolge unter langanhaltenden körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Experten sehen einen direkten Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Problemen und mangelnden Bildungserfolgen. Ein Lösungsansatz könnte das Modell der School Health Nurse sein. Solche Schulgesundheitspflegerinnen gibt es bereits in einigen Ländern. Sie sind für Schüler zentrale Ansprechpartner zu allen Fragen der Gesundheit. Der Wittener Pflegewissenschaftler Andreas Kocks hat die Arbeit von School Health Nurses in Schweden untersucht.
„Gesunde, aufnahmebereite Schüler bekommt man nicht zum Nulltarif. Daran arbeiten international z.B. in Skandinavien, England oder den USA Fachleute. Wenn Deutschland sich nach schlechten PISA-Ergebnissen in den Bildungswettbewerb begeben will, muss es auch die passenden Rahmenbedingungen dafür schaffen“, so Andreas Kocks. Der Pflegewissenschaftler hält die Schulgesundheitspflegerinnen für einen richtigen Schritt. „Bildungsqualität und Gesundheit hängen zusammen. Erfolge oder Misserfolge in der Schule wirken auf die Gesundheit, und die Gesundheit hat einen direkten Einfluss auf die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft.“
Aufgabe der Schulgesundheitspflegerin ist die Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung. Andreas Kocks: „Viele Kinder benötigen regelmäßig Medikamente. Sollen die Lehrer die Einnahme überwachen oder bei Diabetikern die Zuckerwerte und Insulinspritzen kontrollieren? Zudem kommen Kinder immer wieder ohne Frühstück in die Schule – wie sollen sie lernfähig sein? Eine Schulgesundheitspflegerin würde das bemerken und Maßnahmen einleiten. Und wer kümmert sich während der Schulzeit bei Krankheiten oder Unfällen um die Kinder, ganz zu schweigen von den vielen nicht genutzten Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und Prävention? Lehrer haben andere Aufgaben und davon nicht zu wenig.“
Andreas Kocks hat in Schweden School Nurses begleitet. Dabei beobachtete er, wie eine School Nurse die Armverletzung eines Jungen versorgte. „Ganz nebenbei unterhielt sie sich mit ihm über seine Freundin, Sexualität, Fragen der Verhütung und ihre Idee, eine schulische Fußballmannschaft zu gründen.“ Bis zu 30 solcher oder ähnlicher Kontakte ergeben sich täglich in einer durchschnittlichen schwedischen Schule. Es geht um Insektenstiche, Übelkeit aber auch um häusliche Gewalt, Missbrauch, Drogen, Mobbing und Suizidgefahr. „Gesundheit im Kontext Schule ist weiter zu denken“, betont Andreas Kocks. Die Arbeit der School Health Nurse umfasst neben der Gesundheitsversorgung viel Beratung, Schulung und Information und ist vor allen Dingen vom Zuhören geprägt. Die Spezialistin steht im engen Austausch mit Sozialarbeitern, Psychologen, Ärzten, Lehrern und Eltern.
Eine weitere Rolle der Schulgesundheitspflegerin ist die Vermittlung von Gesundheitswissen. Bisher behandeln Lehrer Themen wie Ernährung oder Sexualität im Unterricht. „Wenn die Familie der Kinder ungesund lebt, braucht es in der Schule jedoch ein größeres Gegengewicht, um die Kinder mit Spaß und neuen Ideen zu gesünderem Leben zu bewegen“, weiß Kocks, der dafür plädiert, solche Themen nicht nur in den regulären Stundenplan aufzunehmen, sondern auch in der Schule aktiv zu leben. „Von prinzipieller Wichtigkeit ist die Präsenz der School Health Nurses im Schulalltag, der direkte Kontakt zu den Schülern und ihre Schweigepflicht. School Health Nurses sind in Schweden diejenige Berufsgruppe an der Schule, der die Schüler am meisten vertrauen“, so Kocks. Dies macht es den School Nurses leichter, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und lässt sie frühzeitig erkennen, wie das Kind sich entwickelt.
Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und schulischer Leistung wird auch im aktuellen Positionspapier „Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit“ hervorgehoben. Das Modell der School Health Nurse fehlt darin allerdings. „Dabei wäre das eine gesundheits- wie auch bildungsförderliche Investition im Sinne einer guten gesunden Schule“, so Kocks. Das Institut Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke hat sich die Entwicklung dieses für Deutschland neuen Berufsbildes auf die Fahnen geschrieben. Ein erstes Treffen mit Vertretern aus Politik, Schule, Berufsverbänden und Stiftungen hat hierzu bereits stattgefunden.