Gault Millau 2008

Zuviel Schaumschläger in der deutschen Küche

Der neue Gault Millau beklagt landplagenartige Modetorheiten / „Koch des Jahres“: Klaus Erfort in Saarbrücken / Dieter Müller, Juan Amador, Kolja Kleeberg, Christian Scharrer und Manfred Schwarz abgewertet

„In Deutschland gibt es zuwenig Kochkünstler, die einen eigenen Stil entwickeln und sich in einer Welt, die immer mehr ins Uniforme und Banale verfällt, von ihren Kollegen unterscheiden und uns Restaurantgäste mit einem weiten Fächer von Aromen spannende Abwechslung zuwedeln.“ Das beklagt der Restaurantführer Gault Millau in seiner jetzt erscheinenden 25. Deutschlandausgabe.

Für die allgemeine kulinarische Entwicklung sagt er voraus: „Das Überbemühte in Küche, Service und Ambiente ist nicht mehr gefragt, die Wertschätzung für das Formelle wird schwinden, im Gebaren der Restaurants wie im Auftritt der Gäste. Zulauf haben die gastlichen Stätten, in denen nichts zelebriert, nichts künstlich aufgebrezelt wird, sondern eine selbstbewusste Lässigkeit herrscht, in der Küche und Service nicht auftrumpfen, um sich zu beweisen. Der neue Stil ist relaxt, die Selbstdarstellung folgt dem Motto: tiefer hängen.“ Als erstes träfe es die bislang so beeindruckenden dicken und großen Weinbibeln. Denn der Zeitaufwand beim Durchsehen oder deren Handling an kleinen Tischen seien nicht so amüsant wie die menübegleitenden Weindegustationen durch kundige Sommeliers.

Koch des Jahres: Klaus Erfort in Saarbrücken, dessen „Weltklasseküche Spaß macht“

In ihrer generellen Kritik an der deutschen Küche monieren die Tester: „Aus allem und jedem Schaum zu schlagen, halten zu viele Köche bereits für ein Ereignis. Nicht minder verdrießen uns andere landplagenartige Modetorheiten: Die stark nach Nichts schmeckenden Sommertrüffel werden immer eifriger gehobelt, kaum irgendwo entgeht man Chili, das vom Hummer bis zur Schokolade alles schärfen muss, aussageschwache Beigaben wie Heringskaviar namens Avruga, Ingwer-Karotten und junge Maiskolben nerven schon fast so sehr wie das kalte Gurkensüppchen im Reagenzgläschen.“

Als „Koch des Jahres“ kürte der Gault Millau den 35jährigen Klaus Erfort vom Restaurant „Gästehaus Erfort“ in Saarbrücken. Aus der Begründung: „Abseits aller Medieneitelkeiten reifte er zum Weltklassekoch. Er setzt die modernen Stilmittel im klassischen Geist ein und hat in
seinem Perfektionsstreben nur ein Ziel: dass es uns Gästen schmeckt. Kaum irgendwo macht große Küche so viel Spaß wie hier, weil sie nicht bedeutungsschwer daherkommt und nicht ehrfürchtig bewundert, sondern frohen Herzens genossen werden will.“ Er bekam vom Gault Millau, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, 19 von 20 möglichen Punkten und zählt damit zu den „weltbesten Restaurants“.

Der sehr bescheiden auftretende Porschefahrer Erfort, der schon mit 21 Jahren in der Völklinger „Orangerie“ einen Michelin-Stern und bald darauf 18 Punkte holte, beeindruckte die Tester durch „großen Ideenreichtum bei einem mit Langustine gefüllten Raviolo aus Milchhaut in grünem Gazpacho, bei Gänsestopfleber in hauchdünnem, gepfeffertem Ananasmantel, über den ganz fein geriebene grüne Mandeln gestreut waren, oder bei Taubenbrust mit geschäumter Haselnussmilch“.

Eine höhere Bewertung als Erfort haben hierzulande nur 3 Köche: Je 19,5 Punkte erhielten wieder Harald Wohlfahrt von der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn-Tonbach, der „in der Transparenz des einzelnen Aromas und der Harmonie aller Aromen eines Gerichts das Maß der deutschen Küche ist“, Helmut Thieltges vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich in der Südeifel für „wohlgerundete Kunstwerke der französischen Klassik oder kulinarischen Moderne voller reintöniger Geschmacksharmonien“ und Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Bergisch Gladbach bei Köln, der sich als „ewig Suchender und Forschender mit keinem noch so überzeugenden Resultat lange zufrieden gibt“.

Diesem Trio folgen mit je 19 Punkten außer Erfort noch vier Köche, unter ihnen der abgewertete Dieter Müller vom „Restaurant Dieter Müller“ in Bergisch Gladbach bei Köln, der neben „wahren Geschmackswundern und überragende Leistungen“ auch „verhunzte warmen Meeresfrüchtesülze und noch blutiges Lamm bot, das nach altem Hammel roch“. Ihre vorjährigen 19 Punkte verteidigten Heinz Winkler von der „Residenz Heinz Winkler“ im oberbayerischen Aschau durch seinen „der reinen Harmonielehre verpflichteten Klassizismus“, Hans-Stefan Steinheuer von „Steinheuers Restaurant zur alten Post“ in Bad Neuenahr bei Bonn durch eine „ausgeklügelte Dramaturgie der Genussgestaltung bis hin zu entfesselter Experimentierlust“ und Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück durch „aromatische Paukenschlägen in seiner souveränen Geschmacksentfaltung“

„Aufsteiger des Jahres“: ein Berliner, der arabisch und indisch würzt

Auf 18 Punkte verbesserten sich Christian Lohse vom „Fischers Fritz“ in Berlin („subtile Aromaküche“), Mario Lohninger vom „Silk“ in Frankfurt („geistreiche Einfälle in Form sinnlicher Gabelbissen“) sowie Harald Rüssel von „Rüssels Landhaus St. Urban“ in Naurath am südlichen Hunsrück („jugendlich und unkompliziert wirkende Gerichte in höchster Perfektion“). Auf Anhieb 18 Punkte, die noch 20 weitere Köche haben, bekam Alfred Friedrich, der zuvor bei Heinz Winkler in Aschau gekocht hatte, und nun im Frankfurter „Zarges“ mit der „französischsten Speisekarte der Stadt entzückt“.

Von den zwischen 19,5 und 18 Punkten bewerteten Köchen stehen 8 in Baden-Württemberg, 7 in NRW, 4 in Berlin und 3 in Bayern am Herd. Eins auf die Kochmütze bekamen bekannte Köche wie Juan Amador in Langen bei Frankfurt, Kolja Kleeberg vom „Vau“ in Berlin, Christian Scharrer von der „Bühlerhöhe“ bei Baden-Baden und Manfred Schwarz in Heidelberg.

Auf 17 Punkte steigerten sich 11 Köche, von denen der 30jährige Michael Kempf vom „Facil“ in Berlin, der „in seinen eigenwilligen und doch unverspielten Gerichten eine Vorliebe für arabische und indische Gewürze zeigt“, als „Aufsteiger des Jahres“ geehrt wurde.

908 Restaurants ausgezeichnet, darunter 108 in den neuen Bundesländern

Insgesamt bewertet der alljährlich wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Feinschmeckern mit Spannung erwartete Gault Millau in seiner neuen Ausgabe 1120 Restaurants. Die 27 Tester, die stets anonym auftreten und dieses Jahr 292300 € Spesen machten, verliehen 908 Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten Kochmützen. Dazu mussten die Köche mindestens 13 von 20 Punkten erreichen, was einem Michelin-Stern nahe kommt.
Auch 108 Küchenchefs in den neuen Bundesländern erkochten diese Auszeichnung. An ihrer Spitze stehen mit 17 Punkten wie bisher Marcello Fabbri vom Restaurant „Anna Amalia“ in Weimar, Oliver Heilmeyer vom „17fuffzig“ in Burg (Spreewald), Detlef Schlegel vom „Stadtpfeifer“ in Leipzig und Dirk Schröer vom „Caroussel“ in Dresden.
Da auch die Welt der Gourmandise im ständigen Wandel ist und die Plätze im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht werden, servierte der Gault Millau im Vergleich zur Vorjahrsausgabe 132 langweilig gewordene Restaurants ab und nahm 104 inspirierte Küchen neu auf. 100 Köche wurden höher als im letzten Guide bewertet, 139 niedriger. 49 Küchenchefs verloren die Kochmütze.

Außer dem Koch und dem Aufsteiger des Jahres kürte der Guide noch 9 weitere Würdenträger:
– Eric Menchon vom „Le Moissonnier“ in Köln für das „Menü des Jahres“ und als
– „Entdeckung des Jahres“ Matthias Striffler von „Striffler’s Herrenküferei“ in Markgröningen bei
Stuttgart,
– „Oberkellner des Jahres“ Annekatrin Simon vom „Balthasar“ in Paderborn,
– „Sommelier des Jahres“ Stéphane Thuriot vom „Königshof“ in München,

– „Restaurateur des Jahres“ Klaus Peter Kofler von der „Villa Merton“ in Frankfurt und „K & K
Kochbar“ in Hamburg, der auch „als Edel-Caterer der Häppchen-Society“ erfolgreich ist,
– „Kochschule des Jahres“ Alfons Schuhbeck vom „Schuhbecks in den Südtiroler Stuben“ in
München,
– „Pâtissier des Jahres“ Frédéric Guillon im „Restaurant Dieter Müller“ in Bergisch Gladbach,
– „Barkeeper des Jahres“ Thomas Altenberger von der „Bristol Bar“ im Berliner Kempinski Hotel,
– „Hotelier des Jahres“ Roland Burtsche vom „Colombi“ in Freiburg.

. Zudem testete der im Münchner Christian Verlag erscheinende Reiseführer für Genießer (916 Seiten, 30 €) die Luxus-Kreuzfahrtschiffe „Seven Seas Voyager“, deren Küche der Deutsche Tobias Schneider aus dem Harz leitet, und „MS Europa“, die der Wohlfahrt-Schüler Stefan Wilke bekocht. Ferner beschreibt und klassifiziert der Guide 420 Hotels.

Die Meldungen aus den einzelnen Bundesländern:
https://gourmet-report.de/artikel/13317/Gault-Millau-Sachen-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13314/Gault-Millau-Sachsen-Anhalt-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13312/Gault-Millau-NWR-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13310/Gault-Millau-Hessen-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13309/Gault-Millau-Mecklenburg-Vorpommern-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13308/Gault-Millau-Hamburg-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13307/Gault-Millau-Bremen-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13306/Gault-Millau-Brandenburg-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13305/Gault-Millau-Berlin-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13304/Gault-Millau-Bayern-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13313/Gault-Millau-Rheinland-Pfalz-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13316/Gault-Millau-Schleswig-Holstein-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13315/Gault-Millau-Saaland-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13303/Gault-Millau-Baden-Wuerttemberg-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13302/Gault-Millau-Thueringen-2008/
https://gourmet-report.de/artikel/13311/Gault-Millau-Niedersachsen-2008/

Eine Gewichtung der wichtigsten Restaurantführer bringt die HAIKU Liste – es werden die besten 2000 Restaurants gelistet: www.haiku-liste.de

Der 2009er Gault Millau:
https://gourmet-report.de/artikel/22344/Gault-Millau-2009-Deutschland.html

Sende
Benutzer-Bewertung
5 (3 Stimmen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.