Gault Millau Berlin 2008

Christian Lohse vom „Fischers Fritz“ im Hotel „Regent“ kocht sich nach dem Geschmack der französischen Gourmet-Bibel Gault Millau in die deutsche Küchenspitze. Die jetzt erscheinende Deutschlandausgabe 2008 befördert ihn in die Phalanx der 25 besten Köche der Bundesrepublik.

Bei Lohse, 40, frohlocken die Tester: „Er braucht keine effektverliebten Spielereien, um seinen Kontakt mit der Avantgarde deutlich zu machen, sondern setzt Neuerungen ganz beiläufig ein – dort, wo sie geschmacklich Sinn ergeben. Lohse hat den geschmacklichen Ausdruck seiner Gerichte so sehr perfektioniert, dass jedes Detail kräftig, oft geradezu wuchtig schmeckt, der viel geschundene Begriff ‚Aromaküche’ ist hier zweifellos angebracht. So wirkt der mollige lauwarme Schaum von der Rosval-Kartoffel, im großen Suppenteller serviert, moderierend auf die intensive Kombination von gebackenen Gambas, Schalotten und Aceto Balsamico ein. Umgekehrt setzt er die in 95 % aller Fälle viel zu penetrante Vanille in einem Gurkengelee zu rohen Langustinen geradezu aufregend subtil ein.“

Dafür bekam er vom Gault Millau, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, 18 von 20 möglichen Punkten und 3 Kochmützen. Sie stehen für „höchste Kreativität und Qualität”. Eine höhere Note verdienen nach dem Geschmack der Franzosen nur 10 Köche in Deutschland.

Auf 17 Punkte steigerte sich Michael Kempf vom „Facil“ im Hotel „The Mandala“. Auch Andrea Girau vom „Ana e Bruno“ und Michael Hoffmann vom „Margaux“ erreichten nach ihrer Abwertung im letzten Jahr wieder ihre alte Bewertung.

Der erst 30jährige Kempf, „der jüngste unter den Berliner Topköchen, brauchte eine gewisse Zeit, um seine Blitzkarriere nicht nur kochtechnisch, sondern auch stilistisch zu rechtfertigen und eine unverkennbare eigene Linie zu finden. Dieser Prozess ist nun offenbar abgeschlossen ist. So gut, so eigenwillig und doch unverspielt erlebten wir seine Gerichte noch nie und befördern Michael Kempf deshalb als ‚Aufsteiger des Jahres’ in die Drei-Kochmützen-Klasse.
Auffällig war in dieser Saison eine Vorliebe für arabische und indische Gewürze, die er sensibel und ohne laute Effekte dosierte. Beispielhaft die zitrus-marinierten Scheiben von rohen Langustinen mit Gelee von Amalfi-Zitronen und Tandoori-Schmand.“

Bei Girau „überzeugte die puristische, elegante Mittelmeerküche und filigrane Würzkunst in diesem Jahr wieder uneingeschränkt, etwa beim Steinbutt mit Langustine und Jacobsmuschel in transparentem Kräuter-Weinsud“, bei Hoffmann gilt wieder: „Wer hier nett plaudernd nebenbei gut essen möchte, ist fehl am Platz. Hoffmann verlangt Hingabe und Konzentration auf seine Kreationen wie den Hummer mit Salat von kandierter Wassermelone und gegrillter Charentais-Melone, glasiertem und gebackenem Sellerie sowie Sauerampfer, Kashmir-Curry und Ingwer.“

Auf 15 Punkte verbesserte sich der „wagemutig werdende solide Handwerker“ Patrick Bolte vom „Berlin-St. Moritz“, der „Taubenbrust mit Gänsestopfleber, Amarettini, kandierten Oliven und Kartoffelmousseline füllt“. Er rückte damit nach dem Verständnis des Guides in jene Küchenklasse auf, in der die Kochkunst relevant wird. Platz 1 der kulinarischen Hitparade des Gault Millau in Berlin teilen sich mit Lohse die 3 Köche, die ihre 18 Punkte aus dem Vorjahr verteidigten:

– Matthias Buchholz vom „noblen First Floor mit einer eher klassischen, nur gelassen modernisierten Küche“ bereitete „gebratene Rotbarbe auf Bouillabaisse-Sauce mit Thymiankartoffel, Auberginenkaviar und gefüllter Zucchiniblüte als Paradestück leichter, mediterraner Klassik“,
– Thomas Kammeier vom „Hugos“, dessen „Küche in der stilistisch enorm vielfältigen Berliner Spitze so etwas wie den goldenen Mittelweg bietet und nie experimentell wirkt, zeigte seine Raffinesse bei unübertrefflich geratenen Hechtfilets mit dezenter Begleitung aus Serrano-Schinken und einem mit Sago-Perlen gebundenen Wildkräutersud“,
– Tim Raue vom Restaurant „44“ erfindet sich „wie kein zweiter Koch in Berlin ständig neu, keiner würzt so prononciert, keiner kocht kontrastreicher und eigenwilliger. Regenbogenbunt geschmackvoll kam sein Salat von Krake, Schweinebauch und Fenchel mit Kartoffel-Aïoli und Wassermelone – das hört sich wild an, wirkt am Gaumen aber so stimmig, als gäbe es das Rezept schon ewig“. Raue wird das „44“ im Winter verlassen und soll ab nächstem Frühjahr in einem dann neu eröffnenden Restaurantkomplex in Mitte seine Version moderner chinesischer Küche bieten und dadurch einen seit Jahren toten Winkel des „Adlon“-Immobilienbesitzers Jagdfeld beleben.

Ihre 17 Punkte aus dem Vorjahr verteidigten durch kreative Gerichte Bobby Bräuer vom Restaurant „Die Quadriga“ („Dorade rosé mit geschmorten Kalbsbäckchen und einer Vinaigrette von Datteln und Chili“), Thomas Kellermann vom „Vitrum“ („in Gewürzen gebratener Rehrücken mit Blumenkohl/Graupen-Gemüse und schaumiger Rotweinsabayon“), Thomas Neeser vom „Lorenz Adlon“ („Taubenbrust im aufgestäubten Kräutermantel mit geschmolzener Entenstopfleber und glasierten Essigkirschen auf Perlgraupen“) und Karl Wannemacher, seit 15 Jahren am Herd vom „Alt-Luxemburg“ („er nimmt neue Ideen ohne Hektik in sein Programm auf und beweist mit saftigen Poulardenspießchen auf Tomatengelee mit Pesto und Tomateneis den Kontakt zur Moderne“).

Die Tester beschrieben und bewerteten dieses Jahr insgesamt 48 Restaurants in Berlin. 40 Küchenchefs zeichneten sie mit einer oder mehreren Kochmützen aus, wofür die Könner am Herd mindestens 13 von 20 möglichen Punkten erreichen mussten, was einem Michelin-Stern nahe kommt. Das schafften unter den neu eröffneten Restaurants das „Hartmann“ und das „Parioli“ im „Grand Hotel de Rome“ mit jeweils 14 Punkten.

Im Vergleich zur Vorjahrsausgabe servierte der wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Gourmets mit Spannung erwartete Gault Millau in Berlin 9 langweilig gewordene Restaurants ab und nahm 9 inspirierte Küchen neu auf; 10 wurden höher, 5 niedriger bewertet.

Dass in Berlin nicht nur vortrefflich gekocht, sondern auch gastfreundlich bewirtet wird, demonstriert die Ehrung von Thomas Altenberger als „Barkeeper des Jahres“. Er verbindet in der „Bristol Bar des Kempinski, Berlins einstiger Szenebar, mühelos traditionellen Service und trendige Cuisine-Style-Cocktails mit ungewöhnlichen Zutaten wie Ingwer, Safran, Kreuzkümmel oder rosa Pfeffer, denn er kocht gern und dabei kommen ihm Ideen, was auch im Glas schmecken könnte“.

Zudem testete der im Münchner Christian Verlag erscheinende Reiseführer für Genießer (916 Seiten, 30 €) die Luxus-Kreuzfahrtschiffe „Seven Seas Voyager“, deren Küche der Deutsche Tobias Schneider aus dem Harz leitet, und „MS Europa“, die der Wohlfahrt-Schüler Stefan Wilke bekocht. Ferner beschreibt und klassifiziert der Guide 420 Hotels.

Die besten Restaurants des Gault Millau in Berlin

1 First Floor im Hotel Palace,
Fischers Fritz* im Hotel Regent,
Hugos im Hotel InterContinental,
44 im Swissôtel (alle 18 Punkte),
5. Alt-Luxemburg,
Ana e Bruno*,
Die Quadriga im Hotel Brandenburger Hof,
Facil* im Hotel The Mandala,
Lorenz Adlon im Hotel Adlon,
Margaux*,
Vitrum im Hotel Ritz-Carlton (alle 17 Punkte),
12. Carmens Restaurant in Eichwalde,
Rutz-Wein-Bar,
Vau*** (alle 16 Punkte),
15. Berlin-St. Moritz*,
Horváth,
Lochner (alle 15 Punkte).

*Aufsteiger **Newcomer ***Absteiger

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