Gault Millau 2009 Deutschland

Jetzt ist der Gault Millau offiziell raus und unsere gestrige Meldung bestätigt!

Koch des Jahres: Nils Henkel in Bergisch Gladbach – 19 Punkte für Christian Bau und Sven Elverfeld im neuen GAULT MILLAU – Furioser Start von Tim Raue und Christian Jürgens in ihren neuen Restaurants – „Restaurateur des Jahres“: Herbert Seckler vom „Sansibar“ auf Sylt

Zuviel Chemie in der deutschen Gastronomie beklagt die französische
Gourmetbibel GAULT MILLAU in ihrer jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe
2009. „Warum müssen selbst Spitzenköche zu dünn geratene
Forellenfilets mit einem künstlichen Kleber namens Transglutaminase zu
ansehnlicherem Fisch oder Jacobsmuschelfetzen zur großen Meeresfrucht
aufmotzen? Es genügt doch, dass die Industrie kleine Fleischstücke
zum sogenannten Formschinken verbindet. Warum muss ein Berliner
Kochstar mit Xanthan, das für Tapetenkleister verwendet wird und Ketchup
so schön zähflüssig werden lässt, Radieschensaft zu rosa Ravioli
formen? Ist Methylzellulose vonnöten, damit passierte Kartoffeln höhere
Temperaturen aushalten können und nicht auseinanderfallen, muss Ricotta
im Kalziumbad geliert werden, damit man ihn zu niedlichen Klößchen
formen kann?

Es ist schon kurios, wie gut und teuer sich in Deutschland ‚Texturas
Adrià’ und andere billige Chemikalien wohlklingend als ‚Sferificación’
verkaufen lassen, wenn dabei von Starköchen die Rede ist. Man stelle
sich vor, die großen Lebensmittelkonzerne hätten mit der vollmundigen
Verheißung, dass ihre Convenience durch molekulare Methoden ungeahntes
Tischfeuerwerk beschere, ‚Best of Lebensmittelchemie’-Kits für
99,80 € auf den Markt gebracht. Noch kurioser ist, dass zur selben Zeit,
da aufgrund wachsenden Gesundheits- und Umweltbewusstseins die
Lebensmittelindustrie von der Chemie in ihren Produkten wegkommen
will (oder das zumindest heftig vorgibt), die weniger intelligenten oder
besonders skrupellosen Köche so gierig danach greifen, als ob in der
molekularen Küche das Heil ihrer Zukunft läge.“

Stachelhäutige Seegurke mit Sauce von Räucherpaprika beim „Koch
des Jahres“

Der 38-jährige Nils Henkel vom „Restaurant Dieter Müller“ im Hotel
„Schloss Lerbach“ in Bergisch Gladbach wurde von der französischen
Gourmet-Bibel GAULT MILLAU zum „Koch des Jahres“ gekürt. Aus der
Begründung: „Mit ausgefeilter Technik, enzyklopädischem Wissen und
einer großen Offenheit gegenüber allen zeitgenössischen Strömungen
der weltweiten Kulinarik reifte er zum Spitzenkoch.“

Der passionierte Marathonläufer Henkel übernahm am 14. Februar 2008
die alleinige Küchenverantwortung von Dieter Müller, mit dem er seit
1997 zusammengearbeitet hatte, zunächst als zweiter Sous-Chef und
seit 2004 als gleichberechtigter Küchenchef. Er beeindruckte die Tester,
die glauben, dass er „sein gewaltiges Potential noch gar nicht ausschöpft“, durch Gerichte wie „exzellenter Carpier-Lachs spanischer Herkunft
mit safranisiertem Bouillabaisse-Gelee, stachelhäutige Seegurke
(in China als Trepang geschätzt) mit Sauce von Räucherpaprika auf Olivenöl-
Ofenkartoffeln oder Taubenbrust mit Süßholzgewürzjus, Auberginenpüree,
Bohnen in diversen Aggregatzuständen und knusprigem Cannellono,
der mit geschmortem Fleisch und Innereien gefüllt ist“. Henkel
erhielt vom GAULT MILLAU, der nach dem französischen Schulnotensystem
urteilt, 19 von 20 möglichen Punkten und führt damit eines der
„weltbesten Restaurants“.

Eine höhere Bewertung als Henkel haben hierzulande nur 3 Köche:
Je 19,5 Punkte bekamen wieder Harald Wohlfahrt von der „Schwarzwaldstube“
in Baiersbronn-Tonbach, weil „die Arrangements des Aromenjongleurs,
bildschön und oft von beinahe zenartigem Purismus, von einzigartiger
Finesse sind“, Helmut Thieltges vom „Waldhotel Sonnora“ in
Dreis bei Wittlich in der Südeifel, „dessen Kochkunstwerke so himmlische
Harmonien herstellen wie die Musik eines Wolfgang Amadeus Mozart
oder Johann Sebastian Bach“, und „der unerschöpflich kreative,
sich immer wieder neu erfindende“ Joachim Wissler vom „Vendôme“ in
Bergisch Gladbach, der „Thunfischbauch mit Eukalyptusöl und Gänseleber-
Apfeleis“ bietet und „hochwertiges Schweinefleisch in Deutschlands
Edelküchen hoffähig machte“.

Diesem Trio folgen mit je 19 Punkten außer Henkel noch 6 Köche, unter
ihnen die aufgewerteten Christian Bau vom „Schloss Berg“ im saarländischen
Perl-Nennig und Sven Elverfeld vom „Aqua“ in Wolfsburg. Bau
wird als „ein Magier der Mikroelemente“ gepriesen, bei dem eine hochdifferenzierte
Kleinteiligkeit triumphiert, die alles, was farbenprächtig
den Teller ziert, wie von selbst zu einem harmonischen, überaus gefälligen
Gesamteindruck rundet“. Elverfeld beeindruckte durch seine „außerordentlich
aufwendige Feinarbeit und die Verwandlung des Bodenständigen
in höchste Küchenkunst“. Er kreierte auch das „Menü des
Jahres“ im GAULT MILLAU. Es bietet sowohl Pumpernickel-Krokant mit
Bismarckhering und warmen Räucheraal mit Renette als auch Rochenflügel
mit aufgeschäumter Spitzmorchelsahne und Schokoladentoffee
mit Olivenölbonbon.

Ihre vorjährigen 19 Punkte verteidigten Klaus Erfort vom „Gästehaus
Erfort“ in Saarbrücken, der „weiterhin in der schwierigen Kunst brilliert,
mit wenigen, aber treffsicher eingesetzten Aromen größten Effekt zu
erzielen“, Heinz Winkler von der „Residenz Heinz Winkler“ im oberbayerischen
Aschau, dessen Küche „der reinen geschmacklichen Harmonielehre
verpflichtet und eine der leichtesten im Lande ist“, Thomas Bühner
vom „La Vie“ in Osnabrück als „souveräner Genussgestalter, der alle
modernen Techniken beherrscht“ und Hans-Stefan Steinheuer von
„Steinheuers Restaurant zur alten Post“ in Bad Neuenahr bei Bonn, der
„mehr Wert auf Produktehrlichkeit als auf technische Spielereien und
überzogene sensorische Experimente legt“.

„Aufsteiger des Jahres“: Jörg Glauben, der Kabeljau, Aprikose und
Gulaschsaft vereint

18 Punkte schafften auf Anhieb in ihren neuen Restaurants Christian
Jürgens, seit Mitte August 2008 in der „Überfahrt“ in Rottach-Egern am
Tegernsee, und Tim Raue, seit Ende Juni im Berliner „Ma Tim Raue“. In
dem „mit Millionenaufwand gebauten Solitär von fernöstlichem Restaurant“ ließ Raue „ein Flaggschiff der neuen, selbstbewussten deutschen
Weltküche vom Stapel. Er bietet eine eigenständige Avantgardeküche
mit chinesischem Akzent und mitten in Berlin Hongkonger Verhältnisse“
(er war zuvor im Hotelrestaurant „44“). Jürgens kocht „ im luxuriösesten
Hotel am Tegernsee ohne Produktprotzerei, Dekorationseifer und Imponiergehabe,
zum Beispiel Gambas in einem Paellasud, den man mit geschlossenen
Augen löffeln sollte (mehr Mittelmeerfeeling geht nicht),
oder in mühseliger Arbeit ausgehöhlte Amalfi-Zitrone, die im Saft zahlloser
Brüder und Schwestern aromatisiert und mit Zitronenquarkmousse
gefüllt ist“ (er war zuvor auf der „Burg Wernberg“ in der Oberpfalz).
Auf 18 Punkte steigerten sich Jörg Glauben von der „Fasanerie“ in Zweibrücken
und Dirk Luther von der „Meierei“ in Glücksburg bei Flensburg.

Glauben gefiel durch „die schlichtweg verblüffende Kombination von
Kabeljau und Pastrami (vor allem von den Amerikanern geschätztes
Rindfleisch, das gepökelt, geräuchert und gekocht wird) mit dreifarbigen
Paprikaröllchen, gebratener Aprikosenbrioche, einem Hauch Petersilienöl
und – ganz wichtig – einem Gulaschsaft, der die Paprikaschärfe
aufnimmt und Fleisch wie Fisch mit kräftigen Schmornoten versorgt“.
Weil er „traditionellen Tugenden und innovativen Eifer in besonderem
Maße vereint“, wurde er als „Aufsteiger des Jahres“ geehrt. Luther imponierte
mit „seiner im Ganzen gebratenen Rotbarbe, die er entgrätet
und senkrecht auf das feine Bone-China-Porzellan stellt und mit Miniartischocken
und aromatischem Spinatpüree garniert“.

18 Punkte erkochten sich wieder die zwischenzeitlich auf 17 Punkte abgewerteten
Berthold Bühler und Henri Bach von der „Résidence“ in Essen
(„die Küche erreichte – ohne dem Gast gesuchte Verbindungen zuzumuten
– eine Perfektion in der harmonischen Kombination auch disparater
Produkte“), Juan Amador vom „Amador“ in Langen bei Frankfurt
(„die teilweise artistische Präsentation makelloser Aromen in enormer
Stilsicherheit und mustergültiger Technik hat Witz, manches wird auf
chirurgisch anmutenden Metallgestellen und Skulpturen oder Schiefer
attraktiv inszeniert.“) sowie Andree Köthe und Yves Ollech vom „Essigbrätlein“
in Nürnberg („deren Gewürzküche erzielt mit manch vermeintlich
harmloser Zutat überraschende Effekte und erfordert durchweg
sehr bewusstes Essen, ein Eingehen auf gewagte Kompositionen“).

Insgesamt erkochten 27 Küchen 18 Punkte, die für „höchste Kreativität
und bestmögliche Zubereitung” stehen. Von den zwischen 19,5 und 18
Punkten bewerteten 37 Köchen stehen 8 in NRW, 7 in Baden-
Württemberg, 5 in Bayern und je 4 in Berlin und Rheinland-Pfalz am
Herd.

17 Punkte erreichten erstmals Thomas Bellefontaine vom „Schloss Loersfeld“
in Kerpen bei Köln, Denis Feix vom „Il Giardino“ in Bad Griesbach
bei Passau, der erst 23-jährige Dirk Grammon vom „Gourmetrestaurant
Dirk Grammon“ im westfälischen Werne, Stephan Schilling vom „Schillingshof“
in Friedland bei Kassel sowie die Brüder Alejandro und Christopher
Wilbrand vom Restaurant „Zur Post“ in Odenthal bei Leverkusen.

906 Restaurants ausgezeichnet, darunter 115 in den neuen Bundesländern

Insgesamt bewertet der alljährlich wegen seiner strengen Urteile und
deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete,
von den Feinschmeckern mit Spannung erwartete GAULT MILLAU in seiner neuen Ausgabe 1.130 Restaurants. Die 26 Tester, die stets anonym
auftreten und dieses Jahr 296.000 € Spesen machten, verliehen 905
Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten
Kochmützen. Dazu mussten die Köche mindestens 13 von 20
Punkten erreichen, was einem Michelin-Stern nahekommt.

Auch 115 Küchenchefs in den neuen Bundesländern erkochten diese
Auszeichnung. An ihrer Spitze stehen mit 17 Punkten Marcello Fabbri
vom Restaurant „Anna Amalia“ in Weimar, Oliver Heilmeyer vom
„17fuffzig“ in Burg (Spreewald), die beiden Leipziger Detlef Schlegel
vom „Stadtpfeifer“ und Peter Maria Schnurr vom „Falco“ sowie Dirk
Schröer vom „Caroussel“ in Dresden.

Da auch die Welt der Gourmandise im ständigen Wandel ist und die Plätze
im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht
werden, servierte der GAULT MILLAU im Vergleich zur Vorjahrsausgabe
104 langweilig gewordene Restaurants ab und nahm 98 inspirierte Küchen
neu auf. 116 Köche wurden höher als im letzten Guide bewertet, 131
niedriger. 61 Küchenchefs verloren die Kochmütze.

Außer dem Koch, Aufsteiger und Menü des Jahres zeichnete der Guide
noch weitere kulinarische und gastronomische Leistungen aus:
• „Entdeckung des Jahres“: Alexander Schütz vom Ende 2007 eröffneten
„St. Benoît“ in Oberammergau,
• „Oberkellner des Jahres“: Marie-Anne Raue von den Anfang 2008
eröffneten Restaurants „Ma Tim Raue“ und „Uma“ in Berlin,
• „Sommelier des Jahres“: Hagen Hoppenstedt vom „Haerlin“ in Hamburg,
• „Restaurateur des Jahres“: Herbert Seckler, der vor 30 Jahren das
„Sansibar“ in Rantum (Sylt) eröffnete und es zu Deutschlands meistbesuchtem
Lokal sowie zum Wein-Imperium und Lifestyle-Label aufbaute,
• „Pâtissier des Jahres“: Matthias Ludwigs vom „Graugans“ in Köln,
• „Kochschule des Jahres“ wurde die jüngst eröffnete Kochschule des
Robinson-Clubs in Fleesensee, die modernste in Deutschland. In ihr unterrichten
neben dem kulinarischen Berater des Clubs, Otto Koch, Starköche
aus Berlin und Hamburg nicht nur Feriengäste, sondern auch andere
Lernwillige.
• „Barkeeper des Jahres“: Bernhard Stöhr vom Hotel „Traube Tonbach“
in Baiersbronn,
• „Hotelier des Jahres“: Ralf J. Kutzner von der „Bülow Residenz“ in
Dresden,
• „Cigar Lounge des Jahres“ wurde der der neueingerichtete Rauchsalon
des Kempinski Grand Hotel Heiligendamm. Er bietet „Aficionados auf
100 m² entspannte Genussfreude mit allen Annehmlichkeiten einer exquisiten
Bar“.

Als zusätzliches Schmankerl testete der im Münchner Christian Verlag
erscheinende Reiseführer für Genießer (900 Seiten, 29,95 €, ISBN 978-
3-88472-918-2 Bestelllink) die Restaurants des ZDF-Traumschiffs, „MS Deutschland“,
dessen Küche der 33-jährige Erik Brack leitet, der im „Erbprinz“ in
Ettlingen lernte und danach Sous-Chef im „Alten Gymnasium“ in Husum
war. Ferner beschreibt und klassifiziert der Guide 405 Hotels.

Die einzelnen Berichte aus den Bundesländern wird der Gourmet Report heute abend oder morgen einstellen.

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