Wie sieht die Arbeit eines Michelin Inspektors aus? Um Informationen aus erster Hand zu
bekommen, haben wir ein Mitglied des Inspektorenteams befragt: Georg Heine ist 40 Jahre
alt und seit vier Jahren für den MICHELIN-Führer unterwegs.
Was sehen Sie sich zuerst an, wenn Sie ein Restaurant oder ein Hotel betreten?
Das, was jeder andere Gast auch anschaut: die Fassade, das unmittelbare Umfeld, die Sauberkeit
und den Zustand des Hauses. Bei Restaurants lese ich die Speisekarte sehr aufmerksam.
Ist sie länger, könnte es darauf hinweisen, dass nicht alle Produkte frisch sind, sondern tiefgefroren.
Wenn sie dagegen kurz ist und nur wenige Gerichte aufweist, womöglich von Hand auf
eine Schiefertafel geschrieben wurde, könnte es darauf hindeuten, dass der Koch die Produkte
am selben Morgen persönlich auf dem Markt gekauft hat. Wie jeder andere Gast sehe ich, ob
das Restaurant gut besucht oder eher leer ist und ob die Gerichte der anderen Gäste appetitlich
aussehen. Müssen die Nachbarn zwischen den Gängen länger warten? Ist das Personal
freundlich und kompetent? Wie sind das Ambiente und der Komfort zu bewerten?
In einem Hotel vermitteln die Rezeption und die Art des Empfangs die ersten wichtigen Eindrücke.
Werde ich mit einem freundlichen Lächeln begrüßt, oder scheine ich eher zu stören?
Wie verhält es sich mit der Sauberkeit? In welchem Zustand ist das Mobiliar? Sind die Blumen
frisch? Blättert Farbe von den Wänden? Ob mir der Stil der Innengestaltung persönlich gefällt
oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wie meine Kollegen stelle ich mir immer die entscheidende
Frage: Würden sich die Leser des MICHELIN-Führers in diesem Haus wohl fühlen?
Wie bewerten Sie die Speisen, die Sie essen?
Zuerst sehe ich mir wie jeder andere Gast das Gericht an. Dann probiere ich davon. Dabei
berücksichtige ich in erster Linie die Qualität der Produkte und Zutaten. Meine Erfahrung als
Küchenchef und meine Ausbildung an der Hotelfachschule helfen mir natürlich, die einzelnen
Produkte zu erkennen und ihre Frische einzuschätzen. Lebensmittel, die aufgetaut wurden,
schmecken anders als frische Produkte, eine Sauce, die am selben Morgen zubereitet wurde,
hat einen anderen Geschmack als eine, die drei bis vier Tage zuvor zubereitet und dann im
Kühlschrank aufbewahrt wurde.
Grundsätzlich gilt: Ein Restaurant mit Michelin Stern serviert nicht zwingend Luxusprodukte,
verwendet aber immer sehr frische, qualitativ hochwertige Zutaten. Außerdem berücksichtige
ich das Können bei der Zubereitung, den Geschmack und wie das Gericht gewürzt ist. Wenn
eine Mahlzeit beispielsweise nicht gesalzen ist, bedeutet dies, dass der Küchenchef die Gerichte
nicht abschmeckt, bevor er sie für den Gastraum freigibt.
Was schätzen Sie besonders an Ihrem Beruf?
Ich erlebe viel Freude und lerne neue Regionen und Länder kennen. MICHELIN-Führer gibt es
für 22 Länder. Das gibt uns Inspektoren die Gelegenheit, viele Küchenstile kennen zu lernen.
Ich habe außerdem das große Glück, Menschen zu begegnen, die von Leidenschaft für ihren Beruf
erfüllt sind – ob das nun Küchenchefs oder Hoteliers sind. Eine der größten Freuden ist für mich
das Entdecken neuer Talente: junge Köche, die ihr Metier bei einem Sternekoch lernen, um dann
wieder ins elterliche Gasthaus zurückzukehren oder ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Dort bieten
sie dann oft eine Küche an, in der sich regionale wie moderne Elemente, Tradition und Neues
zu ganz eigenen Kreationen verbinden. Diese Entdeckungen machen mich einfach glücklich.
Welches sind die angenehmen und welches die eher unangenehmen Seiten
Ihres Berufes?
Meine Arbeit bietet viel Erfreuliches. Kennen Sie viele Berufe, bei denen Sie fürs Essen bezahlt
werden oder dafür, dass Sie in einem Hotel übernachten?
Die Vergabe von Michelin Sternen und Bib Gourmands (Bib Gourmand Restaurants gehören
übrigens oft zu den Lieblingsrestaurants der Michelin Inspektoren) gibt uns das Gefühl, die
harte Arbeit eines Küchenchefs und seines Teams zu würdigen. Natürlich freuen wir uns auch,
wenn ein Chefkoch sagt: „Dank des MICHELIN-Führers konnte ich meinen Umsatz deutlich
steigern.“ Trotzdem: Wir arbeiten für die Leser. Unsere Aufgabe ist es, unseren Lesern einen
Überblick über die besten Häuser aller Komfort- und Preiskategorien zu bieten. Wir testen für
die Leser und nicht für die Profis.
Obwohl wir völlig unabhängig sind, können wir uns doch über den Erfolg eines Restaurants
oder Hotels freuen.
Umgekehrt ist es für uns nicht leicht, wenn einem Chefkoch ein Stern
aberkannt werden muss.
Natürlich ist es manchmal schwer, den Beruf des Michelin Inspektors mit dem Familienleben zu
vereinbaren. Meine Kollegen und ich sind oft über mehrere Wochen von unseren Familien getrennt.
Dafür treffen wir Inspektoren uns häufig, wenn wir Sterne-Restaurants testen, um nicht
als Einzelgast aufzufallen. Außerdem tauschen wir uns intensiv aus, wenn wir das Land bereisen.
Ähnlich wie ein Agent dürfen Sie nicht über Ihren Beruf sprechen.
Wie verhalten Sie sich gegenüber Ihrer Familie bzw. Ihren Freunden?
Den Beruf des Michelin Inspektors mit dem eines Geheimagenten zu vergleichen, ist übertrieben.
Wir essen viel besser! Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, antworte ich stets, dass ich bei
Michelin arbeite, und meistens ist das Thema damit erledigt. Meine Familie und meine engsten
Freunde wissen jedoch über meine Arbeit Bescheid, aber ich erzähle ihnen nur allgemeine Dinge
und sage niemals, welche Auszeichnung dieses oder jenes Restaurant erhalten wird.
Im Allgemeinen werde ich von den Gastronomen nicht erkannt. Wenn ich befürchte, dass dies
doch der Fall sein könnte, reserviere ich unter einem anderen Namen oder bitte einen Kollegen,
für mich einzuspringen. Außerdem kehren wir erst nach zehn Jahren wieder in die gleiche
Region zurück. Und letzten Endes: Was würde es denn ändern, wenn ein Küchenchef entdeckt,
dass ich ein Tester bin? Er wird nicht besser kochen, nur weil er weiß, dass ich im Restaurant
bin. Schlimmstenfalls wird er einige zusätzliche Zutaten auf meinem Teller anrichten,
aber das birgt ein gewisses Risiko: Ich sehe mir ja die Teller der Gäste an den Nachbartischen
an und könnte so erkennen, dass ich bevorzugt behandelt werde.
Das Bild vom Michelin Inspektor mit schütterem grauem Haar, Bauchansatz, MICHELIN-Führer
auf der Hutablage seines Autos und stets gezücktem Notizblock neben dem Teller stammt aus der
Filmkomödie „Brust oder Keule“ mit Louis de Funès. Mit der Wirklichkeit hat dies nichts zu tun.
Sie sind seit vier Jahren Michelin Inspektor. Haben Sie seitdem zugenommen?
Nein, aber mein Körper hat sich verändert, denn ich habe Muskeln verloren und etwas Fett
zugelegt! Aber ich werde wieder Sport machen – versprochen!
Kochen Sie gerne?
Ich bin Michelin Inspektor geworden, weil ich leidenschaftlich gerne koche – und das seit über
20 Jahren. An guten Tagen koche ich auf „Bib Gourmand“-Niveau, aber ich käme nie auf die
Idee, mein Können mit dem eines Drei-Sterne-Kochs zu vergleichen.
Gehen Sie auch am Wochenende oder in Ihrem Urlaub gerne ins Restaurant?
Am Wochenende nicht. Da esse ich lieber zu Hause. Im Urlaub vermisse ich das Essen im Restaurant
nach etwa zwei oder drei Wochen. Aber wenn ich mit meiner Familie oder mit Freunden
ins Restaurant gehe, dann lasse ich den Inspektor in mir zu Hause. Ich will dann nur eines: gut
essen und eine schöne Zeit mit den Menschen verbringen, die mit mir am Tisch sitzen.
Wie lange werden Sie Michelin Inspektor bleiben?
Solange ich mich dafür begeistern kann, denn es ist ein Beruf, für den man viel Leidenschaft
braucht: Wir testen im Jahr anonym etwa 240 Restaurants und übernachten – ebenfalls anonym
– in etwa 150 Hotels. Zusätzlich inspizieren wir offiziell über 800 Hotels und verfassen
rund 1.100 Test- und Besuchsberichte. Wir legen pro Jahr etwa 30.000 Kilometer mit dem Auto
zurück, unser Arbeitstag beginnt oft um sieben Uhr morgens und endet nur selten vor 23 Uhr.
Entgegen dem Klischee essen wir natürlich nicht nur in Sterne-Restaurants, sondern prüfen
viele Adressen, die keine Chance haben, in den MICHELIN-Führer aufgenommen zu werden.
Wie sind Sie Inspektor beim MICHELIN-Führer geworden?
Ich habe ein Interview mit dem damaligen Chefredakteur der MICHELIN-Führer im Radio gehört.
Er erzählte vom Leben eines Michelin Inspektors, und das gefiel mir. Ich habe daraufhin
meinen Lebenslauf an Michelin geschickt, und ich wurde zu mehreren Gesprächsterminen
eingeladen. Das letzte Gespräch fand in einem Restaurant zusammen mit einem erfahrenen
Michelin Inspektor statt. Wir aßen gemeinsam zu Mittag, und anschließend bat er mich, einen
Testbericht über das Essen zu verfassen. Dann wurde ich eingestellt. Wie jeder neue Michelin
Inspektor wurde ich erst einmal intensiv geschult, um die verschiedenen Kriterien für die Bewertung
von Hotels, Restaurants und der Küche genau kennen zu lernen. Nach einer sechsmonatigen
Einarbeitungsphase mit einem Senior-Inspektor durfte ich dann erstmals allein
auf Tour gehen. Und selbstverständlich muss man gerne essen und körperlich fit sein!
Welche Anforderungen werden an einen Michelin Inspektor gestellt?
Wie alle meine Kollegen habe ich eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe absolviert.
Danach habe ich einige Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Neben dieser fachlichen
Voraussetzung müssen Michelin Inspektoren in der Lage sein, ihre Einschätzung eines Hauses
und seiner Küchenleistung in wenigen Sätzen präzise zusammenzufassen. Hinzu kommt ein
gutes Geschmacksgedächtnis, um die Qualität eines Gerichts zu beurteilen. Diese Art von
Erinnerungsvermögen trainieren sich die Inspektoren im Laufe der Zeit an.
Was essen Sie am liebsten im Restaurant?
Alles! Das ist eine der angenehmen Facetten dieses Berufs: Wir können aus einer Vielfalt von
Speisen auswählen und uns dabei sehr ausgewogen ernähren. Zumindest versuche ich das bei
jeder Mahlzeit. Ich esse manchmal aber auch nach Lust und Laune. Eine meiner große Leidenschaften
ist jedoch das Brot. Was gibt es Besseres als gutes Brot mit gesalzener Butter, egal, ob es
hausgemacht ist oder von einem guten Bäckermeister stammt!
Zwingen Sie sich auch zu essen, wenn Sie einmal nicht fit sind?
Natürlich nicht. Wer sich nicht wohl fühlt oder keinen Hunger hat, geht nicht ins Restaurant.
Glücklicherweise kommt das nur selten vor. In diesem Fall komme ich am nächsten Tag oder
lasse mich von einem Kollegen vertreten. Wer sich zum Essen zwingt, kann die Qualität der
Speisen nicht gebührend bewerten.
Wie erfolgt die Vergabe der Sterne?
Die Michelin Inspektoren, der Chefredakteur des MICHELIN-Führers und der Direktor aller
Guide MICHELIN treffen sich mehrmals im Jahr. Während dieser „Stern(e)-Stunden“ besprechen
wir unsere Restauranttests, lassen die besuchten Häuser Revue passieren und ziehen
dabei unsere Test- und Besuchsberichte heran. Wir treffen die Entscheidung also gemeinsam,
wenn es darum geht, ein Restaurant mit einem oder mehreren Sternen auszuzeichnen.
Verteidigen Sie „Ihre“ Sterne-Restaurants in diesen „Stern(e)-Stunden“?
Selbstverständlich. Wenn ich davon überzeugt bin, dass ein Restaurant einen Stern verdient,
setze mich dafür ein. Wenn die Kollegen jedoch Zweifel haben, wird ein weiterer Inspektor das
Restaurant besuchen und falls dann immer noch keine Entscheidung gefallen ist wieder ein
anderer – so lange bis wir einer Meinung sind. Schließlich ist eines der Kernkriterien bei der
Vergabe der Sterne die gleichmäßige Qualität – sowohl über die Zeit als auch über die komplette
Speisekarte hinweg.
Wie werden Sie bei offiziellen Besuchen* empfangen?
In der Regel gut. Ein- oder zweimal ist es mir passiert, dass sich der Besitzer nicht über meinen
Besuch gefreut hat, aber das kommt eher selten vor. Die Profis in der Gastronomie wissen ganz
genau, auf welchem Niveau sich ihre Dienstleistung oder ihre Küche bewegt. Aber es stimmt wohl,
dass wir manchmal auch mit großem diplomatischen Geschick vorgehen müssen, insbesondere,
wenn wir ein Restaurant besuchen, das gerade einen Stern verloren hat. Verständlicherweise ist
der Chef meistens nicht sehr erfreut darüber. Man muss ihm also genauestens erklären, warum
ihm ein Stern aberkannt wurde und ihn daran erinnern, dass die Sterne für die Arbeit eines Jahres
vergeben werden und daher auch schnell wieder erarbeitet werden können. Dabei dürfen wir allerdings
nicht vergessen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, den Küchenchefs Ratschläge zu erteilen.
* Offizielle Besuche werden angekündigt, die anonymen Testessen nicht.
Die deutschen Sterne Restaurants 2008:
www.gourmet-report.de/artikel/13325/Guide-Michelin-2008-Alle-Sterne-Restaurants/
Die guten, preiswerten mit dem BIB Gourmand ausgezeichneten Restaurants:
https://gourmet-report.de/artikel/13322/Bib-Gourmand-Deutschland-2008/
Eine Gewichtung der verschiedenen Restaurantführer finden Sie unter www.haiku-liste.de