Sternefresser: Heinz Winkler Interview

History am Herd aber noch lange nicht Geschichte

Christopher LLoyd war in den 80er Jahren dafür verantwortlich, Michael J. Fox und ein altes Auto in eine völlig untertechnologisierte Zeit in die Zukunft zu lotsen. Nun sind wir weit davon entfernt, Heinz Winkler in irgend einer Form eine Ähnlichkeit mit Lloyd als Schauspieler zu unterstellen, der Titel des Filmes „Zurück in die Zukunft“ jedoch passt auf die Vita von Winklers Wirken wie angegossen. Während viele Köche in den 80er Jahren Worte wie Wareneinsatz oder Wirtschaftlichkeit eher fremd waren, wurde der junge Winkler bereits damals nicht nur kulinarisch, sondern auch geschäftlich ein Vorreiter seiner Zunft. Restaurants, die er betrieb wandelten sich in kurzer Zeit nicht nur in Sternetempel, sondern eben auch in wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen. Viele Menschen sehen in Heinz Winkler einen herausragenden Koch, andere einen ergeizigen Unternehmer und wieder andere einen Hans-Dampf in allen Gassen. Leider sind all das keine treffenden Charakterisierungen, sondern lediglich Teilaspekte seiner Persönlichkeit. Und exakt hier liegt wohl das Geheimnis im bislang nicht entschlüsselten Heinz-Winkler-Gen.

Wir treffen Heinz Winkler an einem meteorologisch durchwachsenen Morgen – leicht verspätet erscheint er zu unserem Termin. Der morgendliche Besuch des Viktualienmarktes im 80 Kilometer entfernten München hat mehr Zeit benötigt als erwartet. Trotzdem benötigt Winkler nur wenige Minuten (und einen doppelten Espresso) um auf die Fragen, die uns auf der Seele brennen in Fahrt zu kommen. Umso erstaunlicher ist es für uns, nach wenigen Minuten festzustellen, dass es das Geheimnis Heinz Winkler in dieser Form nicht gibt. Winkler ist ganz entgegen der vielfach verbreiteten Annahmen Gastronom mit Leib und Seele und eben nicht nur Koch und Künstler. Das ist alles – aber eben schon eine ganze Menge auf einmal. Aber der Reihe nach …

Sternefresser: Sie sind nun schon seit 40 Jahren Koch mit Leib und Seele, wie schaffen Sie es immer noch Höchstleistungen zu bringen?
Heinz Winkler: Das ist Einstellungssache. Ich war eigentlich als Kind schon so. Mit sieben Jahren bin ich von zuhause weggekommen, mit vierzehn Jahren hab ich die Lehre begonnen und niemand hat gesagt: „tu dies, tu das nicht“. Ich war total auf mich selber gestellt und habe immer das gemacht, was ich für richtig hielt und was mich interessiert hat. Ob das im Schlosshotel Pontresina (Graubünden, Schweiz) oder bei Mosimann („Koch der Königin“, London) war. Ich habe zum Beispiel in Interlaken (Bern, Schweiz), wo ich Souschef war, für den Gardemanger die ganzen Skulpturen gemacht. Einfach damit ich das kann, damit ich da fit bin. Dazu bin ich in eine Schnitzerei gegangen und habe mir einen Adler als Vorlage ausgeliehen. Ich habe ein Gerüst nachgebaut und den Adler genau nachgemacht.

SF: Sie sind relativ jung zum Küchenchef geworden?
HW: Meine erste Stelle als Küchenchef war im Pontresina. Ich hatte gehört, dass der Koch dort in der nächsten Saison nicht mehr kommen konnte. Ich habe sofort meine Bewerbung geschrieben und die haben mich eingeladen. Ein paar Wochen vor dem Vorstellungsgespräch, las ich in der Zeitung etwas über Haeberlin. Die Küche wollte ich unbedingt kennen lernen, habe mir also ein Auto geschnappt und bin hingefahren. Als ich mittags ankomme, fragt mich Jean-Pierre Haeberlin „Haben Sie denn reserviert?“. Bis dato hatte ich ja nur gekocht, ich wusste nicht, dass man dort reservieren muss. „Wir haben keinen Platz frei, aber Sie sind soweit hergefahren, gehen sie ein wenig spazieren und kommen sie um halb zwei wieder, dann haben wir einen Platz für Sie“. Ich habe dann einen Tisch bekommen und die berühmte Mousseline gegessen. Dann hatte ich mein Vorstellungsgespräch im Pontresina. Die haben mich gefragt, ob ich den Haeberlin und seine „Mousseline de grete“ kenne. „Natürlich!“ habe ich gesagt, da waren die so begeistert und haben mich mit 24 Jahren als Küchenchef für eine 18 Mann Brigade eingestellt.

SF: Das war ein fantastischer Einstieg. Da sind Sie voll durchgestartet.
HW: Wie ich die Stelle als Küchenchef hatte, habe ich nicht mehr schlafen können. Jeden Tag bin ich um 3 Uhr morgens aus dem Bett und habe notiert, geschrieben, kalkuliert, gelesen und mich vorbereitet. So habe ich vier Jahre mit großem Erfolg gearbeitet. Dann wurde das Hotel verkauft und die Chefin des Hauses wollte mich zum ‚Breidenbacher Hof‘ (Anm. der Red.: damaliges Top-Hotel in Düsseldorf) als Küchenchef mitnehmen. Aber vorher wollte ich mich auf die Nouvelle Cuisine einstellen, wegen der Schikeria dort. Ich hab mich dann im Tantris bei Eckart Witzigmann beworben, als ganz normaler Koch. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich schon Küchenchef war. Er hat mich eingestellt als Gardemanger. Ich bin mit drei Kollegen in ein Zimmer mit Stockbetten gelegt worden. Vorher als Küchenchef hatte ich eine Wohnung. Nach zwei Monaten fragte mich der Direktor, ob ich das Tantris weiterführen würde, Eckart Witzigmann mache sich selbständig.

SF: Wussten die inzwischen, dass sie Küchenchef waren?
HW: Nein, aber das sahen die natürlich an meiner Arbeitsweise. Dann kam auch Eckart zu mir und sagte: „Komm Heinz, das machst du“. Ich dachte mir nur „Wieso soll ich das machen, bin ich verrückt?“. Interessanterweise hat Eckart vieles gemacht, was ich auch gemacht habe. Vor Beginn des Service haben wir jedem einen Espresso ausgegeben, damit sie wach sind, wenn es los geht.

SF: Wo lernt man so etwas? Wie kommen sie auf solche Tricks?
HW: Das ist meine Einstellung. Eckart ist auch Krebs, deswegen haben wir uns auch so gut verstanden. Wir hatten dieselbe Anschauung. Im Tantris haben sie mir keine Ruhe gelassen. Die Entscheidung war so schwer, dass ich in meinem Haus am Bodensee erst mal den ganzen Garten umgegraben habe, damit ich diesen Druck rauskriege. Danach bin ich nach München gefahren eigentlich mit der Entscheidung es nicht zu machen. Wie ich reinkomme kommt mir der damalige Geschäftsführer entgegen und sagt „Herr Winkler, ich habe einen super Souschef für Sie gefunden“, damit ist mir das Nein im Hals stecken geblieben. In meinem ersten Jahr als Küchenchef im Tantris, sind wir erst mal auf einen Stern runter gefallen. Beinahe ein Jahr bin ich nicht vor die Tür gegangen, habe nur noch gepowert. Viele haben gezweifelt, das hat mich belastet, die haben gesagt, der hat nie eine Chance. Aber es wollte kein anderer machen, sie haben einfach keinen gefunden. Niemand hat sich getraut den Witzigmann abzulösen.

SF: Wenn Sie alle Stationen Revue passieren lassen, welche war die prägendste für ihre Entwicklung?
HW: Alle waren wichtig für meine Entwicklung. Aber Aschau war wohl das entscheidende Projekt: Während meiner Zeit im Tantris habe ich drei Jahre nach einem geeigneten Objekt gesucht. Der Makler sagte zu mir, er habe was Tolles in Aschau und ich habe gesagt, da will ich nicht hin. Eines Tages bin ich mit meiner Frau nach Reit im Winkel gefahren, in Bernau runter von der Autobahn, die Ampel schaltet auf rot, plötzlich sehe ich den Wegweiser „4km nach Aschau“. Da sagte ich zu meiner Frau: „komm da fahr’n wir jetzt hin“. Als ich es gesehen habe, kam es mir so vertraut vor und es hat mich nicht mehr losgelassen. In der Chronik des Hauses steht unter anderem drin, dass 1620 ein Tiroler Wirt kam, der zu Lebzeiten schon einen Namen hatte. Denken sie mal nach, diese Parallelen! Wenn sie alles genau betrachten, dann ist vieles für mich vorbestimmt, mit dreieinhalb Jahren die Mutter verloren, ganz jung von daheim weg. Ich habe das Tantris mit 500.000,- DM minus übernommen und mit 800.000,- DM plus verlassen und nur deswegen, weil das Tantris noch nie Gewinn gemacht hatte, hat mir die Bank damals 14 Mio. DM Kredit auf meinen Namen gegeben. Wenn sie das rekonstruieren, merken sie, wie alles einen Sinn ergibt, dass Aschau etwas werden soll.

SF: Was war der Impuls zu sagen, ich mach mich komplett selbständig?
HW: Das wollte ich immer, mit 20 Jahren schon. Ich habe gesagt mit 50 darf man in der Gastronomie kein Angestellter m
ehr sein. Da musst du irgendwo zuhause sein. Es war eben schon immer meine Sache auf eigenen Füßen zu stehen. Mit 24 Jahren habe ich mir schon ein Familienhaus gekauft, weil mir die Wohnung zu klein war. Ich fand es schade um das Geld, du zahlst die Miete und das Geld ist weg. Ich habe dann die Wohnungen vermietet und so ist es losgegangen. Da war ich schon zufrieden, mehr wollte ich erst gar nicht, nur mein eigenes Haus.

SF: Was war die schwierigere Zeit? Das Tantris oder der Anfang von Aschau?
HW: Man muss sich mal vorstellen, ich habe das ganze Haus hier schon neben dem Tantris geführt. Ich bin ja erst im Mai gegangen, im September hatten wir hier schon eröffnet. Aber die erste Zeit im Tantris, die hat mich sehr belastet, vor allem, weil es so lange gedauert hat, bis die Anerkennung kam. Die Leute haben immer gemeint, sie müssten dumm reden über mich, damit sie dem Witzigmann einen Gefallen machen.

SF: Wie ist Ihr Kontakt zu Herrn Witzigmann?
HW: Jetzt ist er gut, aber damals war er natürlich nicht so erfreut, dass ich den dritten Stern bekommen habe. Es war damals auch ungewöhnlich 2 x drei Sterne in einer Stadt. Dabei war das eigentlich gut, beide Seiten haben sich befruchtet, denn die Gäste, auch Gastronomen, kamen extra nach München mit gleich zwei hervorragenden Restaurants. Vorher in der Schweiz, da habe ich die Anerkennung gehabt, da waren alle positiv. Nur in München immer diese Skepsis. Da habe ich manchmal schon gedacht, was ist denn da los. Das hat mich psychologisch sehr gedrückt.

SF: Wie war das damals mit Mallorca, das haben Sie doch parallel zum Tantris gemacht? Wie kam das zustande?
HW: Die Investoren kamen damals zu mir mit einem Hafen-Projekt. Damit sie gute Leute bekommen, musste eben ein gutes Restaurant eröffnen. Mallorca war damals noch kulinarische Wüste. Es gab mehrere Objekte. Ich konnte mir aussuchen, welches ich machen möchte, ich entschied mich dann für das am Hafen. Darüber haben die Investoren sich sehr gefreut, denn sie wollten mich unbedingt für das Projekt gewinnen.

SF: Wie haben Sie diese Doppelbelastung hin bekommen?
HW: Ich habe auf Mallorca gute Mitarbeiter gehabt, die vorher schon lange bei mir im Tantris waren und mal was anderes machen wollten. Ich selbst war auch sechs- bis siebenmal im Jahr unten manchmal auch öfter. So haben wir für das Tristan zwei Sterne bekommen.

SF: Wie erklären Sie sich, dass Sie gerade mit Gourmetküche auch wirtschaftlich Erfolg haben? Was ja nicht unbedingt alltäglich ist.
HW: Wissen Sie, manchmal isst der Gast einfache Dinge lieber als das außergewöhnliche. Wir haben z.B. Gnocchi mit Pfifferlingen in der Schnittlauchsoße auf der Karte, das isst der Gast manchmal lieber als einen Hummer. Man muss nicht immer denken, dass etwas Teures gewünscht wird. Viel wichtiger ist, was dem Gaumen etwas gibt. Das ist der ausschlaggebende Punkt. Und nicht der Preis eines Produktes.

SF: Wie lange stehen Sie eigentlich heute noch in der Küche und wie oft erfinden Sie noch neue Gerichte? Als Hotelier haben Sie soviel mit den wirtschaftlichen Dingen zu tun. Nimmt Ihnen Ihre Brigade hierbei viel Arbeit ab?
HW: Die nimmt mir schon einiges ab, aber die Mannschaft wechselt ja auch. Mal hast du eine gute Brigade, die bringt hier und da auch selber etwas. Dann korrigiert man das, probiert es noch mal und dann erst sagt man: „Ok, das können wir laufen lassen“. Aber ich stehe jeden Tag am Pass, mittags und abends.

SF: Bei Ihnen ist es ja nicht nur das kochen, es ist ja eigentlich eine Philosophie?
HW: Ich nenne es „Cuisine Vitale“ und die ist entstanden, als damals Paul Bocuse gesagt hat: „Nouvelle Cuisine ist out“. Er war der Meinung, dass die Köche unter dem Namen Nouvelle Cuisine zuviel Blödsinn machen. Und er hatte die Macht, so etwas zu sagen. Für mich stand aber fest, zurück geht es nie. Wie müssen wir kochen, dass der Gourmet wieder zu uns kommt und gerne essen geht, ohne dass er Probleme bekommt. Es nützt ja nichts, wenn er sagt es war gut, aber jetzt kann ich nicht mehr.

Pünktlich zum Mittagsgeschäft zieht sich Heinz Winkler zurück, konzentriert sich auf das Wesentliche und übernimmt den Stakkato operativer Exzellenz mit seiner Küchencrew um Souschef Friedrich und dem perfekten Serviceteam um die Brüder Kieffer. Und so erleben wir an diesem Mittag ein kleines Stelldichein, das sich ohne weiteres auch 10-15 Jahre zuvor hätte abspielen können. Klassische Küche mit klassischen Zutaten aber höchstem Perfektionsgrad. Und das Beruhigende: Keiner der 8 Gänge wirkt in irgendeiner Form altbacken oder ausgereizt, sondern strahlt ein modernes Wohlgefühl und Wärme aus. Winklers Cuisine Vitale – nunmehr auch schon als Grundkonzept einige Jahre alt – gelingt es moderne Akzente mit einem herausragendem Abstimmungsgefühl und klassischen Rezepten zu vereinen.

HW: Ich habe viele originale Kochbücher bis Fünfzehnhundert. Ich besitze z.B. das erste deutsche Kochbuch der Küchenmeisterei oder das „Nürnberger Kochbuch“. Das weiß ja niemand, was Nürnberg um 1640 für eine Hochkultur hatte. Es stand Paris zu dieser Zeit in nichts nach. Nürnberg hatte halt keine Schickeria, die Kultur wurde nicht nach außen getragen. Es fand alles auf der Burg statt. Aber ich habe die Bücher, da steht alles genau drin. Sie werden staunen, was die zu dieser Zeit bereits gemacht haben z.B. Tranchieren. Ich habe auch das erste Buch, das um Siebzehnhundertzwei in Paris raus gekommen ist. Da steht fast das gleiche drin, aber das Nürnberger Buch ist wesentlich älter. Oder ich hab mir die Trüffelzeichnungen von Andre Furer besorgt. Da steht wie man das macht. Plastikfolie auf die Trüffelzeichnung, Gelatine drauf, mit Trüffel nachgelegt, abchemisieren, so das es hält und auf die Terrine draufgezogen. Ich bin halt mit den Büchern ins Bett gegangen. Ich hab z.B. auch das Buch von Dali in dem man sieht was damals die Restaurants La Sier, Delachamps und Maxim’s gekocht haben. Das war für mich eine unglaubliche Bereicherung, zu sehen, was die kochen, damals hat man nur davon gehört.

SF: Woher bekommen Sie die Bücher?
HW: Ich bin beinahe in jeder Stadt, in der ich beruflich gelandet bin, in ein Antiquariat gegangen. In Barcelona habe ich von Carême beide Bände „L’Art de la cuisine française“ mit Original-Unterschrift von ihm gefunden.

SF: Wann haben Sie denn noch Zeit solche Bücher zu lesen?
HW: Früher bin mit den Büchern ins Bett gegangen. Z.B. auch mit dem Buch von Dali, in dem man sieht, was damals die Restaurants „La Sier“, „Delachamps“ und „Maxim’s“ gekocht haben. Das war für mich eine unglaubliche Bereicherung, zu sehen, was die kochen, damals hat man nur davon gehört. Ich war immer wahnsinnig interessiert an diesen Dingen. Heute mache ich das nebenbei, manchmal schlage ich sie als Inspiration auf. Beispielsweise gab es damals, noch zu Tantris-Zeiten bei Gottfried Lugerbauer am Mondsee die sensationellsten Topfenknödel. Aber irgendwas hat mich am Rezept nicht in Ruhe gelassen, ich wusste aber nicht was das war. Ich bin also dahin, hab sie probiert und daheim ein altes Buch rausgeholt, das war das Wirtschaftslexikon. Dort habe ich nachgeschlagen und das Rezept tatsächlich gefunden. Der Witz war, dass man nur weiße frische Brösel nehmen darf, Eier, Butter, Topfen und sonst nichts und früher haben sie Grieß oder Kartoffeln hinein getan. Dann wird alles gerollt mit Brösel, Zucker und Zimt vermengt. Früher haben sie aus Bequemlichkeit oben drüber die Brösel gemacht, das ist aber der Fehler! Wenn Du nämlich die Brösel nicht im Gaumen hast, schmeckt der Topfenknödel komplett leer.

Nach dem Genuss des Menüs verstehen wir, was uns Winkler mit seiner beeindruckende Sammlung historischer Kochbücher (zurück bis auf alte Werke aus dem 16. Jahrhundert) verständlich machen wollte: Es gibt keine altbackenen Rezepte, sondern nur altbackene Interpretationen. Für uns persönlich (die in jüngster Zeit häufig mit den Möglichkeiten chemischer Experimente am Pass überrascht wurden), ist dass die eingangs erwähnte Zeitreise, die uns z
eigt, was heute möglich wäre, wenn sich junge Köche auf die über Jahrhunderte praktizierten Ansätze der Spitzenküche konzentrierten. Winkler hat nicht nur viele Details aus seinen knapp 100 historischen Kochbüchern parat, sondern er hat die dort gelehrten Philosophien mit seinem Sachverstand vereint.

HW: Diese klassische Ausbildung fehlt eben vielen Köchen. Bei uns lernen sie diese Grundkenntnisse noch, denn die sind Voraussetzung, um Gourmetküche betreiben zu können. Man lernt, dass man manche Dinge nicht miteinander kombiniert. Und trotzdem, ich mache immer wieder erstaunliche Entdeckungen wie z.B. ein Gericht aus Spanien: Tomatensuppe mit Kokosnuss – die schmeckt sensationell. Es gibt dann doch immer mal wieder ganz verblüffende Kombinationen, die funktionieren. Oder früher hat man Kürbissuppe mit Dill gemacht, das hat trotzdem immer nach Kürbis geschmeckt. Dann kam der asiatische Einfluss und man hat Ingwer dazugegeben und dieser hat dem Kürbis einen richtigen Speed verabreicht. Plötzlich schmeckt der frisch und aufweckend!
Aber um noch einmal auf die Cuisine Vitale zurückzukommen: in den alten Büchern werden immer auch Arzneimittel erwähnt, da Apotheken noch nicht so verbreitet waren. Es stehen z.B. Rezepte gegen Bauchschmerzen mit allen Zutaten darin. Ich habe das aufgegriffen. Das bedeutet ich setze die Kräuter dann richtig ein, wenn ohne dieses Kraut das Gericht gar nicht schmecken würde. Man darf aber die Zutaten nicht (wie beispielsweise für eine Diät) notgedrungen verwenden, so dass es schmeckt wie Krankenhausessen. Wenn man die Zutaten wohlschmeckend einsetzt, dann wird der ganze Organismus stimuliert und das bedeutet man kann hervorragend essen, ohne gleich satt zu werden. Nicht satt werden bedeutet, man hält die Körpersäure in der Balance, dass der Gast nach dem Menu sagt, ich könnte noch etwas essen. Nur dann ist der Abend für Ihn ein rundum positives Erlebnis. Das schlimmste was uns passieren kann, ist wenn der Gast während eines Menus nicht mehr weiter essen kann.

Wo immer Heinz Winkler ein- und auftraf, in kürzester Zeit primus inter pares und somit an vorderster Front war – eine Tatsache, die Kraft und Energie kostet, umso erstaunlicher ist es, wie er dieses Investment auch zum heutigen Zeitpunkt ohne zu klagen täglich erbringt. Winkler ist ohne Zweifel nicht perfekt, aber er ist im klassischen Sinne jemand der Verantwortung übernimmt. Für seine Kunden, seiner Mitarbeiter und im Laufe seiner Karriere eben auch für seine Patronaten.

SF: Wollten Sie eigentlich immer schon unter die Hoteliers gehen?
HW: Ich habe das damals schon gesehen, dass die Zukunft wieder im Hotel liegt. Man muss dazu die Geschichte studieren. Auguste Escoffier hat zu seiner Zeit nur in Hotels gekocht. Das Ritz in Paris, Hotel Paris in Monte Carlo, Adlon in Berlin, Savoy in London usw. Damals hatten nur Grafen und Barone die ersten Autos und alles andere kam mit dem Zug. Da hat sich alles im Hotel abgespielt. Dann kam das Auto und es war Schick ins Restaurant zu fahren, an den Bars etwas zu trinken und wieder zurückzufahren. Mit der Zeit hat man gemerkt, wenn man die Stimmung am Tisch einmal auflöst, kehrt sie nicht mehr zurück. Später hat man keine Parkplätze mehr gefunden und auf die Promille musste man auch achten. Was war die Quintessenz? Das Hotel kommt wieder ins Spiel. Ich war einer der ersten, der gesagt hat, das Hotel ist wieder in. Viele haben dann gleichgezogen z.B. auch der Haeberlin in Illhäusern (Elsass).

SF: Hatten Sie Berater mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund oder ist das Ihre Lebenserfahrung?
HW: Das ist Lebenserfahrung und logisches Denken. Mehr einnehmen als man ausgibt, das habe ich damals schon so gehalten, als ich die erste Stelle als Küchenchef angetreten habe. Ich habe Bücher gelesen, wie und was man kalkuliert. Ich habe dem Besitzer vom Tantris, Herrn Eichbauer, 1 Mio. Steuernachzahlung gespart, weil das Finanzamt gesagt hat:
„Sie machen seit 10 Jahren nur minus, wenn sie jetzt nicht schwarze Zahlen machen, müssen wir ihnen den Status der Liebhaberei geben und pauschal kassieren.“ Ich hab dann schon im ersten Jahr Gewinn gemacht, denn es ist doch für mich kein Erfolg, wenn wir immer eine halbe Million minus machen.

SF: Sie haben einen eindrucksvollen Werdegang hingelegt und immer noch einen drauf gesetzt. Jetzt haben Sie sich hier in Aschau ein Denkmal gesetzt. Was wollen Sie noch erreichen, haben sie noch Ziele?
HW: Ich mache das ja nicht, weil ich was erreichen will, ich mach das ja aus reiner Einstellung. Ich bin vor kurzem „Hotelier des Jahres“ (Anm. der Red.: verliehen von der Allgemeine Hotel- und Gaststätten-Zeitung) geworden, das war wirklich eine Überraschung, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie die jetzt auf mich kommen. Aber die haben halt gesehen, was man hier erreicht hat und welches unternehmerische Risiko man eingegangen ist. Man wollte wahrscheinlich auch den Mittelstand fördern. Nicht immer nur die großen Konzerne zeigen, sondern eben auch den Mittelstand, die Familienhotels etc. Das war schon eine enorme Auszeichnung mit 1150 geladenen Gästen. Und das hat mich sehr berührt, wie ich gesehen habe, was für große Gastronomen, welche großen Kollegen da sitzen und applaudieren. Es ist halt meine Einstellung immer weiter zu machen.

SF: Wann machen Sie eigentlich Urlaub?
HW: Anfang Januar etwa 10 Tage, bevor die Gäste merken, dass ich weg bin, bin ich schon wieder zurück.

Und so verlassen wir Aschau an diesem Tag in juveniler Glückseeligkeit und mit dem beruhigenden Gefühl, dass Heinz Winkler weder auf dem Höhepunkt seines Schaffens, noch am Ende der Karriere angelangt ist, sondern genau dort steht, wo er hingehört: Mitten im Leben und an der Spitze seiner Zunft. Und wenn Christopher Lloyd damals während seiner Zeitreise prognostiziert „1984 wird man in jeder Apotheke Plutonium kaufen können!“, hat er damit ebenso recht, wie Heinz Winkler mit seiner Feststellung „Ruhig hast es, wenn du eingegraben wirst“.
Wir hoffen stellvertretend für alle Gourmets in Mitteleuropa, dass uns mit Aschau das vergönnt bleibt, was uns nach Zurück in die Zukunft verwehrt blieb: viele, weitere Fortsetzungen.

History am Herd aber noch lange nicht Geschichte: Heinz Winkler ist einfach nicht zu (s)toppen.

Quelle:
www.sternefresser.de

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