Bernhard Steinmann im Restaurant Kraftwerk

Zuletzt hatte ich vom Weingut Oberhofer aus Edesheim berichtet. Bei dieser Reise war allerdings nicht die Pfalz unser eigentliches Ziel sondern Frankfurt am Main. Wir besuchten einige Sehenswürdigkeiten in Hessen und nächtigten in Oberursel, einem kleinen Städtchen kurz vor Frankfurt. Die Wahl des Hotels richtete sich nicht unwesentlich am Supercharger Eschborn aus, der nur ca. 8 km vom Hotel entfernt war. So ist das nun mal mit elektrisch angetriebenen Vehicles, sie reden bei der Reiseroute quasi mit. 

© Bernhard Steinmann

Da der Mensch nun auch mal Essen muss, suchte meine Frau im weltweiten Netz nach einem geeigneten Restaurant und siehe da, sie wurde unweit unserer Herberge fündig; und zwar im Zimmersmühlenweg in Oberursel. Das Restaurant Kraftwerk hatte noch Plätze frei und so machten wir uns auf den Weg.

Acht Minuten Fußweg (ich bin ja so umweltbewusst) führten ins denkmalgeschützte ehemalige Kraftwerk Oberursel. Der Name des Restaurants schien sich somit aufzudrängen. 

Das Restaurant ist recht groß, enthält Jugendstilelemente und eine original erhaltene Laufkatze unter der Hallendecke. Ein insgesamt zwangloses Ambiente. 

Die Geschichte des Hauses ist schnell erzählt. 1910 errichtete die Frankfurter Lokalbahn- Aktiengesellschaft in Oberursel ein Gleichrichterhaus. In einem Nebengebäude, das heute nicht mehr existiert, befanden sich Transformatoren für die Bahn. Das Gleichrichterhaus war von herausragender Bedeutung für den Güter-und Personenverkehr von und nach Frankfurt a. M. bzw. in den Taunus. Bis 1997 gehörte das Gebäude den Main-Kraftwerken, bis 2004 der Stadt Oberursel. Seit 2008 ist Adalbert „Bertl“ Seebacher die treibende Kraft im Kraftwerk, das weit mehr als ein Restaurant ist. Ob jedoch Showroom oder Kochwerkstatt, immer kann man sich als Gast gut aufgehoben fühlen.

Nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten rückte die Speisekarte in den Mittelpunkt unseres Interesses. Es werden mehrere Menüs sowie Gerichte à la carte angeboten. Wir entschieden uns nach längerer Überlegung für das „Kraftwerk Genießer Menü“.

Das Restaurant ist aktuell u. a. mit 15 Punkten im Gault&Millau und mit drei Hauben im Großen Guide bewertet. Bei der Vorstellung des Menüs werde ich nicht alle einzelnen Gänge näher beschreiben.

Starter (o. Abb.) Ziegenkäsecreme im Cone, Caviar Blini, Beef Tea-Sherry

Eine nette Einstimmung.

© Bernhard Steinmann

Pastrami Sandwich dekonstruiert, Russian Cream, Gurke, Reypenaer VSOP, Brotchips

Schon als ich es auf der Karte gelesen hatte, war ich sehr interessiert. Pastrami ist in den USA äußerst populär. Es stammt ursprünglich wohl aus Rumänien und wurde mit der jüdischen Küche in die USA, vor allem in New York, eingeführt. Dort hatte ich vor langer Zeit schon das Vergnügen mit einem Pastrami Sandwich bei Katz’s Delicatessen, wo die weltberühmte Szene des Films Harry und Sally gedreht wurde. Sie erinnern sich?

Bertl Seebacher wagt sich nun mit seiner Dekonstruktion an das berühmte Sandwich. Anstelle von Cheddar oder reifem Gouda entschied er sich für Reypenaer Käse. Der Käse reift bei hohen Temperaturen schneller und bei niedriger Temperaturen langsamer. Genau diese Variationen entscheiden über den Geschmack des Käses. Der Käse verliert während der bis zu 2 Jahren langen Reifung viel Gewicht, entwickelt aber deshalb einen sehr intensiven Geschmack. Sensible Gourmets erkennen Aromen von Schokolade, Haselnuss und Karamell.

Insgesamt funktioniert das Zusammenspiel der einzelnen Teile recht gut. 

Delice Foie Gras, Mango, Arabica, Cremovo, Malzbrot

Geschmacklich eine Wucht. Besser hatte ich ein solches Gericht in diesem Jahr noch nicht. Ein Highlight des Menüs.

© Bernhard Steinmann

Jakobsmuschel und Hummer, Kürbis, Cashew, Sojabohnen, Kokos

Und da sind wir auch schon beim zweiten Highlight des Menüs. Die Auswahl der Zutaten und der Geschmack als Ganzes waren überaus überzeugend. An dieser Stelle planten wir bereits einen weiteren Besuch.

© Bernhard Steinmann

Steinbutt und Kalbskopfravioli, Spinat, Pilze, Trüffelsauce

Wer die nussigen, erdigen und süßlichen Aromen von Trüffel mag, kam hier voll auf seine Kosten. Mir persönlich war das Trüffelaroma zu übermächtig, ja fast aufdringlich. Der Steinbutt ging vollständig unter und zu allem Überfluss erschien mir die italienische Nudelspezialität deutlich zu trocken.

Sorbet (o.Abb.) Zitrone, Basilikum, Wodka

© Bernhard Steinmann

Lamm Orient – Okzident rosa Rücken, Paprikagemüse, Borettane-Balsamicojus und geschmorte Keule, Ras el Hanout, Rosinen, Joghurt

Die Gegenüberstellung zweier kulinarischer Welten war nicht nur eine gute Idee sondern auch tadellos in der Umsetzung. Es zeigt sich deutlich, dass Koch ein Handwerksberuf ist und gute Handwerker wie Seebacher damit kraftvoll punkten können. 

Müsste ich mich entscheiden, wäre die orientalische Variante mein Favorit.

Rummel, weißes Schokoladen-Süßholzwurzelmousse, Zuckerwatteeis u.v.m.

Ein sehr schönes, einfallsreiches und köstliches Dessert.

FAZIT:

Aus einer Restaurantwahl aus Verlegenheit wurde ein Abend kulinarischen Vergnügens. Unerwartet und ungeplant stolperten wir in die Hände eines Küchenchefs der mit überdurchschnittlicher Handwerkskunst ausgestattet ist und der darüber hinaus genügend kreative Ideen entwickelt um eine spannende und interessante Menükarte zu verfassen. 

Mag das Menü an der ein oder anderen Stelle auch Schwächen haben, so bleibt doch ein positiver Gesamteindruck. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen möchte ich betonen, dass ich in sogenannten Sternerestaurants schon mit weniger zufrieden sein musste.

Der Service ist unauffällig, freundlich und ausreichend kompetent. 

Wie schon erwähnt, wir kommen wieder.

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